Pentagon beschränkt-Zugang zu Forschungssymposien:

USA schotten Europa von Technikwissen ab

25.04.1986

MÜNCHEN - Eine härtere Gangart gegenüber den Verbündeten hat Washington eingeschlagen: Die Amerikaner schotten die europäischen Partner immer mehr von ihrem technischen Know-how ab. So werden hiesige Wissenschaftler und Unternehmensvertreter in den USA zunehmend von High-Tech-Kongressen ausgeschlossen. Auch hängen in rund 200 US Forschungsuniversitäten seit Sommer vergangenen Jahres "Verbotsschilder" mit der Aufschrift "For US-citizens only".

Der Einfluß des Pentagon auf die amerikanische Forschungsszene ist ungleich größer geworden als bisher. So kann sich das Verteidigungsministerium inzwischen bis zu zehn Tage vor einer Konferenz mit einer Forschungsthematik die Referate und Unterlagen vorlegen lassen. Auch ist es jetzt berechtigt, ganze Passagen aus den Manuskripten zu kürzen (siehe COMPUTERWOCHE vom 28. Februar 1986, Seite 6, "USA: Stopp für Techno-Transfer in Ostblock").

Kontrollen werden zunehmend schärfer

Das Verteidigungsministerium verlangt ferner immer häufiger von Wissenschaftlern, für die Teilnahme an einem Symposium ihre amerikanische Staatsbürgerschaft zu beweisen. Außerdem müssen sie garantieren, keine Informationen an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Die neue "US-Denke" erfuhr Jürgen Altmann, Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt, unlängst am eigenen Leib, als er die Tagung der Society of Photo-Optical Instrumentations Engineers (Laserkommunikation und Infrarotoptik) in San Diego besuchte. In der Nacht vor Konferenzbeginn erhielten die Organisatoren ein Telegramm des Department of Defense, das sie vor Verletzungen der Exportkontrollbestimmungen warnte. "Nachdem am nächsten Morgen Vertreter des Ministeriums zahlreiche Konferenzteilnehmer in ihren Hotelräumen einer Befragung unterzogen hatten, wurden über 100 Konferenzpapiere ´freiwillig´ zurückgezogen", erinnert sich Altmann. Der Wissenschaftler weiter: "Teilnehmer aus befreundeten Ländern durften die Veranstaltung nur besuchen, wenn die Botschaft des eigenen Landes vorher für sie gebürgt hatte und das Pentagon seine Zustimmung gab." Das Verteidigungsministerium berief sich bei dieser Maßnahme auf ein Gesetz aus dem Jahr 1984. Danach darf es den Zugang zu Informationen beschränken, deren Bekanntgabe das Waffenexport-Kontrollgesetz verletzen könnte.

Nach Ansicht von Reinhard Rilling, Dozent an der Universität Marburg, treibt der Ausschluß ausländischer Wissenschaftler von amerikanischen Veranstaltungen immer neue Blüten. So blieben sogar bei Konferenzen über Materialwissenschaften, die an den Universitäten von Dayton, Ohio, und Los Angeles, Kalifornien, abgehalten wurden, die Pforten für Ausländer geschlossen. Dies galt selbst für Teilnehmer aus NATO-Ländern. Ein Meeting der American Ceramics Society in Cocoa Beach, Florida, sei buchstäblich in zwei separate Hälften aufgeteilt worden: in eine für Amerikaner, die vom Handelsministerium und der NASA gefördert wurde, und eine für Ausländer.

Auffällig ist laut Rilling, daß bestimmte US-Forscher an Konferenzen im Ausland nur noch selten oder überhaupt nicht mehr teilnehmen. Ferner wäre das diskutierbare Themenspektrum durch neue Restriktionen eingeengt worden. Bis heute nicht durchsetzen konnte sich allerdings die 1983 vom Außenministerium angekündigte Visa-Überprüfung als weiteres Instrument der Wissenschaftskontrolle .

US-Wissenschaftler fordern Abhilfe

Aber auch in den Vereinigten Staaten formiert sich Widerstand: Im Herbst des vergangenen Jahres wandten sich die Präsidenten von acht renommierten wissenschaftlichen US-Gesellschaften direkt an den amerikanischen Verteidigungsminister Caspar Weinberger. In einem Schreiben mit Briefkopf des IEEE (The Institute of Electrical and Electronics Engineers, New York) brachten sie ihre Besorgnis über die Restriktionen zum Ausdruck, die die wissenschaftlichen Kongresse seit einiger Zeit behindern. Nachdrücklich baten sie um Abhilfe.

Vor diesem Hintergrund bezweifeln viele Wissenschaftler wie auch Politiker, daß die mit der Unterschrift des bundesdeutschen Wirtschaftsministers jetzt besiegelte deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in Sachen SDI zu einem gegenseitigen Technologie-Austausch führt. So warnt Josef Vosen, Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuß für Forschung und Technologie: "Jeder europäische Wissenschaftler, der sich an der SDI-Forschung beteiligt, verliert seine wissenschaftliche Autonomie. Er arbeitet zukünftig unter US-Kontrolle und kann seine Forschungsergebnisse nicht veröffentlichen." Europa müsse sich entschlossen dagegen wehren, in einigen Bereichen, wie Präzisionsoptik, Sensorik, Robotik. und Energietechnik, von den USA im Einbahnverfahren vereinnahmt zu werden.

Diese Meinung teilt auch SCS-Berater Hans Gliss aus Bonn: "Die Amerikaner nutzen unseren Know-how-Anteil im Rahmen des SDI-Abkommens, in dem wir ihnen überlegen sind. Gegenleistung gibt es nicht weil die US-Gesetzgebung es verbietet." Gliss sieht nur einen Ausweg: Europa müsse sich auf die eigenen Kräfte konzentrieren, zusammenrücken und auf Eifersüchteleien verzichten.

Wie berechtigt die Zweifel der deutschen Wissenschaftler und Politiker sind, beweist der jetzt im Kölner "Express" veröffentlichte Wortlaut der SDI-Verträge: Auf allen wichtigen Entscheidungen halten die Amerikaner wieder einmal den Daumen drauf.