Mitarbeiter sollen Probleme lösen und nicht verdrängen

Verdrängte Konflikte führen in Kommunikationssackgassen

29.11.1991

DV-Projekte sind erfahrungsgemäß durch zahlreiche Konfliktsituationen gekennzeichnet. Übliche Strategien wie Verdrängung, Verschiebung, Dominanz und Konfrontation sind dabei langfristig erfolglos, weil sie zu offenem oder verstecktem Widerstand und blockierter Kommunikation führen. Peter Reif, Fritz Wiebel und Dieter Winkler* zeigen auf, wie sich Konfliktsituation meistern lassen.

Anlaß zu Konflikten gibt es in der DV mehr als genug. Die technischen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung sind stärker gestiegen als es selbst die größten Optimisten voraussagten. Der Anwender von DV-Systemen ist überfordert, wenn er mit dieser rasanten Entwicklung Schritt halten soll. Dies führt zwangsläufig zu Konflikten zwischen Systemverantwortlichen und Anwendern.

Konflikte frühzeitig transparent machen

So zieht der Benutzer typischerweise Qualitätskriterien wie Kosten, Termine, Funktionalität, Vergleichbarkeit oder Störungsfreiheit (auch in der Ablauforganisation) heran, während der Entwickler seine Arbeit eher nach technischem Innovations-, Optimierungsgrad, Wiederverwendbarkeit oder Marktdurchdringung beurteilt.

Konfliktverarbeitung zeichnet sich dadurch aus, daß Probleme frühzeitig transparent gemacht und besprochen werden. Ihre Unterdrückung dogmatisch zu verordnen ist genauso sinnlos, wie ihrer Eskalation tatenlos zuzusehen. Konflikte lassen sich vermeiden, wenn die vermeintlichen Interessensgegensätze durch entsprechende Maßnahmen aufgehoben respektive vermindert werden. Beispiele solcher Maßnahmen sind:

- moderate Projektvorstellung,

- Festlegen einer gemeinsamen Vorgehensweise, - Sichtbarmachung der Interessen der Projektbeteiligten sowie

- Festlegen einer Kommunikations-, Kompetenz- und Kooperationsstruktur.

Sensibilisierung für langfristiges Qualitätsdenken

Je früher man solche Maßnahmen einsetzt, desto effektiver beeinflussen sie den Projektablauf Im Idealfall werden schon, beim Entscheidungsprozeß alle Betroffenen beteiligt.

Auch DV-Projekte laufen unter ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Die Folge ist einerseits eine Konzentration auf kurzfristig ökonomisch meß- und beurteilbare Ergebnisse. Andererseits entsteht aus dem Verständnis für Projektarbeit als Prozeß die Sensibilität für langfristiges Qualitätsdenken, das kaufmännischen Argumenten durchaus entgegenstellen kann. Symptome für diesen Konflikt lassen sich tagtäglich erfahren: hohe Energieverluste durch Grabenkämpfe innerhalb der betroffenen Konfliktparteien wie Vertrieb/Support, Einkauf/FuE und Fachabteilung/Entscheider.

Für die Eskalation dieser Konflikte sorgt in der Regel die Anwendung von üblichen Konfliktlösungsstrategien wie Verdrängung, Verschiebung oder Machteinsatz. Konflikt-Management bedeutet hier die Bereitschaft und Fähigkeit über Unternehmenskultur, Führungsstrategien, Projekt-Management-Methoden, unternehmensspezifische Belohnungssysteme, Hierarchiestruktur oder Firmenidentifikation nachzudenken.

Der Satz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" gehört zum Standardrepertoire von Führungskräften. Dabei produziert Kontrolle Widerstände beim betroffenen Mitarbeiter. Sie mindern die Arbeitseffizienz und damit auch die Chance, die gesetzten Arbeitsziele zu erreichen, was zwangsläufig zu Frustrationen beim Kontrollierten und zu Verärgerung beim Kontrolleur führt. Konflikte sind damit programmiert. Zudem verliert der Kontrollierte das Gefühl, verantwortlich zu sein. Die Folge ist, daß Probleme nicht mehr um einer Lösung willen analysiert werden, sondern nur noch um die Zuständigkeit zu klären, in der Regel mit dem Ziel, die eigene Nichtzuständigkeit nachzuweisen.

Vorbehaltlos gegebenes Vertrauen hingegen hat eine unwiderstehliche Macht in seiner Wirkung auf den Empfänger. Das Verantwortungsbewußtsein wird gefördert, die ungeliebte fremdbestimmte Disziplin weicht einer eher akzeptierten Selbstdisziplin. Konsequenterweise müßte deshalb für die Förderung von Bewußtseinsveränderungen der Satz geprägt werden: "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!"

Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur

Voraussetzung für die Förderung der Bereitschaft und die Fähigkeit zu Konflikt-Management ist auch ein Umdenken des Personal-Managements hinsichtlich der Qualifizierungsmaßnahmen. Die Erfahrung zeigt, daß in der Regel Verständnis für die Notwendigkeit von Fort- und Weiterbildung vorliegt. Es beschränkt sich aber auf die Fachschulung und damit auf die Vermittlung instrumentellen Spezialwissens mit nicht weiter problematisierten Techniken und Methoden.

Diese Art von Bildungsverständnis reduziert Qualifizierung auf eine einseitig verkürzte Zweck-Mittel-Rationalität, der Optimierungsdenken und gleichsam der Mythos vollständiger Rationalität zugrunde liegt. Ein solches technisch-ökonomisches Menschenbild fördert zwar die ohne Zweifel notwendige fachliche Kornpetenz, läßt aber die für konstruktive Konfliktbewältigung erforderlichen Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur unberücksichtigt.

Als Konsequenz entsteht eine der ganzheitlichen (systematischen) Betrachtungsweise nicht gerecht werdende Erwartungshaltung, die vorgibt, man müsse nur ein didaktisch detailliert aufbereitetes Instrumententraining zur Verfügung stellen, um den Erfolg für künftige Projektarbeit sicherzustellen. Und dies soll dann möglichst in drei Schulungstagen geschehen. Das Ergebnis ist häufig Demotivation und Frustration bei den Mitarbeitern, die überdies unter hohem Erwartungsdruck ihrer Vorgesetzten an solchen Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen.

Die biographischen Kontexte sehen

Systematisches Personal-Management legt das Augenmerk auch und in ganz besonderer Weise auf die Förderung der sozialen Kompetenz, also auf die Persönlichkeitsmerkmale, die. für Konflikt-Management unabdingbar sind. Hierzu gehören Selbst- und Fremdwahrnehmungsfähigkeit, Feedback- und Kommunikations- beziehungsweise Kooperationsfähigkeit, Vertrauensbereitschaft, Reflexion- und Lernfähigkeit, Offenheit, Zivilcourage und selbstkritische Distanz. Bei diesen Qualifikationsbetrachtungen ist die Person und die eigene Lebensgeschichte zu berücksichtigten. Denn: Konflikte in Projekt- und Teamarbeit müssen immer auch in biographischen Kontexten gesehen werden. Konflikt-Management fordert also Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich des persönlichkeitsorientierten Lernens mit im weitesten Sinn biographisch orientierter Schulungskonzeption.

Das heißt nicht, die Weiterbildung in Frage zu stellen, die Wert legt auf technisch-methodische Effizienz, sondern Qualifizierungsbetrachtungen um den Aspekt der Verhaltens- und Persönlichkeitsschulung zu erweitern.

Das folgende achtstufige Konflikt-Eskalations-Dynamik-Modell (KED-Modell) zeigt, was passieren kann, wenn Probleme und Meinungsverschiedenheiten nicht auf vernünftige Weise gelöst werden.

Stufe 1: Wahrnehmung von emotional Ungewohntem

Nicht allein das Thema entscheidet, ob die Verständigung zwischen Gesprächspartnern klappt, sondern die gefühlsmäßige Beziehung, die sie verbindet. Sie bestimmt, ob und wie Sachverhalte wahrgenommen werden. Die Gesprächspartner nehmen einen ungewohnten Gesprächsablauf wahr, der sich besonders in der emotionalen Kommunikation zeigt.

Stufe 2: Verhärtung, sinkende Reflexionsbereitschaft

Die Meinungen der Gesprächspartner verfestigen sich zu Standpunkten. Das immer häufiger auftretende Beharren auf den eigenen Ansichten und die damit stark abnehmende Reflexionsbereitschaft führt zu Spannungen. Die Beteiligten haben noch die Überzeugung, durch vernünftige Argumente oder offene Aussprache zu einer Kooperation zu gelangen. Der Umgang miteinander ist noch fair.

Stufe 3: Konfrontation, fehlende Reflexionsbereitschaft

Das Verhalten der Gesprächsbeziehungsweise Konfliktparteien wird rigider: Heftige verbale Auseinandersetzungen und ermüdende Debatten ersetzen das Gespräch. Die Verteidigung des eigenen Standpunktes wird zur Prestigeangelegenheit. Kompetenz wird gegebenenfalls aus Autorität abgeleitet, und die Beteiligten nutzen erstmals Schwächen der Gegenseite aus.

Stufe 4: Vom Partner zum Gegner, verletztes Selbstwertgefühl, sinkende Reflexionsfähigkeit

Die Auseinandersetzung nähert sich einem kritischen Stadium: Schwarzweiß-Sichten beherrschen die Situation. Das Sieg-oder-Niederlage-Denken bestimmt den Umgang miteinander. Vorrangiges Ziel ist die Wahrung der eigenen Reputation. Eine Konfliktbewältigung aus eigener Kraft ist hier unwahrscheinlich.

Stufe 5: Haß beziehungsweise Feindbilder, fehlende Reflexionsfähigkeit

Die Konfliktparteien lassen sich mehr und mehr von Emotionen, stereotypen Verhaltensmustern und Antrieben leiten, die immer weniger dem Grad ihrer wirklichen sozialen Kompetenz entsprechen. Ziel der Konfliktparteien ist die Diffamierung und Demaskierung des Gegners. Noch existieren emotionale Aspekte des Konfliktes.

Stufe 6: Gleichgültigkeit gegenüber Sachinhalten

Die zu Konfliktbeginn ursprünglich einmal wichtigen Sachinhalte sind bedeutungslos geworden. Die Vermeidung eines Gesichtsverlustes ist einzig wichtig. Es fehlt nicht mehr viel bis zur Gleichgültigkeit auch gegenüber Personen.

Stufe 7: Innere Emotionslosigkeit

Emotionale Aspekte sind in dieser Konflikt-Eskalationsstufe nicht mehr existent. Personen werden zur Sache gemacht, wobei die Kontrahenten weitgehend zur Selbstaufopferung bereit sind. Sie spekulieren aber noch auf eigenes Überleben.

Stufe 8: Selbstzerstörerische Offensive

Auch der letzte Vorbehalt (das eigene Überleben) ist gefallen und das finale Stadium erreicht. Wissend um den eigenen Untergang führen die Konfliktparteien einen ausweglose Offensive. Die Idee eines höheren Zwecks geistert in den Köpfen, die jedes Opfer rechtfertigt. Aus dieser "Kamikaze"-Mentalität werden enorme zerstörerische Energien wie auch starke Lustgefühle (Triumphempfinden) gewonnen.

*Peter Reif ist Mitarbeiter bei ASB Management Seminare in Heidelberg, Fritz Wiebel und Dieter Winkler arbeiten bei der Management-Beratung Fritz Wiebel & Partner in Lautertal.