User stehen Programmiererheimarbeit skeptisch gegenüber

04.11.1983

Die in den Vereinigten Staaten von einigen Branchenexperten propagierte "Heimarbeit im Programmierbereich" stößt bei deutschen DV-Benutzern offensichtlich auf Widerstand. Zwar verlocken zunächst Faktoren wie Kostenersparnis, freie Zeiteinteilung und eigenverantwortliche Arbeitsweise, doch wendet sich bei näherer Betrachtung das Blatt zuungunsten der Softwerker und Auftraggeber-. Mangelnde Kommunikation mit den betreffenden, Fachabteilungen und Kollegen monieren die Befragten ebenso wie die zahlreichen Ablenkungen durch die häusliche Umgebung. Auch sind sie über die "Lösung im stillen Kämmerlein" nicht sonderlich begeistert. Viele Verantwortliche sehen Probleme auch darin, daß ein solcher Einzelkämpfer nicht mehr kontrollierbar ist. kul

Heinrich Conrad, Leiter der DV und Ablauforganisation, A. Rohé, Niederlassung der Allen Group International Inc., Offenbach

Schon vor zehn Jahren war der Tod des Programmierers nach Ansicht der Auguren beschlossene Sache. Aber auch 1983 wird laufauf und landab das Wehklagen der Fachabteilungen und EDV-Leiter nicht verstummen. Der gute Programmierer bleibt Mangelware. Viele Alternativen wurden oder werden noch diskutiert. Eine neue Variante stellt die "Heimarbeit" dar.

Mit diesen Gedanken kann ich mich allerdings nicht so schnell anfreunden. Auch sind mir bis auf zwei Fälle in Rhein-Gebiet keine Einsätze von "Heimarbeitern" bekannt. Ein solches Arbeitsverhältnis erscheint mir aus mehreren Gründen problematisch:

Die Programmierer können nicht so effizient überwacht und eingesetzt werden, wie dies bei einem festangestellten Mitarbeiter der Fall ist. Ich zweifle an der Termintreue, da meines Erachtens im häuslichen Bereich die Ablenkungsgefahr durch Familie und Haushalt größer ist als im Betrieb. Es bestehen keine Testmöglichkeiten auf mittleren oder größeren Anlagen, da der "Heimarbeiter" sich diese Geräte finanziell selten leisten kann. Also muß im Zweifelsfall ein Mitarbeiter einspringen.

Bei Programmierfehlern, von denen manche erst nach Jahren entdeckt werden, ist ein Regreß oder, eine kostenlose Beseitigung zumindest nicht als selbstverständlich anzunehmen. Da der Markt nicht transparent genug ist, verursacht es meist Probleme. Hierunter verstehe ich die Möglichkeit, eine geeignete Kraft für Heimarbeit zu finden.

Ferner bin ich nicht sicher, ob die rechtliche Seite der Bezahlung einwandfrei geklärt ist. Handelt es sich um echte Heimarbeit, oder liegt ein Vertragsverhältnis mit einem freischaffenden "Künstler" vor?

Bei extremen Engpässen hat unser Unternehmen in der Vergangenheit eher traditionelle Wege beschnitten. So wurde entweder auf ein Softwarehaus oder einen wohlbekannten "Einzelkämpfer" zurückgegriffen.

Peter Brentle, DV-Leiter bei der Panavia Aircraft GmbH, München

Zu Hause einem Programmierjob nachzugehen, wird auf den ersten Blick vielen Mitarbeitern sehr praktisch erscheinen. Man kann sich die Zeit und Arbeitsweise selbst einteilen. Eine große Hilfe ist auch, daß Tools für kleinere Rechner immer besser werden. Auf der anderen Seite ist der Trend zum "mündigen Anwender" klar erkennbar. Bedingt durch diese Entwicklung werden wohl die Programmier- und Softwareentwicklungsaktivitäten etwas zurückgehen, denn die Industrie zeigt ganz klar den Trend zum Standardsoftwarepaket. Da die meisten derartigen Produkte inzwischen modular aufgebaut sind, reduziert sich die Programmpflege weitgehend auf Ergänzung und Anpassung von solchen Bausteinen.

Bei Neuentwicklungen sollten mehr als 50 Prozent der Zeit auf Systemanalyse und Design verwendet werden. Um eine solche Einteilung zu ermöglichen, müssen die Anforderungen der Fachabteilungen sehr genau festgelegt werden, damit die Entwicklung nicht an ihnen vorbeigeht. Es ist also ein enger Kontakt zwischen Datenverarbeitern und Verantwortlichen nötig, der nur möglich ist, wenn beide Gesprächspartner im Betrieb anzutreffen sind.

Wenn der Programmierer zu Hause arbeitet, fehlt die Kommunikation mit den Kollegen. Die berühmte "Lösung im stillen Kämmerlein" ist nicht immer die beste. Know-how-Transfer zwischen den Mitarbeitern findet nicht statt, und zwei widersprüchliche Entwicklungen prallen aufeinander: Einerseits gibt es die immer weitergehende Spezialisierung der Mitarbeiter, andererseits das Bestreben, integrierte Lösungen einzusetzen.

Außerdem kann ein "Heimarbeiter" zum Risikofaktor werden, da er reicht mehr im Sinne des Betriebs kontrollierbar ist und seine Gedanken mehrfach verkaufen kann.

Ein wesentlicher Aspekt der Programmierung liegt bei der Programmpflege, die den größten Aufwand beim Softwarebetrieb darstellt. Inzwischen geht man in der Branche davon aus, daß zwischen 70 und 80 Prozent der Manpower für diese Wartung, also für die Bewältigung von Historie, verwendet wird. Dem stehen 20 Prozent für Neuentwicklungen gegenüber. Eine Neuentwicklung ist inzwischen gleichsam zu einer Motivation für die Mitarbeiter geworden.

Gerd Vogt, Vorstandsmitglied bei der OSP Unternehmensberatung AG, Essen

Der bisherige Siegeszug der Datenverarbeitung - auf der Hardwareseite geprägt durch neue Technologien, Einsatzmöglichkeiten und verbessertes Preis-/Leistungsverhältnis - wird gebremst durch System- und Anwendungssoftware, die, mit den Möglichkeiten und Ansprüchen dieser Entwicklung nicht Schritt halten kann. Es existiert also ein Softwarehandikap, das jedoch nicht durch einen Mangel an Programmierern, sondern im wesentlichen durch überholte Formen der Software-Herstellung bedingt ist. Die überwindung dieser "Softwarekrise" erfordert Änderungen der bisherigen Denkansätze und Vorgehensweisen bei der Entwicklung von Softwaresystemen.

In diesem Zusammenhang und bei ständig steigenden Personalkosten wird immer häufiger die Diskussion über "Heimarbeit " bei der Software-produktion geführt. Dieser Denkansatz ist problematisch. Nicht "Heimarbeit", sondern die industriemäßige - ingenieurmäßige Produktion der Software unter Ausnutzung neuer Technologien und des Software-Tool-Einsatzes ist die effiziente Methode zur Softwareentwicklung. Sie wird mit Software-Engineering beschrieben. Im Gegensatz zur "Heimarbeit" sind als Ergebnis wartungsfreundliche, zuverlässige und gegenüber Hardwareänderungen flexible Programmpakete zu erwarten.

Durch die angesprochene Reduzierung der Wartungs- und Anpassungsarbeiten wird der Programmiererstab wesentlich entlastet da er heute oft 70 Prozent der Arbeitszeit mit der Wartung bestehender Altsysteme zubringen muß. Software-Tools nehmen außerdem wiederkehrende Routinearbeiten ab, so daß mehr Zeit frei wird, um zu Überlegen, wie neue DV-Technologien besser und rationeller nutzbar sind.

Die steigenden Anwendungsmöglichkeiten der Personal Computer und die Einführung von Computernetzwerken (Btx) sollten deshalb nicht für Heimarbeit bei der Programmierung genutzt werden, sondern den Programmieraufwand generell reduzieren. So könnten auch die Fachabteilungen (Endbenutzer) selbständig ohne Vermittlung von Spezialisten mit dem Instrumentarium der DV umgeben sein. Abfrage- und Planungssprachen kennzeichnen diese Entwicklungen.

Heimarbeit mag vielleicht im ersten Augenblick durch das Wegfallen der Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz kostengünstiger erscheinen und Motivationen bieten, wie individuelle Gestaltung der täglichen Arbeitsabläufe. Eine solche Lösung weist ähnliche Negativposten auf, wie sie der Einsatz "freier Mitarbeiter" in den Anfängen der Datenverarbeitung mit sich brachte: geringe Identifikation mit der Arbeit und dem Unternehmen des Endbenutzers, fehlender Erfahrungsaustausch im Team, keine Möglichkeit für Synergieeffekte, Problematik der Überwachung des Arbeitsfortschrittes und des Ausbildungsstandes, geringere Bereitschaft zur Weiterbildung, Frustration durch Isolation und Datenschutzprobleme. Zudem gilt es, soziale Gesichtspunkte wie Versicherungsschutz und wirtschaftliche Aspekte wie Schwarzarbeit zu berücksichtigen.

Das Gleichziehen der mit Hardwareentwicklungen nicht schritthaltenden Software kann nur durch ihre industrielle Produktion überwunden werden und nicht durch handwerkliches Erstellen oder durch Hausfrau oder Hausmann, die vielleicht nebenberuflich "Programme in Heimarbeit stricken".