Verhandlungen über weitere Kreditlinien

Verkauft Lucent mit Glasfasersparte das Tafelsilber?

02.03.2001
MÜNCHEN (CW/IDG) - Die in Bedrängnis geratene AT&T-Tochter Lucent Technologies Inc. zieht offenbar alle Register, um sich aus den Schlingen ihrer derzeitigen Finanzmisere zu befreien. Nach jüngsten Spekulationen plant der TK-Equipment-Hersteller auch den Verkauf seiner Glasfasersparte.

Auf der Hauptversammlung am 21. Februar in Orlando bemühte sich CEO Henry Schacht, die Aktionäre durch Bekräftigung des bereits bekannten Sieben-Punkte-Plans zur Umstrukturierung des Unternehmens zu beschwichtigen. Dazu gehört die Trennung von Bereichen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Schacht hatte angekündigt, den bisher breit aufgestellten Konzern ausschließlich auf die Bereiche mobile Kommunikation und Produktion von Schaltelementen auszurichten. Insgesamt stehen bei dieser Restrukturierung rund 10000 Arbeitsplätze zur Disposition.

Unabhängig davon hält Lucent am Börsengang seines Chip-Spinoffs Agere fest. Allerdings kündigte Agere aufgrund zurückgehender Nachfrage für das laufende Quartal geringere Umsätze als erwartet an und stellte sogar einen operativen Verlust in Aussicht. Lucent verringerte deshalb die Preisspanne für das IPO auf 16 bis 19 Dollar. Bei einem mittleren Preis von rund 17 Dollar würde der Agere-Börsengang aber trotzdem rund 6,5 Milliarden Dollar in die Kasse von Lucent bringen.

Die Aussichten für den TK-Equipment-Hersteller bleiben jedoch trotz aller Anstrengungen trübe, wenn er seine Verschuldung nicht verringern kann. Ende Februar droht dem Vernehmen nach die Zahlungsunfähigkeit. In einer außergewöhnlichen Sitzung verhandelte das Unternehmen deshalb mit 30 Banken um die Bewilligung eines weiteren Kredits über 4,5 Milliarden Dollar. Außerdem hofft man auf verbesserte Konditionen für einen bereits bestehenden Zwei-Milliarden-Kredit, der als automatisch erneuerndes Akkreditiv auf fünf Jahre angelegt ist und ursprünglich am 22. Februar auslief. Hilfe tut Not, denn ohne neue Geldspritzen gerät Lucent in Gefahr, von den Rating-Agenturen als "spekulativer Kredit" eingestuft zu werden.

Ein weiteres Indiz für die prekäre Lage ist der Plan des TK-Equipment-Herstellers, sich möglichst schnell von seiner Tochter Optical Fiber Solutions zu trennen. Der Hersteller von Glasfaserleitungen konnte als einer der wenigen Kernbereiche des Konzerns im ersten Quartal 2001 noch wachsen und verbuchte im vergangenen Geschäftsjahr ein Umsatzwachstum von 60 Prozent. Ein Verkauf brächte dem Telco-Ausrüster nach Einschätzung von Branchenkennern bis zu acht Milliarden Dollar ein. Als potenzielle Käufer kommen Weltmarkt-Nummer-eins Corning Inc., JDS Uniphase und die französische Alcatel in Frage. Ein Zuschlag an Corning Inc., das dann mehr als drei Viertel des Marktes für Glasfaserkomponenten kontrollierte, dürfte jedoch am Veto der Kartellbehörden scheitern.

Lucent hatte im Januar 2000 eine Gewinnwarnung veröffentlicht und damit erstmals finanzielle Probleme angedeutet. Seither hat die Lucent-Aktie stetig an Substanz verloren, die Marktkapitalisierung fiel - gemessen am Allzeithoch - um rund 185 Milliarden Dollar. Im Februar setzte das Unternehmen einen Untersuchungsausschuss ein, dem Experten der US-Börsenaufsicht SEC angehören. Er prüft auch die Frage, ob der TK-Ausrüster unerlaubt knapp 679 Millionen Dollar Umsatz in der Bilanz für das Geschäftsjahr 2000 ausgewiesen hat.