Von wegen Jobkiller Industrie 4.0?

VDI: Digitalisierung bringt die Produktion zurück nach Deutschland

27.04.2017
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Aus Sicht des VDI ist die Vernichtung von Arbeitsplätzen im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung keinesfalls so klar, wie in einigen Studien behauptet wird. Vielmehr könne ihr Einsatz dazu beitragen, Jobs am Standort Deutschland zu sichern und neu aufzubauen.

Roboter, die sogar komplexere Arbeitsschritte eigenständig vornehmen, intelligent vernetzte Produktionsanlagen, die sich mittels künstlicher Intelligenz selbst umprogrammieren oder den eigenen Wartungsbedarf erkennen und Reparaturen in die Wege leiten können: die vielfach auf der Hannover Messe Industrie zu bestaunenden Exponate lassen befürchten, dass mit Industrie 4.0 in Deutschland ein massiver Abbau bei den rund 15 Millionen Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt von der produzierenden Wirtschaft abhängen, droht.

Industrie 4.0 führt zu einer erhöhten Automatisierung und Produktivität. Die Folgen für die Beschäftigten sind noch nicht absehbar.
Industrie 4.0 führt zu einer erhöhten Automatisierung und Produktivität. Die Folgen für die Beschäftigten sind noch nicht absehbar.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Tatsächlich jedoch, so zumindest das Resultat einer Studie, die der VDI bei der Hochschule Karlsruhe und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Auftrag gegeben hat, könnte sich die technische Entwicklung sogar positiv auf die Beschäftigung auswirken. Denn "die Digitalisierung bringt die Produktion zurück nach Deutschland", so die Zusammenfassung von VDI-Direktor Ralph Appel bei der Vorstellung der Ergebnisse am Rande der Hannover Messe Industrie. Der Einsatz von Digitalisierungstechnologien wirke sich positiv auf die Rückverlagerung von Produktionskapazitäten nach Deutschland aus.

"Digitalisierte" Unternehmen kommen eher nach Deutschland zurück

Konkret ergab die Studie, dass in der Digitalisierung "fortgeschrittene" Betriebe zehnmal häufiger Teile ihrer Produktion wieder an den deutschen Standort zurückverlagern als Betriebe, die in der Produktion keine Digitalisierungstechnologien nutzen.

Prof. Dr. Steffen Kinkel von der Hochschule Karlsruhe und Autor der Studie sieht hierfür zwei Erklärungen: "Erstens bietet der Einsatz von Digitalisierungstechnologien eine erhöhte Flexibilität und Fähigkeit für eine individualisierte, kundenorientierte Produktion, die heutzutage immer wichtiger wird und für die Belieferung auch eine räumliche Nähe zum Kunden erfordert", erklärt er bei der Präsentation der Studie in Hannover. "Zweitens führt ihr Einsatz zu einer erhöhten Automatisierung und Produktivität des deutschen Produktionsstandorts, so dass der Lohnkostenanteil niedriger wird." Damit seien geringere Lohnkosten im Ausland weniger attraktiv und relevant, zusätzlich würden Skaleneffekte wichtiger, so Kinkel.

Bei den Gründen für die Rückverlagerung der Produktion spielen Themen wie Flexibilität oder Qualität eine wichtige Rolle, weniger die Verfügbarkeit von Fachkräften.
Bei den Gründen für die Rückverlagerung der Produktion spielen Themen wie Flexibilität oder Qualität eine wichtige Rolle, weniger die Verfügbarkeit von Fachkräften.
Foto: VDI

Laut VDI-Direktor Appel weisen in der Digitalisierung fortgeschrittene Unternehmen eine um 27 Prozent höhere Arbeitsproduktivität auf als Nichtnutzer. "Wenn alle Industrieunternehmen in Deutschland mindestens zwei oder drei Digitalisierungstechnologien einsetzen, würden wir Produktivitätssteigerungen in Höhe von etwa acht Milliarden Euro erzielen", erklärt Appel.

Aktuell sind die Auswirkungen allerdings noch nicht so deutlich zu spüren: In der Studie gaben 2015 etwa drei Prozent der Unternehmen an, Rückverlagerungen durchzuführen - während die Verlagerungen mit neun Prozent der befragten Industriebetriebe seit 2009 auf einem sehr gleichbleibenden Niveau blieben. "Drei Prozent klingt im ersten Moment nicht viel", räumte auch Appel ein, allerdings seien dies bezogen auf das gesamte deutsche verarbeitende Gewerbe immerhin 500 bis 550 Rückverlagerungen pro Jahr.

Die Mehrzahl der Rückkehrer verlässt dabei Standorte in Asien, gefolgt von den Kernstaaten der EU und Nordamerika, wobei Appel zufolge politische Faktoren wie der anstehende Brexit oder die Trump'sche Industrie- und Handelspolitik können für diese Veränderungen noch nicht verantwortlich gemacht werden, möglicherweise aber veränderte Währungsrelationen aufgrund des steigenden Dollars. Gemessen an den Branchen hat der Fahrzeugbau mit zwölf Prozent mit deutlichem Abstand den größten Anteil bei den Rückverlagerungen. Überdurchschnittlich aktiv sind hier noch die chemische Industrie, die Hersteller von DV-Geräten, Elektronik und Optik sowie die Hersteller elektrischer Ausrüstungen.

Bei der Nutzung von digitalen Technologien haben deutsche Industrieunternehmen noch viel Potenzial.
Bei der Nutzung von digitalen Technologien haben deutsche Industrieunternehmen noch viel Potenzial.
Foto: VDI

Wegen der Anonymität der Umfrage konnte der VDI außer so bekannten Beispielen wie Steiff oder Adidas keine konkreten Namen von Firmen nennen, die ihre Produktion zurück nach Deutschland verlagert haben. Der Verband hatte aber den Technikvorstand von Wilo im Schlepptau, der darlegte, warum der Pumpenhersteller derzeit am Stammsitz in Dortmund für mehr als 100 Millionen Euro eine Smart Factory aufbaut - und nicht in einem ausländischen Billigstandort. "Durch neue Produktionstechniken ist es möglich, deutlich mehr Effizienzsteigerung zu erreichen und damit auch Kostenreduktion, als bei der Reduktion der Personalkosten durch Verlagerung", erklärte Michael Beukenberg mit Verweis auf Themen wie Digitalisierung und Industrie 4.0.

Eine mögliche Schlussfolgerung, dass digitale Technologien als Jobkiller wirken, lässt VDI-Direktor Appel daher nicht gelten: "Unternehmen, die digitale Technologien nutzen, werden wettbewerbsfähiger, sind langfristig besser aufgestellt und sorgen mit ihren modernen Produktionsstrukturen weiterhin für Arbeit und Wertschöpfung am Standort Deutschland - so müssen wir die Zahlen interpretieren."