Kommerzielle Unix-Anwendungen im Großhandelsbereich

Vernetzte Unix-PCs lösen die proprietären Systeme ab

08.05.1992

*Ulrich Schmidbauer ist freier Autor in München.

Der Großhandel mit seiner enormen Produktvielfalt ist ohne EDV-Lösungen nicht mehr wettbewerbsfähig. Traditionell bildete er bisher die Kundschaft der Hersteller von mittelgroßen, proprietären Multiuser-Anlagen. Inzwischen lassen sich auch für diese Größenordnungen Unix-Systeme mit Desktop-Rechnern aufbauen, die spielend die geforderte Leistung bringen. Am Beispiel eines Großhandelsbetriebs soll gezeigt werden, wie eine PC-Unix-Anlage mit einer fertigen Software-Lösung diese Aufgaben bewältigt.

Im Bereich der Eisenwaren und Baumärkte schlagen sich Großhandelsunternehmen vor allem mit der Unzahl der einzelnen Artikel ihres Sortiments herum. Zu Zeiten, in denen Lagerhaltung reiner Luxus ist, wo die Umschlagshäufigkeit der Produkte den Ausschlag für die Wettbewerbsfähigkeit gibt, wird der Einsatz von DV unabdingbar. Bis vor ein paar Jahren waren Anbieter wie Nixdorf in dieser Branche mit der mittleren Datentechnik, wie es damals hieß, dominierend. Tatsächlich steht noch so manche 8870 mit dem Paderborner Logo in Großhandelsbetrieben.

Die Zeit der proprietären Rechner ist abgelaufen

Wer ein neues System installiert, hat immer noch die Möglichkeit, sich proprietäre mittelgroße Rechner anzuschaffen. Die IBM, mangels Konkurrenten Meisterin dieser Disziplin, bietet mit ihrer AS/400 durchaus leistungsfähige Hardware. Die Crux an der Sache: Aus dem Blickwinkel offener Systeme folgt der Midrange-Rechner einem veralteten, weil proprietären Konzept. Auch beim Preis-Leistungs-Verhältnis stellt IBMs "Mittellösung" noch lange nicht die Ultima ratio dar. Moderne PCs der 386er und erst recht der 486er Klasse leisten genug, um als Host einer Unix-basierten Multiuser-Lösung fungieren zu können und bieten zudem ausreichende Möglichkeiten, Massen- und Systemspeicher auszubauen.

Kombiniert der Anwender die PC-Hardware mit geeigneter System- und praxisgerechter Anwendungssoftware, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Die Frage nach geeigneter Systemsoftware bedeutete im Fall des Eisenwaren- und Baustoffe-Groß- und Einzelhandels Sigmund Bauer aus Bad Tölz eine Entscheidung für Unix. Dazu riet der Diplom-Betriebswirt und DV-Unternehmensberater Erwin Fritz, der für seinen Kunden ein altes System, eine Kienzle-9055-Anlage aus dem Jahre 1981 mit drei Arbeitsplätzen, komplett auswechseln sollte. Für Unix sprach er sich aus, da dieses Betriebssystem stabiler und einfacher zu handhaben sei als PC-LAN-Software. Außer dem ermögliche es die volle Ausnutzung der Hardwarekapazitäten und ihrer Leistung.

Ausschlaggebend für den Einsatz eines bestimmten DV-Typs waren jedoch weniger Betriebssystem-philosophische Überzeugungen als vielmehr anwendungsbezogene Argumente. Das Unternehmen, in dem etwa 50 Mitarbeiter beschäftigt sind, verkauft neben Baustoffen Eisenteile und Werkzeuge aller Art - das klassische Produktspektrum eines Baumarktes.

Mit der Entscheidung für das, Unix-Betriebssystem war es jedoch noch nicht getan. Die, Kombination aus Groß- und Einzelhandel mit den verschiedenen kaufmännischen

Anforderungen sowie die drei in der Abrechnung teilweise vollkommen unterschiedlichen Produktbereiche ließen sich nicht so leicht unter einen "Software-Hut" bringen.

Zentrales Kaufkriterium war die Anwendungssoftware

Die Lösung bei der Firma Bauer erarbeitete Unternehmensberater Fritz zusammen mit einem Distributor und einem Softwarehaus. Die Forderung war, eine leicht erlernbare Anwendungssoftware zu finden, die darüber hinaus die beschriebenen Aufgaben lösen konnte. Eine grafische Benutzeroberfläche stand dabei nicht an erster Stelle im Pflichtenheft, ganz im Gegenteil: Beim Test mehrerer Applikationen entschieden sich die Mitarbeiter deutlich gegen Studie GUIs (Graphical User Interface), die Akzeptanz für nichtmausgesteuerte Software lag erheblich höher.

So stieß Fritz auf das Münchener Systemhaus Lynix und deren Kooperationspartner, den Unix-Hard- und -Softwaredistributor Computerlinks. Lynix bietet Unix-Applikationen an. Beispiel dafür ist das Softwarepaket Merkur. Diese mit dem Entwicklungs-Tool Informix 4GL geschriebene Software mit dem beziehungsreichen Namen des altrömischen Gottes der Händler stellt ein Mehrplatz-fähiges, modular aufgebautes Warenwirtschaftssystem mit integriertem Dienstleistungsteil dar, das auf dem relationalen Datenbankprodukt Informix aufbaut und unter dem deutschsprachigen Unix-Derivat Eurix läuft.

Eine grafische Oberfläche war nicht erforderlich

Die Benutzeroberfläche von Merkur ist dialogorientiert und kann sowohl in Menü- als auch in Window-Technik bedient werden. Über einen Generator läßt sich für jeden einzelnen Benutzer ein eigenes Menüsystem definieren. Inhaltlich werden alle wichtigen Teile des Groß- und Einzelhandels abgedeckt, vom Bestellwesen und dem Wareneingang über Lagerverwaltung, Auftragsbearbeitung und Fakturierung bis hin zu einer permanenten Inventur. Zudem verfügt die Software über mehrere Kassensysteme (Registrier-, Daten- und Terminal-Kassen).

Der Baustoffe- und Eisenwaren-Großhändler Bauer ging stufenweise vor. Zuerst wurde ein Fibu-Modul installiert und getestet, anschließend das Warenwirtschaftssystem. Auch für die einzelnen Abteilungen lag ein Ablaufplan bereit: Das Warenwirtschaftssystem erfaßte erst die Auftragsabwicklung, dann das Bestellwesen etc. Insgesamt wurden in der ersten Installationsphase 15 Arbeitsplätze bereitgestellt, die in einer zweiten Ausbaustufe um weitere fünf Plätze erweitert werden sollen.

Bauliche Gegebenheiten bestimmen die Vernetzung

Die Hardware-Installation bereitete aufgrund der baulichen Gegebenheiten Probleme. Die Hauptlast der Datenverarbeitung tragen Verwaltung und Verkauf. Jener liegt über einer Halle, durch einen Hof vom Verwaltungsgebäude getrennt. Nachdem der Host in der Verwaltung steht, schied die typische Anbindung von Unix-Rechner und Terminal durch sternförmige Vernetzung aus. Es hätten dicke Kabelstränge quer über den Hof gelegt werden müssen, um die einzelnen Arbeitsplätze im Verkaufsbereich zu erreichen.

Für derartige Fälle existieren zwei grundsätzliche Lösungsansätze: Entweder vernetzt der Anwender die Verwaltung und den Verkauf über ein Ethernet-Backbone, oder er setzt ein serielles Terminal-Cluster-System ein.

Die Ethernet-Version, sonst sicher eine elegante Lösung, wurde verworfen. Sie ist für diese Anwendung zu kompliziert in der Installation und der Wartung. Der Baustoff-Großhändler entschied sich für die Cluster-Lösung, ein Equinox RISC-Board mit serieller Terminal-Anbindung. Über ein einziges Kabel können bis zu 24 Arbeitsplätze mit dem Host verbunden werden. Dabei besteht das gesamte System nur aus drei Teilen: Im Host steckt die Controller-Karte. Daran wird ein RS422-Kabel angeschlossen, das am anderen Ende in einer Box endet, die die 24 serielle Terminal-Schnittstellen beherbergt.

In den Sockelleisten des Verbindungsganges zwischen Verwaltung und Verkauf wurde also ein vieradriges, abgeschirmtes Kabel verlegt. Die Steckverbindung zwischen Host und Cluster funktioniert über die amerikanischen Telefonstecker, die RJll- oder RJ45-Jacks, die in Aufputzsteckdosen an der Wand gesteckt werden können. Das Verbindungskabel zwischen den beiden Gebäudeteilen ist fest eingebaut mit einer Steckdose an jedem Ende. Host und Cluster-Controller sind mit einem Verbindungskabel an je eine Steckdose angeschlossen. Dieses System hat sich als einfache und relativ störungsfreie sowie preiswerte Lösung erwiesen.

Als Host fungiert ein 486er EISA-PC mit 16 MB Hauptspeicher, zwei Floppy-Laufwerken, zwei 520 MB Festplatten und der Equinox Megaplex-Karte für die Anbindung an den Cluster. Der PC ist ein von Fritz vermarktetes OEM-Standardgerät, die Vernetzungshardware stammt von dem auf Kommunikationsprodukte für Unix-PCs spezialisierten Distributor Computerlinks. Die Verwendung dieser Standardausrüstung bietet den Vorteil, daß sich der Anwender nicht in eine Sackgasse begibt, sondern jederzeit mit preiswerten, weil standardisierten Komponenten aufrüsten kann.

Das Backup wird auf optische Platten abgelegt. Es handelt sich dabei um den wiederbeschreibbaren CD-Typ, der sich inzwischen in erschwingliche Preisregionen aufhält: Für etwa 300 Mark erhält man eine Disk mit dem Fassungsvermögen von 300 MB. Eurix unterstützt einen 1740-Adaptec-SCSI/EISA-Controller für die CD-Operationen. Logisch wird der Host mit der CD über ein "Mount" verbunden. Das Dateisystem der optischen Platte läßt sich einfach in das Root-Directory des Hosts einhängen. Ziel ist es, zu einem späteren Zeitpunkt auch die Archivierung über optische Speichermedien laufen zu lassen.

Für die einzelnen Arbeitsplätze können wahlweise Bildschirm-Terminals oder PCs ohne Laufwerke mit einer 80286-CPU und lediglich einem Floppy-Laufwerk zum Booten verwendet werden. An das Unix-System sind die PCs über eine Emulation angebunden. Hier bietet die Lynix-Software eine entsprechende Utility, die bis 38,4 KBaud stabil bleibt und wesentlich komfortabler als beispielsweise "Kermit" ist.

Bei der Firma Bauer ist man zufrieden mit der neuen DV-Lösung. Mit einem Gesamtaufwand von 120 000 bis 150 000 Mark einschließlich der Software läßt sich das System implementieren. Und obwohl eine System-Managerin eingestellt werden mußte, kann der kaufmännische Leiter von Einsparungen berichten. Die Reaktionszeiten auf Liefertermine sind geschrumpft, auf Lagerprobleme kann durch schneller verfügbare Auswertungen flexibler reagiert werden - für den Großhandel erhebliche Wettbewerbsvorteile.