Qualitätskriterien für Internet-Seminare

Verbaler Rundumschlag erreicht alle und nützt keinem

23.05.1997

Mehr als 2,3 Millionen Einzelzugänge ins Internet verzeichnen laut dem Branchenblatt "werben & verkaufen" deutsche Provider und Online-Dienste allein in der Bundesrepublik. Die Wachstumsprognosen sind ungebremst optimistisch. Das Internet wächst aus seinen Kinderschuhen heraus und wird zum alltäglichen Arbeitsmittel.

Aber mit der Leistungsfähigkeit von virtueller Kommunikation steigt auch ihre Komplexität. Die Anwendungsmöglichkeiten bekommen durch E-Mail-Features, Chats und neue Forentechnologie einen kräftigen Auftrieb. Das Lehrangebot zu diesem Thema hat sich stark vergrößert. Dadurch wird auch der Markt für Online-Seminare unübersichtlicher. Erste Schritte in die Online-Welt sind über die IHK, über Kurse von Verbänden und Gewerkschaften, über Universitäten, aber auch über eine Fülle von kommerziellen Anbietern möglich.

Die Kursgebühren für solche Veranstaltungen variieren dabei für eine Tagesveranstaltung zwischen 50 und mehreren tausend Mark. Der Preis informiert allerdings nur bedingt über die Qualität eines Seminars. Dessen Nutzwert bestimmen andere.

Veranstaltungen lassen sich schon vorab anhand einer angekündigten Tagesordnung bewerten. Sind keine differenzierten Strukturen der Lerninhalte erkennbar, ist Vorsicht geboten. Das Thema "Online" teilt sich schnell in voneinander unabhängige Felder auf und ist so komplex und vielschichtig geworden, daß sich globale Rundumschläge nicht empfehlen. Weiter kann der Interessent anhand der Agenda sehen, ob die Veranstaltung zielgruppenspezifisch ausgerichtet ist. Der Einsteiger oder reine Anwender hat andere Bedürfnisse als der Web-Designer. Identische Kurse für unterschiedliche Zielgruppen sprechen gegen den Anbieter.

Die Referentenliste ist das zweite Kriterium bei der Auswahl eines Seminars. Sogenannte Experten, die sich nur ausnahmsweise mit dem Thema Online beschäftigen, gehören immer noch nicht der Vergangenheit an. Das an sich teilweise sehr gute Wissen solcher Dozenten ist oft zu theoretisch, mit der Konsequenz, daß sie bei praktischen Fragen nicht weiterhelfen können.

Das heißt aber nicht, daß Praktiker in solchen Kursen immer der sichere Rettungsanker sind. Es ist Vorsicht bei Vortragenden geboten, die ihr Referat mit der Akquise für einen neuen Auftrag verbinden. Solche eher dubiosen Angebote lassen die gebotene Objektivität vermissen, so daß die kritische Behandlung der Materie oft am Eigeninteresse scheitert.

Auch der Ort einer Veranstaltung kann Aufschluß über die Qualität geben. Hinterzimmer von Gaststätten werden mit Sicherheit nicht die Logistik für Online-Zugänge bieten. Immer mehr kongreßerprobte Hotels und Tagungsstätten stellen technisches Equipment zur Verfügung, das dem aktuellen Standard entspricht. Internet-Seminare sollten aber zumindest die Möglichkeit bieten, daß der Referent online seine Beispiele zeigen kann. Ideal sind zusätzliche Geräte, damit die Teilnehmer das Gelernte auch selbst üben können. Online-Medien sind zu vielgestaltig, um sie nur theoretisch durchzuspielen.

Pausen sollten zudem in Internet-Seminaren nicht zu kurz kommen. Erfahrungsgemäß sinkt nach 40 bis 50 Minuten der Aufmerksamkeitsgrad der Teilnehmer rapide, da das Maß der neuen Information oft hart an die Grenze der Aufnahmekapazität gehen kann. Unterbrechungen können außerdem dazu genutzt werden, Fragen zur eigenen Situation mit den Referenten zu klären. Der Idealfall besteht in einer eigenen Kurseinheit, in dessen der Referent gezielt auf Fragen der Teilnehmer eingeht. Auch aus den Fragen anderer Teilnehmer kann man schließlich lernen. Web-Profis arbeiten stark teamorientiert, weil sich die Vielschichtigkeit des Mediums sonst nicht in den Griff bekommen läßt. Seminarteilnehmer sollten von Beginn an daran gewöhnt werden, ihre Probleme in Gruppen zu lösen.

Selbst wenn ein Anbieter diese Grundregeln berücksichtigt, läßt sich trotzdem nicht immer gewährleisten, daß Seminare zum erwünschten Erfolg führen. Die genannten Prinzipien senken aber das Risiko einer Fehlinvestition. Eines kann allerdings auch die beste Veranstaltung nicht kompensieren: Wenn die Teilnehmer einen Kurs ohne klare Lernziele besuchen, dann sind Erfolge Zufallstreffer.

* Harald Taglinger lehrt Online-Publishing an den Univeristäten München und bamberg. Er arbeitet als Web-Designer, Computerjournalist und freier Dozent in München.