Ob bei Personalabbau oder Restrukturierung

Veränderung erfordert gute Führung

07.03.2003
FREISING (am) - Kosten senken und Produktivität steigern - diese Ziele stehen in vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Auf der Strecke bleibt oft der Mitarbeiter. Damit Ängste und Frustration in der Belegschaft nicht überhand nehmen, sind die Führungskräfte und Personalverantwortliche gefragt.

"Wie können Sie Menschen erklären, dass sie zu Tausenden entlassen werden, wenn gleichzeitig die Manager, die den Schaden angerichtet haben, am Steuer bleiben oder eine Millionenabfindung bekommen?" Für Management-Vordenker Fredmund Malik aus St. Gallen zieht dieser Gegensatz fatale Folgen nach sich: Die Führungsriege verliert an Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Mitarbeiter, die ihrerseits mit Agonie, Bitterkeit und Rachsucht reagieren. Von dem urspünglichen Ziel, Kosten zu sparen und die Produktivität zu steigern, sind solche Unternehmen weiter entfernt als zuvor.

Gerade in Veränderungsprozessen sind die Manager gefordert, so Malik: "Führung beginnt dort, wo die Begeisterung aufhört. Begeisterte Mitarbeiter müssen nicht geführt werden. Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn man harte Entscheidungen durchsetzen muss und den Mitarbeitern auch nicht mehr viel anbieten kann." Doch wie lassen sich Beschäftigte davon überzeugen, sich immer wieder auf Veränderungen einzulassen? Antworten suchten die Teilnehmer des "Handelsblatt"-Kongresses "Personal im 21. Jahrhundert" in Freising.

Die Schweizer Großbank Credit Suisse etwa musste vor fünf Jahren im Banking-Bereich 3500 von 12000 Stellen in der Schweiz abbauen, wollte aber keine Kündigungen aussprechen. Dass dies bis auf acht Fälle gelang, ist nicht nur dem großzügigen Umstrukturierungsbudget von über 500 Millionen Schweizer Franken zu verdanken, sondern auch einer kleinen Initiative, die ungeahnte Potenziale freilegte. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, zusammen mit ihren Vorgesetzten die eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu analysieren. Darauf aufbauend sollten sie Maßnahmen nennen, mit denen sich ihre Qualifikation und ihre Vermittlungschancen auf dem internen und externen Stellenmarkt erhöhen lassen.

Die eigenen Vermittlungschancen erhöhen

Zunächst galt es, die Führungskräfte von der Initiative zu überzeugen: "In hunderten von Gesprächen machten wir die Chefs zu Betroffenen, gaben ihnen Stellenanzeigen, um zu überprüfen, wo sie sich mit ihrem Profil bewerben konnten", sagt Hans Kappeler, Head HR Strategy & Management Support bei der Credit Suisse. So mancher Vorgesetzte musste erkennen, dass er selbst schlechtere Vermittlungschancen hatte als angenommen. Dieser Selbstversuch und die Verankerung der Gespräche in ihren Zielvereinbarungen sorgten dafür, dass die Manager die Notwendigkeit der Initiative einsahen und mit den Mitarbeitern über Stärken und Schwächen sprachen.

Ein wichtiges Ergebnis der Gespräche war, dass nicht nur mehr Geld in Weiterbildung, sondern auch in gezieltere Maßnahmen investiert wurde. Die Beschäftigten strebten danach, breiter einsetzbar zu sein sowie mindestens auf einem Gebiet einen Expertenstatus zu erlangen. Sie erkannten, dass sie selbst für ihre Marktfähigkeit verantwortlich sind und diese nicht nur durch Weiterbildungsmaßnahmen verbessern müssen. Die einen nahmen unbezahlte Auszeiten für Sprachaufenthalte in den USA, die anderen reduzierten ihr Übergewicht, und wieder andere sahen ein, dass sie umziehen oder ihre privaten finanziellen Verpflichtungen einschränken mussten.

Die Mitarbeiter, die schließlich vom Stellenabbau betroffen waren, wurden in einer Organisation zusammengefasst, in der sie sich weiterqualifizieren konnten, aber auch an andere Firmen verliehen wurden. Zudem konnten sie sich mit ihren Problemen an einen persönlichen Berater wenden, der rund um die Uhr und auch am Wochenende zur Verfügung stand. In diesem Jahr wird die Credit Suisse die Marktfähigkeitsinitiative erneut auflegen, zumal wieder 1250 Entlassungen anstehen. Kappeler geht aber nicht mehr davon aus, dass wie vor fünf Jahren 50 Prozent der Betroffenen intern vermittelt werden können: "Inzwischen hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt so verschlechtert, dass man heute wahrscheinlich nur noch mit einer Quote von 25 Prozent wird rechnen können."

Die Experten waren sich einig, dass Personalabbau und Veränderungsprozesse in Unternehmen nie optimal ablaufen können. Die Verantwortlichen können nur auf das Einsehen der Mitarbeiter hoffen. Dafür müssen sie diese aber umfassend und ehrlich informieren, so Kommunikationsexperte Jonathan Steffen von der Unternehmensberatung Fleishman-Hillard: "Man muss den Menschen Zeit und Platz einräumen, um mit der neuen Realität zurechtzukommen. Die meisten Unternehmensführer wollen aber nicht einsehen, dass es dafür Monate braucht und nicht nur eine Powerpoint-Präsentation. Viel entscheidender ist dabei das persönliche Gespräch."

In der Realität sind viele Führungskräfte solchen Herausforderungen aber nicht gewachsen: Management-Lehrer Malik diagnostizierte eine Unterwanderung von guter Führung durch Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Headhunter, MBA-Schulen und nicht zuletzt durch die Medien: "Ob War for talent, Jugendkult oder der Glaube an ewig steigende Börsenkurse, in den 90ern entstanden viele Modewellen und Irrlehren." Von diesen und inkompetenten Beratern sollten sich Führungskräfte laut Malik lossagen, sich wieder auf die Maßstäbe Kundenorientierung und Konkurrenzfähigkeit sowie auf das Wissen der Mitarbeiter als wichtigste Ressource konzentrieren.

SAP gibt sich ein Führungsleitbild

Zumindest was letzteres betrifft, hat sich die SAP AG einiges vorgenommen. Mit der Initiative "Management Excellence@SAP" will der Softwarekonzern ein einheitliches Führungsleitbild und den Gedanken verankern, dass Führungsqualität genauso wichtig ist wie technisches Wissen. Durch das rasante Wachstum des Unternehmens wurde oft der beste Fachmann zum Manager befördert und die Wirkung von Führungs-Workshops bezweifelt.

Nach dem neuen Leitbild ist der SAP-Manager dafür verantwortlich, das laufende Geschäft heute und künftig erfolgreich zu steuern, die Bedingungen für eine gute Teamarbeit zu schaffen und klare Zielvorgaben sowie Feedbacks zu den Leistungen zu geben. Ein Schwerpunkt liegt auf der Mitarbeiterentwicklung: Die Manager müssen von Anfang an ihre Nachfolger bestimmen und sich um die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter kümmern - andernfalls reduziert sich ihr Bonus um 20 Prozent. Dieser Beschluss des Topmanagements sorgte für Furore, wie Julia Zachmann, Leiterin Personalentwicklung bei SAP, erläuterte. Denn wer benennt gern seinen Nachfolger, wenn er selbst erst Mitte 30 ist? Da aber die potenziellen Nachfolger nichts von ihrem Glück erfahren, sondern nur speziell gefördert werden sollen, erhoffen sich die Walldorfer, dass die kurzfristigen Ängste der Manager durch die Einsicht in den mittel- bis langfristigen Nutzen abgelöst werden.