Verteidigungsexperten beklagen mangelnde Sicherheit DV erhaelt neues Gewicht in der amerikanischen Militaerstrategie

02.06.1995

FRAMINGHAM (IDG) - DV-Systeme steuern Waffen, und sie werden selber zu solchen. US-Militaers erkennen nicht nur die von ihnen ausgehende Gefahr fuer die nationale Sicherheit, sondern ueben auch ihren offensiven Einsatz.

Die Fuehrungsstaebe der US-Armee treffen sich immer haeufiger zu Kriegssimulationen ohne Sandkasten. Computer beherrschen die Szenerie. Die von I&K-Technik moeglicherweise ausgehende Gefahr nimmt fuer amerikanische Militaers immer konkretere Ausmasse an, sowohl auf gegnerischer wie auf eigener Seite. "Wir haben offensive Moeglichkeiten (der elektronischen Kriegsfuehrung; Anm. d. Red.), und wir arbeiten an anderen", erklaerte der stellvertretende US-Verteidigungsminister Emmett Paige vor zwei Wochen auf einem Seminar.

Das Spektrum der elektronischen Zerstoerungsmoeglichkeiten scheint groesser zu sein als das, was bisher unter den Begriffen "Virenattacken" oder "elektromagnetischer Schock" etc. im Gespraech war. "Es besteht die Moeglichkeit bedeutender Durchbrueche in der Kriegsfuehrung, die auf Informationstechnologie basieren", erklaerte General Ronald Fogelman.

Bits und Bytes statt Bomben und Bazookas

Der Chef des US-Luftwaffengeneralstabs deutete eine Neuausrichtung der Militaerstrategie an: "Kuenftig werden wir gegnerische Informationssysteme in verschiedener Weise angreifen. Statt die Telefonzentrale in Bagdad zu bombardieren, koennten wir sie stehen lassen, um sie spaeter selber zu nutzen."

Allerdings mache die verbreitete Verwendung von I&K-Technik nicht nur stark, sondern auch angreifbar. Fogelman: "Unsere Gegner werden unsere Datenbanken und Systeme so betrachten wie wir die ihren." Fuer "Info-Moerder" sind nach Ansicht von Experten der Datenverkehr der Boersen, Kommunikationsschaltstellen, Verkehrskontrollsysteme, das Starkstromnetz und die Datennetze von Banken besonders verlockend.

Das Risiko sei in letzter Zeit dermassen gewachsen, dass dringender Handlungsbedarf entstanden sei, meinen US-Militaers. "Die Situation, in der wir uns mit unseren Systemen im Verteidigungsministerium befinden, ist das Ergebnis von 15 bis 20 Jahren Vernachlaessigung", meinte Verteidigungsvize Paige. "Wir koennen sie zutreffend als 'offene Systeme' bezeichnen: Sie stehen fuer jeden offen, der in sie eindringen will."

Kommerzielle Systeme seien allerdings demselben Risiko ausgesetzt, befand Generalstaebler Fogelman: "Dies ist keine ausschliesslich militaerische Sorge." Pentagon-Staebe arbeiten mit zivilen Unternehmen und Institutionen zusammen, um die Sicherheit der DV- Systeme zu erhoehen.

Maengel in dieser Hinsicht hat Winn Schwartau, Autor des Buches "Information Warfare - Chaos on the Information Highway", beklagt: "Wall Street und andere Einrichtungen in nichtmilitaerischen Bereichen sind lebenswichtige Aktivposten der Vereinigten Staaten, und wir muessen Massnahmen fuer ihre Verteidigung in die Gesamtpolitik einbetten."

Es beduerfe einer nationalen Informationspolitik, die beispielsweise die Frage beantworte, ob Industriegeheimnisse nicht ebenso bedeutend wie militaerische seien. Schwartau: "Bis jetzt steht der private Sektor allein da. Und die Waffen, denen wir heute begegnen, sind anspruchsvoller als ein paar Kerle, die in Bulgarien Viren schreiben."