Schulterschluß gegen proprietäre Systeme

Verstärkte Kooperation statt Krieg an den Unix-Fronten

06.03.1992

MÜNCHEN (CW) - Ein Ende des Dauerhickhacks um die richtige Open-Systems-Strategie ist abzusehen. Eine Woche nach der CeBIT wird die Unix International M0 die Übernahme des OSF-Produkts "Distributed Computing Environment" (DCE) bekanntgeben und damit die Zusammenarbeit mit der Open Software Foundation vertiefen.

Auf der Jahres-Mitgliederversammlung der UI in der letzten Februarwoche in San Diego hat die System-V-Entwicklerin USL eine neue Parole ausgegeben: "End all unix wars! Back to the common enemies!" Solche seien die proprietären Systeme und ihre Marktführer: oben IBM, unten Microsoft. Angesichts des Versuchs von Microsoft, mit Windows NT ein proprietäres Betriebssystem im quasi Unixeigenen Herzland der Workstations einzufahren, sei Einigkeit notwendig. Mahnte ein UI-Manager: "Der Sektenstreit innerhalb der Reformierten darf nicht fortgesetzt werden."

Zuletzt hatte sich die offizielle Ankündigung, DCE in die Entwicklungen der AT&T-Tochter USL einzubeziehen, verzögert. Das hatte im britischen Branchendienst "Computergram" prompt Befürchtungen genährt, eine Verständigung von OSF/1 und Unix System V.4 auf gemeinsame Schnittstellen könne doch wieder scheitern.

Das Informationsembargo war offenbar nur taktischer Art. Die OSF und die UI, die sich in der Vergangenheit zum Teil heftig befehdet haben, können eine weitere Normalisierung ihrer Beziehungen bekanntgeben. DCE wird - wie im vergangenen Herbst mit dem UI-Strategieplan "UI-Atlas" angekündigt - in System V integriert. Sobald die OSF das zugehörige Distributed Management Environment (DME) erstellt hat, soll auch die Übernahme dieses Produkts erfolgen.

Zum Streit um das "Application Neutral Distribution Format" (ANDF), durch welches die Übernahme von Software auf verschiedene Rechnerarchitekturen erleichtert wird, läßt eine Äußerung von USL-Europa-Chef Roel Piper eine Einigungsmöglichkeit erkennen. Nach seinen Worten habe die UI angeben, wie ihre diesbezüglichen Vorstellungen seien. Er gehe davon aus, daß die OSF unter Berücksichtigung dieser Vorgaben eine Definition vornehmen werde. Keine Einigung ist vorerst in der Frage der Kernel-Technologie angestrebt. Die UI bevorzugt "Chorus", während die OSF ihren Betriebssystemkern "Mach" fortentwickeln wird. Nach UI-Angaben liegt hierin kein Konfliktpotential, weil eine Übereinstimmung in diesem Punkt technisch nicht unbedingt erforderlich sei.

Es scheint also entgegen ersten Gerüchten aus den USA und Großbritannien noch kein formaler Friedensvertrag zwischen der UI und der OSF auf der Tagesordnung zu stehen. Alain Fastré, Europa-Chef der OSF, bemerkte zu solchen Spekulatiationen: "Die USL ist für uns ein Business-Partner wie alle anderen auch." Auch Graham Wilson, Sprecher der UI-Europa, sprach lediglich von einer "Fortsetzung der Kooperation". Ein umfassender Kooperationsvertrag sei bestenfalls "Gegenstand künftiger Verhandlungen".

Es hat zudem den Anschein, als gebe es auch in der Unix International noch Widerstand gegen den Schulterschluß mit der OSF. Ein UI-Manager begründete seine Skepsis mit der Aussicht, "im Laufe des Jahres könnte deutlich werden, daß die UI dann als Pressure Group überflüssig wäre. Das pulsierende Leben könnte erlahmen."

Denn während sich die OSF Produktentwicklungen zur Aufgabe setzt, hat die UI -diese Aufgabe der USL überlassen und sich vor allem für die "Enteignung" von AT&I und die Öffnung des Standard-Betriebssystems stark gemacht. Auf der Jahres-Mitgliederversammlung der UI zeigte sich allerdings zunehmender Willen zur Einigkeit der Unix-Fraktionen.