Vielstimmigkeit löst die homogene Unternehmensprache ab

Vernetzte Gesprächskultur untergräbt alte Hierarchien

10.11.2000
MÜNCHEN (CW) - Die 95 Thesen, die dem Buch "Das Cluetrain Manifest" vorangestellt sind, erschienen zunächst im Internet - mit großer Resonanz. Im Zentrum steht die Behauptung, dass die Online-Konversationsformen der New Economy die klassischen Unternehmens- und Marktstrukturen aushöhlen. "Märkte sind Gespräche", behaupten die Autoren. Von Inge Stutzger*

Eine Lektion wollen die Autoren des Cluetrain Manifest den Hütern der traditionellen Wirtschaft zweifelsohne erteilen: "Die neue Form von Gesprächen findet zwischen euren Mitarbeiter und euren Märkten statt. Sie werden immer pfiffiger und verfügen über einen reichhaltigen Wissensschatz." Sie könnten auf diese Weise nicht nur überkommene Machtstrukturen aushebeln. Angeblich finden die Kommunikationsteilnehmer nach den Entfremdungsprozessen durch die Old Economy auf diesem Weg sogar ihre "authentische menschliche Stimme" wieder. Immerhin entspringe die Sehnsucht nach dem Web einer durch und durch verwalteten und gemanagten Welt.

Das Forum, in dem sich diese neue Konversation entwickelt hat, ist demnach vor allem das Intranet. Es versetzt beispielsweise Mitarbeiter in die Lage, Ansichten oder Entscheidungen der Geschäftsführung zu kommentieren. Diese Kommunikationsinfrastruktur ermutige Arbeitnehmer zur stärkeren Einmischung, was die Autoren "Empowering", also Ermächtigung, nennen. Aber auch der Geschäftsführung, sofern sie sich darauf einlässt, biete das Netz die Chance, mit den Mitarbeitern in einem neuen Stil zu kommunizieren. Die Initiative zum Aufbau der Intranets komme indes zumeist von den Mitarbeitern beziehungsweise Märkten selbst. Nun bestehe die Herausforderung darin, Mitarbeiter und Märkte zusammenzubringen: "Unternehmen, die clever genug sind, dies zu erkennen, stiften selbst zur betriebsinternen Anarchie an."

Die Autoren rufen sogar dazu auf, die Firewalls zu stürmen, um mit dem Business as usual aufzuräumen. Sie räumen zwar ein, dass Sicherheitsdenken nicht verkehrt sei, dennoch entwickle es sich kontraproduktiv: "Man lädt Kunden nicht ein, Verbesserungs- und Entwicklungsvorschläge einzubringen, indem man sie aussperrt."

Der wichtigste Marktplatz der Zukunft, meinen die Autoren, konstituiere sich durch vernetzte Kommunikation. So sprechen sich die Märkte buchstäblich herum. Auch für PR-Leute eröffnen sich Chancen: Sie können in ehrliche Gespräche etwa mit Journalisten eintreten, wenn die Unternehmen auch Darstellungen zulassen, die nicht völlig homogen sind. Dieser Weg verschaffe den Firmen eine wirksamere PR.

Das Buch enthält viele Anregungen auch für Manager. Dennoch wirkt das Pathos seiner Autoren manchmal übertrieben; auch vor Schwafelei sind sie des Öfteren nicht gefeit. Dennoch ist ihre Botschaft ernst zu nehmen: "In Online-Märkten wird über Unternehmen gesprochen, ob es ihnen recht ist oder nicht."

Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls, David Weinberger: Das Cluetrain Manifest. 95 Thesen für die neue Unternehmenskultur im digitalen Zeitalter. München: Econ 2000. 281 Seiten, 36 Mark.

*Inge Steutzger arbeitet als freie Autorin in München.