Vergleichbarkeit als Hauptanreiz

Versicherungen finden E-Business schwierig

09.06.2000
MÜNCHEN (gfh) - Nach den Banken wollen nun die Versicherungen das Internet erobern. Tatsächlich signalisieren die Surfer Interesse an Online-Policen. Doch in der Versicherungsbranche gelten Regeln, die einen Erfolg als zweifelhaft erscheinen lassen.

"Im Internet schlummert ein enormes Potenzial für Versicherungsanbieter", orakelt Forit-Analyst Robert Mutschler in der Zusammenfassung der von ihm verfassten Studie "Internet-Versicherungen in Deutschland". Trotz der durchgängig optimistischen Prognosen zeigt die Studie, wie schwer es ist, dieses Potenzial zu aktivieren.

Am Interesse der Kunden fehlt es nicht. 43 Prozent der von Forit befragten 509 Personen sind bereit, in den kommenden zwei Jahren eine Online-Police abzuschließen und zu verwalten. Erstaunlicherweise spielen preisgünstige Lockangebote bei dieser Gruppe nur eine geringe Rolle. Sie erhofft sich vielmehr eine bequeme Verwaltung und Kontrolle des eigenen Versicherungs-Portfolios via Browser. Die größte Bedeutung (83 Prozent) hat für die Befragten jedoch die Hoffnung, dass das Internet es ihnen ermöglicht, die verschiedenen Angebote nach Preis und Leistung zu vergleichen. Aus diesem Grund liegen die Versicherungsmarktplätze mit 44 Prozent der Nennungen ganz oben auf der Liste der gewünschten Angebote. Klassische Versicherer wie die Allianz, die nur zögerlich auf die Web-Technik zugehen, bezweifeln allerdings, dass sich komplizierte Leistungen wie Lebensversicherungen online sinnvoll vergleichen lassen.

Die Gründe klassischer Versicherer, beim Internet-Geschäft vorsichtig zu sein, haben viel mit den besonderen Bedingungen der Branche zu tun. Seit die Anbieter im EU-Raum nicht mehr an nationale Grenzen gebunden sind, ist eine Konkurrenzsituation entstanden, die auf die Margen drückt. Die nahe liegende Vermutung, dass gerade das Internet die Chance bietet, den heimischen Markt ohne großen Aufwand auszuweiten, wird von Fachleuten nicht gestützt: "Im Versicherungsmarkt herrscht ein Verdrängungswettbewerb, da niemand zusätzliche Versicherungen abschließt, nur weil sie im Internet angeboten werden", verriet Mutschler der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der steigende Wettbewerbsdruck werde zu einem Margenverfall und zu mehr Service führen.

Zu den zentralen Problemen der Online-Versicherer gehört die rechtliche Unsicherheit. Lange Zeit waren online abgeschlossene Verträge nicht rechtskräftig, weil ihnen eine gültige Unterschrift fehlte.

Mit der Signatur-Richtlinie der Europäischen Union, die seit 1. Januar 2000 in Kraft ist, wurde jedoch die digitale Signatur der Unterschrift per Hand gleichgestellt. Anders als in anderen europäischen Staaten, die die Richtlinie noch umsetzen müssen, gilt sie in Deutschland schon, weil es hier bereits zuvor ein entsprechendes Gesetz gab. Im Versicherungsbereich existieren laut Forit jedoch weitere in der Studie nicht konkret benannte rechtliche Vorschriften, die einen ordnungsgemäßen Vertragsabschluss bislang unmöglich machen.

Trotzdem bieten einige wenige Online-Versicherer Vertragsformulare im Internet an, bei denen es sich rechtlich allerdings nur um einen Antrag handelt (siehe Kasten "Internet-Versicherungen"). Tatsächlich wird die eigentliche Police binnen 14 Tagen zugestellt und nach weiteren zwei Wochen rechtskräftig, falls der Kunde keinen Einspruch anmeldet. Während dieser Zeit, in der die Versicherung "schwebend unwirksam" ist, gewähren die Versicherer bereits den vereinbarten Schutz und gehen damit ein gewisses Risiko ein.

Hinzu kommt, dass das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) den Online-Versicherungen skeptisch gegenübersteht. Nach dessen Auffassung muss der Kunde noch vor dem Abschluss eines Vertrags schriftlich bestätigen, dass er über die Inhalte und Konsequenzen der Versicherung informiert wurde. Die Darstellung der Verbraucherinformation am Bildschirm reiche dazu nicht, zumal nicht einmal sichergestellt werden könne, dass der Kunde sie sich ausdruckt. Das Fehlen einer unterzeichneten Verbraucherinformation macht den Versicherungsvertrag zwar nicht ungültig, erhöht aber das Risiko für den Versicherer noch weiter. Konkret verlängert sich die Einspruchsfrist für den Kunden von zwei Wochen auf zwölf Monate nach Zahlung der ersten Prämie.

Möglicherweise sind einige Versicherungen bereit, diese Risiken zu tragen, um sich den Online-Markt zu erschließen. Sollte das Geschäft jedoch anziehen, dann wächst mit jeder zusätzlichen Police die Gefahr, auf unwirksamen Verträgen sitzen zu bleiben.

Wenn trotz dieser wenig ermutigenden Rahmenbedingungen die Zahl der Online-Versicherer rasant ansteigt, liegt das daran, dass sich, so Forit, heute mit 43 Prozent schon fast die Hälfte der befragten E-Commerce-User für eine Online-Versicherung ernsthaft interessieren. Daraus errechnet der Autor ein Kundenpotenzial von sieben Millionen Kunden. Bis zum Jahr 2004 sollen 8,5 Prozent aller Versicherungsausgaben über das Internet erfolgen. Grundlage für diese Prognose ist allerdings die Annahme, dass sich der E-Commerce-Markt weiterhin ähnlich stürmisch entwickelt wie in den vergangenen Jahren.

Als Anzeichen für eine große Bereitschaft zum Wechseln auf eine Online-Versicherung deutet Forit, dass sich nur fünf der 509 Befragten als markenbewusst bezeichneten. Gleichzeitig gaben allerdings fast ein Drittel (30 Prozent) derjenigen, die ernsthaft eine Online-Versicherung erwägen, den bisherigen Versicherer als Wunschpartner an.

Aber auch im Fall einer geringen Markenbindung ist nicht davon auszugehen, dass Kunden bereit sind, teure Lebensversicherungen bei einem unbekannten Internet-Startup abzuschließen. Und selbst bei einer Haftpflicht-versicherung möchten die Kunden wissen, ob die Assekuranz tatsächlich zahlungsfähig ist. Insofern haben bekannte und als seriös geltende Anbieter durchaus einen Vorteil gegenüber den meist noch recht unbekannten Online-Versicherern.

Tatsächlich werden derzeit vor allem leicht vergleichbare Standards wie Haftpflicht, Kfz- und Hausratversicherungen sowie Rechtsschutz nachgefragt. Kompliziertere Angebote wie Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungen sind noch selten. Versicherungen für Geschäftskunden wird es laut Forit erst zu einem späteren Zeitpunkt geben. Dort gehe es weniger um das Abschließen der Versicherungen selbst als um Möglichkeiten, die Verwaltung von Versicherungsportfolios effizienter auszuschöpfen. Dafür fehlt es derzeit jedoch an Geschäftsmodellen im Internet.

ZUR METHODEGrundlage der Studie ist die repräsentative Befragung von 509 Deutschen, die alle mindestens drei Versicherungen abgeschlossen und bereits im Internet eingekauft haben. Außerdem wurden Vertreter der Versicherungsbranche und unabhängige Fachleute zu Rate gezogen.

Außen vor blieben auch Versicherungen für Geschäftskunden, weil es hier noch an zielgruppengerechten Angeboten mangelt, sowie die gesetzlichen Krankenkassen, die in einem regulierten Markt agieren. Von den Privatkunden fallen damit allerdings die große Menge der geringer verdienenden Versicherten durch das Raster.

Zudem interessiert sich der Verfasser der Studie vor allem für die 218 unter den 509 Befragten, bei denen er eine starke Neigung zu Online-Versicherungen festgestellt hat. Insofern sind kritische Aussagen in dieser an sich versicherungsfreundlichen und vergleichsweise zahlungskräftigen Gruppe besonders ernst zu nehmen.

KERNAUSSAGEN ZUM MARKT-Starkes Wachstum im Markt für Online-Versicherungen bedeutet keinen Boom für das Versicherungswesen generell. Vielmehr setzt eine Kannibalisierung der klassischen Vertriebswege und eine Gefährdung des Außendienstnetzes ein.

-Bis 2004 sollen rund acht Prozent des Versicherungsvolumens online abgeschlossen werden.

-Am stärksten werden standardisierte, wenig beratungsintensive Leistungen online nachgefragt, etwa Haftpflicht-, Rechtsschutz-, Kraftfahrzeug- und Hausratversicherungen.

-Etwa die Hälfte aller Online-Policen werden bis 2004 über virtuelle Marktplätze abgeschlossen werden.

-Insgesamt erhöht sich der Druck auf die Branche, so dass eine Marktbereinigung zu erwarten ist.

-Online-Versicherungen für Geschäftskunden lassen auf sich warten.

INTERNET-VERSICHERUNGEN

Klassische Versicherungen

- HUK Coburg

(www.huk.de)

Kfz- und Rechtsschutz, Vertragsabschluss online*.

- Censio AG

(www.censio.de)

Vergleicht Kfz-Versicherungen, Vertragsabschluss online möglich, weitere Angebote für Mitte Juni geplant.

- Cosmos Direkt Versicherungs AG

(www.cosmosdirekt.de)

Ausdruckbare Formulare für Risiko-und Kapital-Lebensversicherung und private Rentenversicherung sind per Post an den Versicherer zu schicken.

- Deutsche Allgemeine Versicherungs AG

(www.deutsche-allgemeine.de)

Vertragsabschluss online für Privat- und Kfz-Versicherungen, Bestellen von Angeboten für Lebensversicherungen.

- Allstate Direct Versicherungs AG

(www.allstate.de)

Autoversicherungen, kein Online-Abschluss.

- Asuro AG

(www.asuro.de)

Vergleicht und vermittelt verschiedenste Versicherungen von rund 100 Anbietern, Antrag kann online bestellt werden.

- Allianz

(www.allianz.de)

Derzeit nur Informationen

*Vertragsabschluss online bedeutet in der Regel, dass die Police per Post zugesandt wird und die Versicherungswirkung auf Kulanzbasis sofort einsetzt.

Reine Online-Versicherungen

- Insweb Corp.

(www.insweb.com)

Vermittelt Versicherungen von 49 Partnern für Kfz, Leben, Krankheitsfall, Hausrat, Haustier etc. Police wird beantragt, Vertragsabschluss online nicht möglich.

- Insurance City

(www.insurancecity.de)

Vermittelt 17 verschiedene Versicherungen, Antrag wird online an den Versicherer geschickt.

- Onsecure Financial Services GmbH

(www.onsecure.de)

Vermittelt Sachversicherungen, Privathaftflicht, Risiko-Leben, Unfall und Kfz, Vertragsabschluss online ist möglich.

- Ineas Insurance Company

(www.ineas.de)

Bislang nur Haftpflicht und Hausrat, Vertragsabschluss online möglich.

Versicherungsmärkte

- Finanzscout24.de

(www.finanzscout24.de)

Vergleicht 10 000 Tarifkombinationen von über 200 Anbietern, Online-Antrag bislang nur im Bereich Lebensversicherungen möglich.

- Compaer.com

(www.compaer.com)

Vergleicht bislang nur sieben Autoversicherungen, Vertragsabschluss online ist möglich.

Abb.1: Anforderungen

Vergleichbarkeit und Transparenz der Tarife werden unumgänglich. Ob komplexe Versicherungsleistungen tatsächlich vergleichbar werden, wird von klassischen Anbietern bezweifelt. Quelle: Forit

Abb.2: Ablehnung

77 Prozent der Befragten wollen einen persönlichen Ansprechpartner, selbst wenn sie bereit sind, eine Versicherung online abzuschließen. Quelle: Forit

Abb.3: Vertragsabwicklung

Die Interessenten an einer reinen Internet-Lösung sind derzeit mit 16 Prozent noch in der Minderheit. Quelle: Forit