Anwender hegen Zweifel an Herstellerangaben:

User wollen Mainframe-Applikationen nicht auf PCs entwickeln

20.05.1988

"Die Barriere zwischen Mainframe- und PC-Welt ist zerbrochen, seit uns Sprachen zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe die am PC entwickelte Software unverändert am Großrechner eingesetzt werden kann". Das ist zumindest die Ansicht von Dieter Schrammel, geschäftsführender Gesellschafter der Gesellschaft für Computeranwendungen mit Sitz in Linz an der Donau und Nürnberg. Soweit es die Wirklichkeit in den Anwenderunternehmen betrifft ist diese Einschätzung allerdings weitgehend noch Utopie.

Die DV- und Entwicklungsleiter in größeren Unternehmen stehen der Integration von Mainframe- und PC-Welt meist distanziert gegenüber. Dabei klingt die Idee der Anbieter durchaus vielversprechend: Mit Hilfe der PC-Versionen ihrer Anwendungsentwicklungssysteme könnten Mainframe-Applikationen innerhalb einer geschlossenen Entwicklungswelt, sprich: auf einem Mikrocomputer, PC oder innerhalb eines PC-Netzes, codiert und ausgetestet werden.

Die Vorteile dieser Methode lägen vor allem in einer Entlastung des Host-Systems sowie in wesentlich kürzeren Antwortzeiten für die Entwickler. Schrammel: "Ein Programmierer kostet unter Brüdern 100 Mark die Stunde; da bedeutet es schon einen Riesenunterschied, ob er 50 Minuten wartet und 10 Minuten arbeitet oder umgekehrt".

Gerade in puncto Rentabilität hegen die Anwender jedoch Zweifel an den Herstellerargumenten. Dazu Jan Ellerbroek, Leiter der Anwendungsentwicklung bei der Kölner Colonia Versicherungsgruppe: "Wir werfen diese Frage immer mal wieder theoretisch auf, beenden die Diskussion aber schnell, wenn wir an die Wirtschaftlichkeit denken."

In der Versicherungs-Zentrale sitzen nämlich 130 Anwendungsentwickler, die zunächst alle mit einem Mikrocomputer ausgestattet werden müßten. "Und das ist eine Kostenfrage, die für uns mit Sicherheit im Augenblick nicht interessant ist", meint Ellerbroek.

Etwaige Vorteile einer separaten Anwendungsentwicklung, so der Kölner, seien dagegen belanglos: "Irgendwann könnten wir vielleicht eine für mich noch nicht greifbare Host-Entlastung bekommen; aber inwieweit die sich dann gegen die Belastung des Hardware-Budgets rechnet, das ist noch die Frage."

Ellerbroek steht allerdings eine IBM-Maschine des Typs 3090-600E zur Verfügung, die derzeit nur zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet ist. "Wir haben 120 bis 170 TSO-User am Tag, und die machen unserer Maschine im Moment noch kein Kopfzerbrechen", freut sich der DV-Profi.

Anders sieht die Situation möglicherweise dann aus, wem die Mainframe-Auslastung kritische Werte annimmt; das will auch Ellerbroek nicht bestreiten. Ein Gegenargument hat hier jedoch der Organisationsleiter eines großen Industriebetriebs im Ruhrgebiet vorzubringen: "Wenn man 50 PCs mit 10 000 Mark multipliziert, dann bekommt man einen so hohen Betrag, daß man ihn genausogut zur Aufstockung des Mainframe nutzen könnte".

Davon abgesehen, daß die meisten der befragten Anwender zur Zeit keinerlei Bedarf für eine Auslagerung der Anwendungsentwicklung sehen, hegen sie auch Zweifel daran, daß die von den Anbietern versprochene Kompatibilität zwischen PC und Host eingelöst wird. "Ich kann nicht in jedem Fall davon ausgehen, daß das, was ich unten entwickelt habe, oben auch lauft," meint ein Betroffener, "denn ich habe hier immer einen zusätzlichen Intergrationsschritt."

Weniger tragisch sieht das Günter Merkbeth, Entwicklungsleiter für Software-Produktions-Umgebungen bei der Münchener Softlab GmbH; er hält die Portabilität für "ein Problem, das man durchaus in den Griff bekommen kann." Die Schwierigkeiten bei der Anwendungsentwicklung vermutet der Software-Experte ganz woanders: "Ein größeres Manko ist meines Erachtens die mangelnde Teamfähigkeit."

Die Entwicklung auf einem Stand-alone-PC kann, so Merkbeth nur im Ausnahmefall funktionieren - eben dann, wenn genau ein Entwickler an einem Projekt arbeite. "In größeren Unternehmungen stellt sich die Frage, wo die Schnittstellen-Informationen gehalten werden und wo das gesamte Projektmanagement läuft", gibt der Softlab-Entwickler zu bedenken.

Im PC-Netz stellt sich dieses Problem allerdings anders dar. Erläutert GCA-Geschäftsführer Schrammel: "Einen der Rechner konfiguriere ich etwas besser, so daß er als File-Server dienen kann; dort lagere ich alle Softwaremodule ab, die der Programmierer sich zwar herauskopieren, die er aber nicht andern darf."

Die Funktionalität der PC-Umgebungen wird von den Anwendern unterschiedlich eingeschätzt. Ellerbroek sieht hier gegenwärtig schon Vorteile gegenüber den Mainframe-Tools: "Heute gibt es auf dem PC eine Reihe von Werkzeugen, die anscheinend funktionaler sind als das, was man auf dem Host zur Verfügung hat." Und noch seinen nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft - im Gegenteil: "In zwei oder drei Jahren werden die Software-Engineering-Tools auf dem Host möglicherweise einfach nicht mehr so leistungsfähig sein wie die auf dem PC."

Doch haben die DV-Profis auch kritische Anmerkungen zu machen. Zum Beispiel. "Das Testen von IMF-Online-Anwendungen auf dem PC ist ein Problem." Oder: "Man muß in jedem Fall unterscheiden zwischen den allgemein gängigen und den individuellen Unterstützungsmöglichkeiten; wenn ein Anwender einen selbstgestrickten CICS-Rahmen hat, dann stellt niemand ihm den auf einem PC zur Verfügung."

Dazu von der Anbieter Schrammel: "Es gibt nur wenige Bausteine, wo der PC dem Großrechner nicht das Wasser reichen kann; in der DB2-Umgebung ist das zum Beispiel die Query Maintenance Facility." CICS-, Cobol- und VSAM-Umgebungen ließen sich hingegen ohne weiteres am Mikrocomputer nachbilden.

Durchaus positive Seiten kann auch Rolf Dziony, DV/ Org.-Leiter beim Einrichtungshaus Ostermann in Witten, der Vorstellung von einer Anwendungsentwicklung auf dem PC abgewinnen. Der DV-Mann von der Ruhr arbeitet mit einem IBM-Rechner der 4381-Familie, der sich zur Zeit "an der Grenze der Belastbarkeit" befindet; seine Entwicklungsabteilung besteht allerdings nur aus drei Mitarbeitern.

Die Frage, ob eine dezentrale Anwendungsentwicklung möglicherweise für kleinere Betriebe besser geeignet sei als für große, verneint Dziony vehement:" Im Grunde genommen kann das gerade für größere Betriebe viel interessanter sein; denn die Systembelastung durch unsere drei Programmierer ist sicherlich nicht so stark, daß das System gleich in die Knie geht". Folglich hätten Großanwender mit 80 oder gar 100 Programmentwicklern mehr Ursache, ihre Anwendungsentwicklung vom Host weg zu verlagern.

Für Schrammel jedoch steht außer Frage, daß die großen Unternehmen der Anwendungsentwicklung auf dem PC kritischer gegenüberstehen als die kleineren. Zum einen falle die Entscheidung, die Entwicklungsabteilung mit PCs auszustatten, leichter, wenn statt mehrerer Dutzend nur eine Handvoll Rechner angeschafft werden müßten. "Zum anderen könnten die großen Anwender Bauchschmerzen bekommen; denn hier fällt eine der letzten Großrechner-Bastionen."

Regelrechte Berührungsängste hat der Linzer bei den DV/Org.-Leitern ausgemacht: "Es gibt eine emotionale Kluft zwischen den Großrechner-Leuten und den PC-Leuten, sozusagen einen Generationenkonflikt." Er kenne "nicht allzu viele Programmierer der alten Schule", die sich an einen PC setzen würden.

Allerdings weiß Schrammel auch von Programmierern zu berichten, die einen PC besitzen und gern dort entwickeln würden, aber: "Sie dürfen nicht." Die Org-Leiter hätten Angst davor, daß hier "wieder einmal ein Prozeß in Gang gesetzt wird, von dem sie meinen, daß er ihrer Kontrolle entgleitet."

Explizite Vorurteile oder gar Ängste gegenüber den PCs äußerten die befragten DV/Org.-Leiter keineswegs. Zumindest Unterschwellig sind viele jedoch der Ansicht daß es getrennte Aufgabenbereiche Großrechner auf der einen und für Mikros auf der anderen Seite geben solle. Heiko Müller, Leiter Informationsverarbeitung bei der Bayerischen Rückversicherung AG, München: "Im Augenblick ist es auf jeden Fall so, daß Mainframe- und PC-Anwendungen zwei verschiedene Welten sind, die sich meinem jetzigen Erfahrungsstand nach nur schwer integrieren lassen."

"Es gibt natürliche Vorbehalte gegen PC-Anwendungen; sie beziehen sich auf die Sicherheit, Kompatibilität und Konsistenzerhaltung", formuliert ein anderer Anwender. Wie das in einigen Jahren aussehen wird - darüber können und wollen die DV-Manager jetzt noch keine Aussagen machen. Ellerbroek: "Es ist sicher nicht auszuschließen, daß wir uns innerhalb der nächsten fünf Jahre mit dieser Thematik neu beschäftigen werden; aber aktuell besteht dafür eigentlich kein Anlaß."