Verfügbarkeit konkreter Lösungen ist noch ungewiß

Verfügbarkeit konkreter Lösungen ist noch ungewiß Jini: Suns Flaschengeist steht Entwicklern zu Diensten

19.02.1999
CW-Bericht, Martin Seiler Bei der offiziellen Vorstellung von Jini Ende Januar demonstrierte Sun, wie das Verfahren das Zusammenspiel vernetzter Komponenten erleichtert. Obwohl das Produkt gute Chancen hat, sich bei Consumern und Profianwendern zu etablieren, dürfte bis dahin noch einige Zeit vergehen: Die fehlende Vernetzung von Privathaushalten und die geringe Verfügbarkeit von kompakten Java Virtual Machines (JVMs) für eingebettete Systeme sind nur zwei der Hürden, die es zu überwinden gilt.

"Haben Sie jemals daran gedacht, ein Telefon zu booten, wenn Sie telefonieren wollen? Natürlich nicht - Sie heben einfach den Hörer ab und wählen." So brachte Sun-Boß Scott McNealy das hinter der "Java Intelligent Network Infrastructure" (Jini) stehende Ziel auf den Punkt: Das Zusammenspiel nahezu beliebiger vernetzter Geräte soll so einfach werden, wie es das Telefonieren heute ist.

Frank Griffel, Projekt-Manager am Institut für Verteilte Systeme an der Universität Hamburg, ist sich sicher, daß Jini "ein Modell ist, das sich durchsetzt". Es sei gut durchdacht und zudem so kompakt, daß es sich gut als Ausgangsbasis für konkrete Lösungen nutzen lasse: "Dies ist sicherlich keines der üblichen Modelle, die irgendwann mal auftauchen und von denen ein halbes Jahr später niemand mehr spricht."

Auch die Auguren prophezeien Suns Netzwerkkonzept eine rosige Zukunft. So geht Mike West, Analyst bei der Gartner Group, davon aus, daß Jini bereits im Jahr 2002 eine wichtige Rolle spielen könnte: "Es gibt derzeit noch keine vergleichbare Technologie - durch Jini werden fortgeschrittene intelligente Netzwerke zur Realität." Auch die Spezialisten der International Data Corp. (IDC) stimmen dieser Einschätzung zu. Research Director Chris Willard etwa mißt Suns Netzwerkkonzept Bedeutung vor allem bei der Kommunikation zwischen Embedded Systems (Geräten mit fest integrierten Anwendungen) bei.

Doch gerade in dieser Hinsicht gibt es derzeit noch Probleme. Laut Griffel von der Universität Hamburg "steht und fällt die Technologie mit dem noch ausstehenden Beweis dafür, daß Geräte mit sehr eingeschränkten Ressourcen Jini nutzen können". Derzeit könne Jini auf jedem PC laufen. Eigentlich sei es aber für den Einsatz in Handies, Personal Digital Assistants (PDAs) oder ähnlichen Geräten entworfen worden. "Solche Lösungen gibt es derzeit einfach noch nicht", stellt Griffel fest. Er warnt auch vor Euphorie: "Was Suns Marketing-Abteilung darstellt, ist mehr, als die Technik momentan leisten kann."

"Zunächst einmal erlaubt Jini die Herstellung einer Kommunikation, also die Möglichkeit, einen Datenstrom auszutauschen", führt der Hanseat aus. Dies funktioniere automatisch und auch genau so, wie Sun es verspreche. "Das ist eine richtig feine Sache - worüber wir und die Herstellerwelt uns jetzt aber den Kopf zerbrechen, ist die Frage, wie sich auf Basis dieser möglichen Kommunikation auch wirklich Anwendungen integrieren lassen." Damit etwa jemand automatisch den Fahrplan oder eventuelle Zugverspätungen auf sein Handy eingeblendet bekommt, sobald er die U-Bahn betritt, bedürfe es der Koordinierung solcher Funktionen auf der Anwendungsebene. So müsse unter anderem das Mobiltelefon wissen, was für ein Datenstrom kommt, um eine dementsprechende Anzeigeform wählen zu können. "Die Basisidee ist rein technisch bewiesen", faßt Griffel zusammen, "jetzt steht die praktische Umsetzung aus."

Mit der offiziellen Vorstellung von Jini und der Bereitstellung des Sourcecodes für Entwickler macht Sun einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Mehr als 30 Hersteller (siehe Kasten "Suns Jini-Partner") haben schon mitgeteilt, Jini unterstützen zu wollen. Bislang handelt es sich aber um reine Absichtserklärungen, außer einigen wenigen Prototypen für Demonstrationszwecke gibt es noch keine Jini-fähigen Geräte.

Zunächst sollen Endkunden in den Genuß der Technologie kommen; an Lösungen für den Profibereich denkt Sun eigenen Angaben zufolge zwar auch, der Hersteller will dieses Segment aber erst "in einiger Zeit" angehen.

Mit ersten konkreten Produkten ist frühestens zwischen Mitte und Ende des Jahres zu rechnen. Dabei sehen sich die Hersteller laut Griffel vor allem der Herausforderung gegenüber, kleine und dennoch leistungsfähige Java Virtual Machines (JVMs) zu entwickeln, innerhalb derer der Jini- Code dann ausgeführt wird. Obwohl dafür nur eine Untermenge der Programmiersprache Java implementiert sein muß, "steht und fällt das Konzept dennoch mit der Verfügbarkeit von entsprechend kleinen JVMs für Jini-Geräte".

Leicht wird es Sun mit seiner Ausrichtung auf die Endkunden nicht haben: Während die Unternehmen in der Regel vollständig vernetzt sind, dürfte die fehlende Verkabelung in Privathaushalten eine wesentliche Hürde bei der Etablierung von Jini darstellen. Die Zahl derer, die sich zusätzlich zu den vorhandenen Wasserleitungen, Strom- und Telefonstrippen in ihren Wohnungen auch noch Kupferdoppelader- oder Koax-Kabel verlegen wollen, dürfte verschwindend gering sein. Als Alternative bieten sich Funk-LAN-, Radiowellen- oder Infrarotverfahren beziehungsweise solche Technologien an, die Daten über das Stromnetz schicken und empfangen. Es muß sich dabei nicht um eine einheitliche Technik handeln, laut Sun ist Jini unabhängig von der Art der Übertragung.

Tatsächlich hat sich der Hersteller Unterstützung aus mehreren Bereichen der Datenübertragung gesichert: Über Ericsson ist ein Gründungsmitglied der Bluetooth-Initiative mit an Bord - die Gruppe entwickelt kabellose Übertragungsmethoden auf Basis von Radiowellen (siehe CW 22/98, Seite 27). Anbieter wie Cisco oder IBM sind im eher klassischen Networking zu Hause, Adaptive Networks widmet sich dem Datentransport via Stromkabel. Die Hersteller Nokia und Motorola sind in den Bereichen Mobilfunk und Wireless-Verfahren aktiv.

Es hat demnach den Anschein, als habe Sun sich ausreichenden technischen Rückhalt für Jini gesichert. Ob diese Anbieter auch wirklich konkrete Lösungen entwickeln und wann diese verfügbar sein werden, muß sich zeigen. Davon abgesehen stehen längst nicht alle Zeichen günstig für das Verfahren. Sun rennt mit der Idee der Vernetzung der Haushalte bei den Anwendern nicht gerade offene Türen ein: Einer Befragung von über 600 Lesern der COMPUTERWOCHE zufolge geht derzeit nur etwa die Hälfte davon aus, daß die Geräte ihres privaten Haushalts in absehbarer Zeit vernetzt sind. Außerdem ist die Idee nicht neu: Sowohl Novell (Novell Embedded Systems Technology = Nest) als auch Microsoft (Win- dows at Work) hatten schon Versuche in die gleiche Richtung gestartet, die jedoch kläglich scheiterten. Nest - das unter anderem an zu hohen Lizenzgebühren für Entwickler krankte - wurde 1997 von Novell aufgegeben, Windows at Work dürfte bei Microsoft höchstens noch als Basis des Anfang Januar angekündigten Konzepts "Universal Plug and Play" gedient haben.

Mit diesem Verfahren will Microsoft ebenfalls die Kommunikation zwischen vernetzten Geräten vereinfachen. Kritiker warnen, dieser Ansatz sei zu eng an Microsofts Betriebssystem Windows angelehnt und verlange noch immer spezielle Treiberinformationen, die auf einer zentralen Instanz für alle übrigen Komponenten vorgehalten werden. Außerdem sei das Konzept zu PC-zentriert. Microsoft hingegen behauptet, Universal Plug and Play sei nicht nur im Zusammenhang mit PCs verwendbar. Klarheit in diesen Punkten wird wohl erst die endgültige Spezifikation für Universal Plug and Play bringen.

Ein weiteres Verfahren, das Ähnlichkeit zu Jini aufweist, ist "Jetsend" von Hewlett-Packard (HP). Neueren Angaben von Sun zufolge konkurrieren die beiden Technologien jedoch nicht miteinander, sondern ergänzen sich. Mittels Jetsend können Geräte wie Drucker, Scanner und PCs untereinander einen Informationsaustausch aushandeln. Das HP-Verfahren verfügt - anders als Jini mit seinem Lookup - nicht über eine Instanz, die im Netz zur Verfügung stehende Dienste vorhält, die Kommunikation erfolgt jeweils direkt zwischen den beteiligten Geräten. Außerdem ist Jetsend vor allem auf den Informationsaustausch zwischen Hardwarekomponenten ausgelegt, während das Servicekonzept von Jini auch Softwaredienste umfassen kann.

HP arbeitet einem offiziellen Statement zufolge daran, "Synergiebereiche zwischen Jini und Jetsend zu erkunden". Herbert Schwörer, Marketing Manager Electronic World bei HP, führt aus: "Es ist beispielsweise denkbar, daß über Jini vorhandene Geräte oder Services im Netz zunächst lokalisiert und registriert werden - Jetsend könnte in einem zweiten Schritt dann die Abwicklung der eigentlichen Kommunikation und den Informationstransport übernehmen."

Um Jini möglichst schnell in der Entwicklergemeinde zu verbreiten und auf diesem Weg wiederum die Akzeptanz der Hersteller weiter zu erhöhen, hat Sun sich dazu entschlossen, den Source- code für die Technologie frei zu verteilen. Jedes registrierte Mitglied der "Java Developer Connection"(die Aufnahme ist kostenlos) kann sich das in Java geschriebene Programm von den Web-Seiten des Anbieters herunterladen. Lizenzgebühren fordert Sun nur bei der gewerblichen Verwendung für tatsächlich produzierte Jini-fähige Geräte: Lizenznehmer bezahlen entweder eine Pauschale von 250000 Dollar jährlich oder entrichten alternativ eine Gebühr von zehn Cent pro verkaufte Jini-fizierte Einheit. Die Geräte dürfen dann mit dem offiziellen Jini-Logo, einer Zauberlampe mit aus dem Schnabel aufsteigendem Rauch, verziert werden.

Vielleicht rollen in absehbarer Zeit sogar Autos mit solch einem Aufkleber über die Straßen unserer Republik: Gerüchten zufolge arbeiten zwei große deutsche Automobilkonzerne bereits daran, wie sie Jini für die intelligente Kommunikation innerhalb von Fahrzeugen beziehungsweise von Fahrzeugen untereinander (etwa für Navigationssysteme) einsetzen können.

Suns Jini-Partner

Adaptive Networks Inc. (Datenübertragung via Stromkabel) America Online Inc. (Online-Dienst) Axis Communications Inc. (Thin Server) Bea Systems Inc. (Transaktionssoftware) Bosch-Siemens Hausgeräte GmbH Bullsoft (Netz- und TK-Management-Lösungen sowie Software für Internet-Sicherheit und E-Commerce) Canon Inc. (Kameras, Drucker) Cisco Systems Inc. (Netzkomponenten) Computer Associates International Inc. (System-Management) Creative Design Solutions Inc. (Speicherlösungen) Dallas Semiconductor Corp. (Halbleiter) Echelon Corp. (Intelligente Netze) Encanto Networks Inc. (Web-Server) Ericsson (Telekommunikationslösungen) Funai Electric Company Ltd. (Consumer-Elektronik, Haushaltsgeräte, Netzcomputer) IBM Corp. (Computersysteme, Netze, Software, Speicherlösungen, Services) Inprise Corp. (Entwicklungs-Tools, Middleware) Kinko''s (Büroausrüster) Kodak Corp. (Kameras) Metroworks Inc. (Entwicklungssoftware) Motorola Inc. (TK-Lösungen, Handies etc.) Novell Inc. (Netzsoftware) Nokia Corp. (Mobilfunk, Wireless) Oki Electric Industry Co. Ltd. (Telekommunikation, Elektrogeräte, Drucker) Philips Electronics N.V. (Unterhaltungselektronik, Telekommunikation, Halbleiter) Phoenix Technologies Ltd. (Software, unter anderem für PC-Bios) Quantum Corp. (Speicherlösungen) Samsung Electronics Co. Ltd. (Unterhaltungselektronik, Home Networking) Seagate Technology Inc. (Software, Speicherlösungen) Seiko Epson Corp. (Drucker) Sharp (Unterhaltungselektronik, Personal Digital Assistants = PDAs) Sony Corp. (Unterhaltungselektronik) Symbian Ltd. (drahtlose Kommunikation) 3Com Palm Computing (Palm Pilot) Tatung Inc. (PCs, Peripheriegeräte) Toshiba Corp. (Unterhaltungselektronik, PCs, Netzkomponenten, Kameras) Xerox Corp. (Kopierer, Drucker)

Jini - wie es funktioniert

Wird eine Jini-fähige Komponente an ein Netzwerk angeschlossen, meldet sich der innerhalb ihrer Java Virtual Machine (JVM) ablaufende Jini-Code über die ihm eigenen Verfahren Discovery and Join beim zentralen Lookup-Service im Netz an und offeriert dort die dem Gerät möglichen Dienste. Will beispielsweise ein Anwender von seinem Rechner aus einen bestimmten Dienst nutzen, sendet er via Browser eine Anfrage an den mit einem Schwarzen Brett vergleichbaren Lookup-Service, der ihm die Service-Informationen mitteilt. Der Jini-Browser des Anwenders zeigt daraufhin Icons für alle im Netz verfügbaren Jini-Geräte an.

Soll etwa eine zuvor lokal erstellte Datei im Netz gespeichert werden, muß als nächstes das Symbol für eine Festplatte gewählt werden, woraufhin abermals eine Anfrage an den Lookup des Jini- Servers erfolgt. Der Server sendet umgehend den benötigten Proxy- Code (vergleichbar den herkömmlichen Treiberinformationen) zur Bedienung des gewünschten Gerätes zurück. Der Browser zeigt die Funktionen für das Speichermedium an.

Die Benutzung eines Dienstes erfolgt unter Jini auf Basis einer "Lease" nur für eine bestimmte Zeit. Dabei hängt es vom jeweiligen Service ab, ob er während dieser Zeit exklusiv von einem oder aber von mehreren Anwendern gleichzeitig genutzt werden kann. Wird die Lease nach Ablauf nicht verlängert, erlischt das Nutzungsrecht. Mit diesem Verfahren soll auch verhindert werden, daß ein Nutzer Services anfordert, diese aber nach Gebrauch nicht "zurückgibt" (etwa weil der betreffende Rechner vorher ausgeschaltet wird), so daß sie anderen Anwendern nicht mehr zur Verfügung stehen.