Gute Personalentwicklung als Rezept gegen Abwerbung

Verlust eines Mitarbeiters kostet 300000 Mark

11.05.2001
Kein Unternehmen mag Headhunter,und trotzdem greifen die Firmen gern auf die Dienste der Kopfjäger zurück. Gegen Abwerbung hilft nur eine professionelle mitarbeiterorientierte Firmenpolitik. Von Rainer Spies*

Kaum ein Gerichtsurteil hat in den vergangenen Monaten für so viel Wirbel gesorgt wie der bereits ein Jahr zurückliegende Schiedsspruch des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart. Danach ist die telefonische Ansprache von Mitarbeitern am Arbeitsplatz zum Zweck des Abwerbens - auch Direct Search oder Headhunting genannt - illegal. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Revision gegen das Urteil abgelehnt.

Dennoch ist die Entscheidung umstritten, da das Abwerben im Rahmen des "Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb" grundsätzlich erlaubt ist. Inzwischen ist auch ein älteres Urteil vom OLG Frankfurt bekannt geworden, das bei einer ähnlichen Sachlage völlig anders entschieden hat. Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) will daher gegen den Richterspruch aus Stuttgart auf europäischer Ebene vorgehen. Eindeutig sittenwidrig ist allerdings, wenn der Mitarbeiter von einem Personalberater aktiv zum Vertragsbruch verleitet oder der Arbeitgeber geschädigt werden soll.

Wie kaum in einem anderen Wirtschaftsbereich sind in der IT- und TK-Branche Fach- und Führungskräfte heiß begehrt. Gesucht werden vor allem Entwickler, Systemingenieure, Netzplaner, Projekt- und Produkt-Manager mit marktorientierten Kompetenzen. Für die Führungsetagen sind Manager mit Überzeugungskraft, Motivationsfähigkeiten und Coaching-Qualitäten gefragt.

"Der Mangel bleibt auch in Zukunft bestehen", prognostiziert Thomas Deininger, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Executive-Search-Berater (VDESB). In der Vereinigung werden 30 Prozent des Umsatzes im IT-Bereich erwirtschaftet. Bei einzelnen Spezialisten beträgt dieser Wert sogar nahezu 100 Prozent. Die Großen der Zunft wie Kienbaum, Heidrick & Struggles und Ray & Berndtson erwirtschaften pro Jahr Honorarumsätze zwischen 70 und 100 Millionen Mark. Insgesamt setzten die 2000 Personalberatungsunternehmen im vergangenen Jahr 2,25 Milliarden Mark um. An den Zahlen wird deutlich, dass es sich bei Direct Search um mehr handelt als nur das telefonische Abwerben einzelner Mitarbeiter.

Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack. Denn wer kennt sie nicht, die Klagen von Mitarbeitern über ungebetene Anrufe von Reseachern? Diese erledigen im Auftrag der Personalberater die Ansprache per Telefon und agieren meist selbständig. Was sie dabei den Umworbenen, um deren Interesse zu wecken, erzählen, entspricht nicht immer den Tatsachen. Hier könnte das Stuttgarter Urteil eine heilsame Wirkung entfalten, denn die Personalberater möchten ihren Ruf wahren. "Wir kontaktieren nur einmal und bitten keine Firmenunterlagen he-raus", fasst Deininger die Verhaltensregeln der VDESB zusammen. Entsprechende Vertragsklauseln mit den Researchern könnten der Branche gut tun.

Abwehrmaßnahmen gegen BeraterVerläuft ein Abwerbeversuch erfolgreich, so hat das Unternehmen den Schaden. Der Verlust eines Ingenieurs kostet nach Gunther Olesch, Personalleiter bei der Phoenix Contact GmbH, rund 300000 Mark. "Auch die Gehälter werden durch die Abwerbepraxis immer weniger über Leistung gesteuert", beklagt Holger Kerkow, Leiter der Sektion Resourcing Management der Deutschen Börse AG. In der IT- und TK-Branche seien bei den Einkommen allerdings inzwischen die eklatanten Unterschiede zu den USA und Großbritannien abgebaut, sagt Deininger.

Angesichts der Schattenseiten der Direktansprache wundert es nicht, dass viele Unternehmen Abwehrmaßnahmen eingeleitet haben. Damit die Researcher erst gar nicht bis zu den Mitarbeitern vordringen können, berät die David Charles Consulting GmbH in puncto telefonische Sicherheit.

Denn zum einen beauftragen oft auch die Firmen Personalberater, die sich über die aktuelle Praxis beklagen. "Das Spiel geht in der gesamten Branche reihum", so Stefan Pfisterer vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom). Zum anderen tendieren immer mehr Unternehmen dazu, ihren eigenen Mitarbeitern Prämien für das Anwerben von Kollegen zu zahlen. Doch wo sollen die neuen Mitarbeiter herkommen, wenn nicht aus anderen Firmen oder sogar von einem direkten Konkurrenten? Kerkow rät jedenfalls, die Potenziale anderer Rekrutierungsverfahren besser auszuschöpfen.

"Da an die Telefonnummern sowieso jeder herankommt, konzentrieren wir uns auf das Thema Mitarbeiterbindung", erklärt Quilco Hasemann, Human Resource Adviser im IT-Bereich der Deutschen Bank AG. Auch Olesch von Phoenix Contact richtet den Blick ins eigene Unternehmen und nicht auf feindliche Attacken. "Damit unsere Mitarbeiter zufrieden bleiben, schreiben wir Führungskultur sehr groß", sagt er. Führungskultur heißt bei Phoenix Contact unter anderem, mit den 5000 Mitarbeitern individuelle strategische und operative Zielvereinbarungen zu schließen. Die geringe Fluktuationsrate von 1,8 Prozent gibt dem Personalleiter Recht.

Keine Angst vor dem HeadhunterAuch kleine und mittlere Unternehmen haben nicht ständig Angst vor Headhuntern. Gunther Schröder, Geschäftsführer der GKS Network GmbH, nimmt jedenfalls die Abwerbeversuche gelassen zur Kenntnis. Er will seine Mitarbeiter durch individuelle Freiräume überzeugen. Dass nach einem Anruf eines Researchers prompt eine Gehaltsforderung an ihn herangetragen wurde, hat er noch nicht erlebt. Nach neueren Umfragen haben sich nämlich die Wünsche der Nachwuchskräfte verändert. Nicht mehr allein das Gehalt, sondern Entwicklungsmöglichkeiten, spannende Projekte, Verantwortung und internationale Einsätze sind mittlerweile Kriterien, die über einen Arbeitsplatzwechsel entscheiden.

Das gerät beim Lamento über die Arbeit der Personalberater manchmal aus dem Blick. Offensichtlich gibt es viele Fach- und Führungskräfte, die das Unternehmen wechseln möchten. Nach Branchenangaben verlassen 15 Prozent der Führungskräfte, das sind 74000 Personen, jährlich ihren Arbeitgeber. "Nach ein paar Jahren suchen eben viele neue Herausforderungen", sagt Wolfgang Schmücker, Geschäftsführer bei Schmücker & Partner Informationssysteme. Das ist verständlich, denn wer als Fach- und Führungskraft Karriere machen will, sollte Erfahrungen in unterschiedlichen Unternehmen und im Ausland gesammelt haben.

Besteht Interesse an einem Wechsel, sollte der Mitarbeiter mit dem Anrufer am Arbeitsplatz aber nur ganz kurz sprechen, und zwar wenn er allein ist. Das Gespräch kann nämlich die Treuepflicht verletzen, erklärt Joachim Eckert von der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG). Jeder weitere Kontakt sollte privat erfolgen. Von der Loyalität gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber kann es auch abhängen, ob später wieder ein Schritt zurück möglich ist.

*Rainer Spies ist freier Journalist in Marburg.