Vergangenheitsbewältigung beginnt hier und heute

16.06.1983

MÜNCHEN (hh) - Auf breiter Front haben sich Data Dictionaries in Deutschland noch nicht durchgesetzt. Diese Systeme, die Ende der 60er Jahre auf den Markt kamen, eignen sich, Licht in das Chaos einer großen DV-Installation zu bringen. Aber ihr Siegeszug durch die bundesdeutschen Rechenzentren steht, wie gesagt, noch bevor. Eine ähnliche Situation findet man in den USA. Ein Beispiel für den Trend zur "automatisierten Ordnung" gibt die Besucherstatistik der "Data Administrator Conference", die 1979 von 14 Teilnehmern besucht wurde. Schon 1980 nahmen rund 120 Teilnehmer an der zweiten Konferenz zu diesem Thema teil. Im Jahr 1981 besuchten dann bereits 300 Anwender diese Tagung, und im vergangenen Jahr wurde die 500er-Grenze überschritten. Warum immer noch eigene Hauslösungen bevorzugt werden, liegt nicht nur in den Kosten begründet, die der Einsatz eines DD mit sich bringt. Der Nutzen eines "Daten-Wörterbuches" stellt sich nicht schnell genug ein.

Der Druck der täglichen Routinearbeit, so ist zu hören, hält viele Anwender davon ab, ihren Bestand an Daten durchzurosten und die Vergangenheitsbewältigung hier und heute zu beginnen. Gebunden wird die DV-Mannschaft häufig auch von laufenden Projekten wie Hardwareumstellungen oder anderen Systemveränderungen. Ein weiterer Punkt, der den Einsatz eines Data Dictionary verzögert, so erzählen Insider, liegt in der Größe der DV-Mannschaft selbst begründet. Bei einer geringen Mitarbeiterzahl wird vielfach davon abgesehen, ein derartiges Hilfsmittel einzusetzen - die Kommunikation klappt auch so, ist die Meinung. Keine Frage: Es gibt auch andere Möglichkeiten, die Daten sauber und übersichtlich zu halten, Dokumentationssysteme gehören dazu (siehe COMPUTERWOCHE 24/83, ab Seite 19). Ohne diesen Systemen jedoch ihre Existenzberechtigung abreden zu wollen, zeigen sich aber dort ihre Grenzen, wo es um "Information Resource Management" geht.

Zugegeben, die Einführung eines Data Dictionary erfordert viel Zeit und Geld. Man rechnet, so ergab die Recherche, mit einem Zeitraum zwischen zwei bis fünf Jahren, bevor das Projekt so steht, wie es soll. Viele manuelle Arbeit ist vonnöten, manches muß doppelt erledigt werden und der verantwortliche Datenadministrator hat bestimmt einen Vollzeitjob. Ein weiteres Problem liegt in der gewährten Hilfestellung von außen. Zwar bieten die Hersteller von Data Dictionaries in der Regel Unterstützung an, aber auch ihre Kapazitäten sind naturgemäß beschränkt. Langsam allerdings schwenken die Beratungsunternehmen auf diesen Anwendungsfall ein. Geboten wird dabei nicht nur Hilfe bei der Systemauswahl, sondern auch die Unterstützung bei der Implementierung und vor allem der Konzeptionierung des DD-Einsatzes. Der Service durch Dritte erscheint dringend erforderlich. Um ein DD-Projekt durchfuhren zu können, muß ein qualifizierter Mitarbeiter der angestammten Mannschaft abgestellt werden - und reißt dadurch eine Lücke.

Zu erwähnen bleiben noch die Kosten: Der Systempreis liegt in der Größenordnung von 35000 bis 120000 Mark. Dazu summieren sich die Ausgaben für Beratungsleistungen und Mitarbeiter. Nicht zu vergessen, daß auch Schulungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen.

Und daß die Schulung gerade auf diesem Sektor unbedingt erforderlich ist, bestätigen die Hersteller der Dictionaries. Wichtig hierbei ist vor allem der andere Denkansatz, der mit dem richtigen und sinnvollen Einsatz eines Metawörterbuches verbunden ist.

Die Neuformulierung bekannter Daten und Zusammenhänge erfordert, so bestätigen jene, die schon "durch" sind, einiges Hirnschmalz und viele heiße Diskussionen.

Hier liegt aber auch eine Gefahr. Häufig wird der Einsatz eines Dictionary mit dem Wunsch verbunden, alles besser machen zu wollen.

Unbeantwortet bleibt die Frage, für wen sich eigentlich der Einsatz eines Data Dictionary lohnt. Naturgemäß wächst der Wunsch nach diesem Hilfsmittel mit der Größe der Anwendung, aber auch schon in mittleren Systemklassen sind diese Produkte zur Zufriedenheit der Verantwortlichen installiert. Eine Zahl aus dem Markt: Branchenkenner sind sich einig, daß die Zahl der -eingesetzten Systeme 1000 in der Bundesrepublik nicht überschreitet.

Die Redaktion der COMPUTERWOCHE hat bei der Gestaltung dieses Spotlights ein Ziel verfolgt. Aufgezeigt werden sollten die Grenzen und Möglichkeiten von Data Dictionaries, aufgezeigt werden sollten ferner die Probleme, die bei einem Einsatz dieser Produkte auf die Verantwortlichen zukommen können oder werden. Gleichzeitig sollte aber auch Mut gemacht werden, im eigenen DV-Team über einen potentiellen Einsatz eines Data Dictionary zu diskutieren. Eine Marktübersicht, die die uns bekannten DD-Produkte mit ihren wichtigsten Eckdaten auflistet, gibt darüber hinaus erste Hinweise auf die zur Verfügung stehenden Produkte.