Konsequente Beschränkung auf Industriestandards

Vereinsbank: Mit einer neuen IT-Struktur Richtung Zukunft

04.07.1997

Des einen Freud, des andern Leid: Die weltweite Transparenz der Finanzmärkte hat dazu geführt, daß die Gewinnspannen der Banken sinken. Universalbanken wie die Vereinsbank haben gegenüber den Spezialbanken mit etlichen Handicaps zu ringen. Ihre Geschäftsstruktur ist hochkomplex, die Konkurrenz mannigfaltig und der IT-Aufwand enorm.

Aber auch ohnedies gehören die Finanzdienstleister zu einer der Branchen mit dem höchsten Bedarf an Informationstechnik. Wie Eberhard Rauch, Mitglied des Vereinsbank-Vorstands, erläutert, verschlingen die Auflagen des Gesetzgebers allein zehn bis 15 Prozent des jährlichen Aufwands für die Software-Entwicklung. Zudem explodierten die Anforderungen in den Bereichen Controlling, Marketing, Risiko-Management und Treasury. Auch die Internationalisierung der Märkte verlange nach Software-Anpassungen. Und last, but not least sei Time to market auch auf dem Finanzdienstleistungssektor mittlerweile ein wettbewerbsentscheidendes Kriterium.

Mit den über Jahrzehnte gewachsenen Systemen lassen sich die Anforderungen kaum bewältigen, die das immer komplizierter werdende Geschäft an die Informationstechnik stellt. Auch bei der Vereinsbank hatte sich eine IT-Landschaft entwickelt, die laut Rauch aussah "wie Deutschland nach dem 30jährigen Krieg". Neben dem zentralen Mainframe und den via IBM 4700 und SNA angeschlossenen MS-DOS-Rechnern waren zahlreiche Insellösungen entstanden.

Dasselbe Bild auf der Softwareseite: Jeder Bereich hatte für seine Bedürfnisse maßgeschneiderte Cobol-Applikationen erstellen lassen, die vom I/O-Interface über die Kundendaten bis zur Organisationsstruktur ("was geht an wen"?) jede benötigte Komponente in einem einzigen Riesenprogramm zusammenfaßten. "Wir haben alle Eigenschaften eines Produktes in die Buchungslogik verpackt und uns dann gewundert, warum wir eigentlich im Bankenbereich keine Standard-Kundennummer anlegen und keine allgemeingültige Buchhaltung führen konnten", erinnert sich Rauch.

Aufgund der heterogenen und teilweise redundaten Systemwelt wuchs der Aufwand für die Schnittstellen-Pflege, das Versions-Management, die Mitarbeiterschulung und die Systemverwaltung kontinuierlich. Hinzu kam, daß geeignete Softwarewerkzeuge fehlten, die Abstimmung zwischen IS-Bereich und Fachabteilungen zu lange dauerte, die Mitarbeiter immer wieder nachgeschult werden mußten und eine wachsende Anzahl von IT-Spezialisten in Anpassung und Maintenance eingebunden waren.

Die Folgen blieben nicht aus: Die Software-Entwicklung hinkte den Anforderungen hinterher, das mühsam erstellte Gebilde aus Altsystemen und daran angepaßten Softwareprodukten reagierte zu schwerfällig, die Qualität ließ zu wünschen übrig, und die Wartung verschlang einen hohen Teil des IT-Budgets.

Die Vereinsbank erkannte bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts, daß sie ihre Informatik grundlegend überarbeiten mußte, um sie weiterhin als strategische Ressource einsetzen zu können. 1993 startete sie ein großangelegtes Redesign ihrer gesamten IT-Einrichtung - weg von der schwerfälligen Mainframe-Umgebung, hin zu einem flexibleren Client-Server-System.

Dabei sollen die vorhandenen und nicht ohne weiteres zu ersetzenden Anwendungen nicht verlorengehen. Das erfordert allerdings einschneidende Maßnahmen im wahrsten Sinne des Wortes: Die Informatiker der Vereinsbank sind derzeit damit beschäftigt, die monolithischen Applikationen in ihre operationalen und informativen Komponenten aufzuspalten. Die alten Interfaces müssen modernen GUIs weichen; die Output-Funktionen werden herausgelöst und zentral verwaltet.

Dasselbe gilt für die Kundendaten, die künftig zusammen mit den Daten der Nichtkunden geführt werden. Die Neugestaltung läuft auf eine saubere Trennung zwischen Konto und Produkt hinaus. Zudem entfernen die IT-Spezialisten in den Altsystemen angelegte Informationsdatenbanken, um sie in ein Data-Warehouse zu übertragen (siehe Grafik, Seite 73).

Die erste Altanwendung, die in die neue IT-Architektur übertragen wurde, war die Schalter-Kassen-Umgebung. Sie wickelt jährlich 1200 Millionen Transaktionen ab und galt der Vereinsbank als schützenswerte Investition. Künftig können die Benutzer dieser Applikation von ihren integrierten Arbeitsplätzen aus via Microsoft SNA Server und LU 6.2 auf das Zentralsystem zugreifen.

Bereits in Angriff genommen ist auch das Redesign des Hypothekenantrags-Systems. Bis zum Ende des kommenden Jahres will die Vereinsbank alle ihre Front-Office-Anwendungen in der neuen Umgebung zum Laufen gebracht haben.

Grundlage für die Neugestaltung der Informationstechnik war jedoch zunächst einmal eine neue Art, diesen Unternehmensbereich zu betrachten. Dazu Vereinsbank-Vorstand Rauch: "Wir brauchen Dienstleistungsbereiche anstelle von Stabsabteilungen, Erfolgsbeteiligung anstelle von Standardentlohnung, und wir brauchen Erfolgskontrolle - schon allein deshalb, um den Mitarbeitern auch ihre Erfolgserlebnisse zu verschaffen."

Seit sechs Jahren behandelt das Vereinsbank-Management seine IT-Bereiche - Organisation und Informatik, Datenverarbeitung sowie die ausgegliederte BV-Info GmbH - als Dienstleistungsanbieter und beteiligt sie am Unternehmenserfolg. Mit Hilfe eines externen und internen Benchmarkings sowie durch Kundenumfragen überprüft das Bankhaus regelmäßig, ob die Ziele Kundenorientierung, Kostensenkung, Qualität und Geschwindigkeit erreicht werden. Die Ergebnisse fließen in die Leistungsbeurteilung ein und spiegeln sich im ausgezahlten Bonus wider.

Zwei Maximen bestimmen das Redesign der Vereinsbank-IT. Rauch nennt sie Prozeßorientierung und Standardisierung. Erstere soll als primäres Organisationsprinzip alle Vereinsbank-Anwendungen durchdringen; um die Prozesse zu modellieren, nutzt der Finanzdienstleister die aus der SAP-Welt bekannten "Aris"-Werkzeuge von IDS Prof. Scheer. Letztere hingegen bezeichnet das Bestreben des Finanzdienstleisters, die Fertigungstiefe seiner Informationstechnik so gering wie möglich zu halten. "Wir brauchen Management- und Ingenieursgeist statt Künstlertum, und anstelle von Designern brauchen wir Architekten oder besser noch: Leute, die in der Lage sind, Stadtbebauungs-Pläne zu entwerfen", so Rauch. Systemintegration, nicht Software-Erstellung sei die Aufgabe einer zukunftsorientierten Informatik.

Die "Her-damit-Philosophie" (O-Ton Rauch) wird ergänzt durch den Entschluß, für jede Aufgabe nur noch eine einzige IT-Lösung zuzulassen. Das hat sehr konkrete Formen: Im gesamten Konzern gibt es nur ein System für die bankspezifischen Anwendungen, bei den Querschnittsfunktionen setzt die Vereinsbank konsequent auf SAP, und die Desktop-Umgebungen werden heute ausschließlich mit Softwareprodukten von Microsoft ausgestattet. Dazu zählen das Betriebssystem Windows NT, die Anwendungssuite "Office 97" sowie das Messaging-System "Exchange" beziehungsweise dessen Client-Software mit der Bezeichnung "Outlook". Auch den Internet-Zugang sollen sich die Bankangestellten nicht mit dem "Navigator" von Netscape, sondern mit dem "Internet Explorer" von Microsoft verschaffen.

Die Vorliebe für die Produkte der Bill-Gates-Company ist relativ frisch: Ursprünglich hatte sich die Vereinsbank am Anbieter IBM orientiert und dessen Desktop-Betriebssystem OS/2 favorisiert. Zu Beginn letzten Jahres änderte das Unternehmen jedoch seine Strategie.

Dieser Kehrtwendung vorausgegangen war die Entscheidung, nach dem Abschluß der ersten Pilotprojekte das gesamte Design der Client-Server-Umgebung noch einmal zu überarbeiten. Den Grund dafür nennt Jochen-Michael Speek, Leiter des Zentralbereichs Organisation und Informatik: "Wir haben die Komplexität des Client-Server-Computing unterschätzt und hatten am Ende des Pilotversuchs eine größere Zahl offener Fragen." Im Klartext: Die Probleme des in Client-Server-Systemen ungleich schwierigeren Qualitäts-, Versions- und System-Managements waren in dem ersten Entwurf noch zu kurz gekommen.

Daß das Unternehmen gleichzeitig sein strategisches Betriebssystem austauschte, hängt teilweise mit diesem Komplexitätsproblem zusammen: Beispielsweise wollte die Vereinsbank aus Gründen des einfacheren Change-Managements auf jegliche Third-Party-Middleware verzichten, was laut Speek mit OS/2 nicht möglich gewesen wäre.

Zudem bastelte die IS-Leitung an einem iterativen und ereignisgesteuerten Anwendungsentwicklungskonzept. Das aber setzte eine integrierte skalierbare Umgebung voraus, die laut Speek am leichtesten in der OLE-Welt mit den Programmiersprachen Visual Basic und C++ sowie dem Messaging-System Exchange zu verwirklichen war.

Wie der Organisations- und Informatik-Manager ergänzt, verhieß Microsoft seinen Kunden schon frühzeitig Funktionalität für dynamische Internet- und Intranet-Anwendungen. Das komponentenbasierte und Internet-fähige Entwicklungssystem Active X soll künftig eine entscheidende Rolle in der Anwendungsentwicklung der Vereinsbank spielen.

Bankgeschäfte via Internet

Darüber hinaus offeriert der Softwareriese unter der Bezeichnung "Microsoft Solution Framework" (MSF) ein Kochbuch für die Planung, Entwicklung und Organisation von Client-Server-Anwendungen, das die Vereinsbank als Basis für ihr neues Anwendungsentwicklungs-Konzept nutzte.

Eine Rolle bei der als "strategische Kooperation" ausgewiesenen Zusammenarbeit mit Microsoft beziehungsweise mit der Dienstleistungs-Division Microsoft Consulting Services Finance (MCS) spielte auch die Tatsache, daß der Softwareriese unter der Bezeichnung "Open Finance Exchange" ein eigenes Protokoll für die Verbindung von T-Online-erprobter Home-Banking-Software und dem Internet entwickelt hat, das die Vereinsbank auf dem globalen Markt einsetzten will. Wie die Kunden des Tochterunternehmens Advance Bank soll auch die Vereinsbank-Klientel in Kürze ihre Bankgeschäfte via Internet erledigen können.

Auch inhouse macht der Finanzdienstleister Gebrauch von der simplen und billigen Browser-Technologie des Internet. Ein auf Microsoft-Technik (Internet Explorer, Active X) basierendes Intranet dient beispielsweise schon heute dazu, alle unternehmensinternen Dokumentationen im Zugriff zu halten. Geplant ist zudem eine Intranet-basierte Multimedia-Datenbank für Produktinformationen - ein weiterer Schritt auf dem Weg zu mehr Kundennähe und damit ein Vorteil gegenüber dem Mitbewerb.