Berliner Seminar zeigt amerikanische Entwicklungstrends auf:

USA bleibt Vorbild für Mikro-Aktivitäten

05.07.1985

Von Lutz Kredel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik und Datenverarbeitung der TU Berlin.

Neue US-Trends im Hard- und Softwarebereich sowie die amerikanische Marktentwicklung behandelte ein Seminar in Berlin, veranstaltet von der dortigen TU zusammen mit dem Massachusetts Institute of Technology. Aber auch der Blick zurück kam nicht zu kurz. So stellte Professor Hoo-min D. Toong (Sloans-School of Management) fest, daß die meist positiven Prognosen der Vergangenheit über den amerikanischen Hard- und Software Markt nicht eingetreten seien.

IBM gewinnt in den USA nicht nur selbst zunehmend an Marktanteilen. Unterstützt durch ein geschicktes Marketing (Technik und Software), wird zugleich eine weitgehende Ausrichtung des Marktes der kompatiblen Systeme auf IBM-Standard erreicht. Nach Aussage von Professor Toong ist bis 1990 mit einem Marktanteil im Mikro-Bereich von IBM-Systemen und Kompatiblen mit 75 Prozent zu rechnen. Die IBM-Architektur muß heute als der führende Industriestandard angesehen werden. Auch wird die von IBM vorgegebene Mikro-Architektur in den kommenden fünf bis zehn Jahren von Bedeutung sein.

In Zukunft wird man nur noch von vier Produkttypen ausgehen können. Es werden dies die Mikrocomputer sein (heute 16 Bit, zukünftig 32-Bit-Mikroprozessoren), Workstations (meist basierend auf 32-Bit-Prozessoren), die Superminis in einer Welt der 32-Bit-Prozessoren und die Mainframes in der Welt zwischen 32- und 64-Bit-Prozessoren. Zukünftig ist alle zwei Jahre ein sogenannter Technology Shift zu erwarten. Bei IBM wird dieses vom 8088 zum 80286 und über den 80386 wahrscheinlich bis hin zum 80486 gehen. Damit verbunden dürften neue Produktankündigungen zur Erweiterung des Sortiments sein.

Was man heute noch beim Mikrokauf als Option extra bezahlen muß, wird in Zukunft weitgehend gebündelt mit zum Verkaufsumfang gehören. In den USA zeichnet sich derzeit ein Boom im Bereich von Streaming-Tapes, ausgelöst durch die AT-Probleme mit der Festplatte, ab.

Streamer bald Standard

Daher ist damit zu rechnen, daß Streamer bald zur Standardausrüstung von Kleinrechnern gehören, wovon derzeit kleine Firmen wie beispielsweise Tall Grass profitieren. Als weitere Optionen zählen hierzu das Telefonmanagement (Wähleinrichtung), verbesserte Keyboards und eingebaute Modems. Als Hauptspeicherkapazität kann als Standard in nächster Zeit 512 beziehungsweise 640 KB angesetzt werden.

Bei den lokalen Netzen ist in den USA derzeitig eine breite Nachfrage von größeren Organisationen erkennbar. Viele Anbieter hoffen, sich noch in diesem sehr wachstumsträchtigen Markt etablieren zu können. Als Standards sind eigentlich nur Ethernet beziehungsweise die Token-Ring-Konzeption (verfügbar voraussichtlich ab Ende 1985) momentan zu erkennen. Im Bereich der Laser-Druckausgabe hat sich Canon bereits stark etabiliert. Firmen wie Ricoh oder Fujitsu werden ebenfalls zu der breiten Penetration der Lasertechnologie zur Druckausgabe beitragen.

Die Standard-Winchester-Disk-Kapazität dürfte sich 1986 bei zirka 70 MB einpendeln.

Um der zunehmenden Informationsflut zu begegnen, werden in den USA verstärkt optische Speichermedien angeboten. Sowohl einmal als auch mehrmals beschreibbare Systeme kommen wahrscheinlich auch in allernächster Zeit in Europa auf den Markt.

Die 3,5-Zoll-Floppy-Laufwerke, wie sie heute schon bei Apple und HP in den Produkten Verwendung finden, werden sich als Standard auch in IBM-Produkten wiederfinden.

Im Bereich der Sprachein- und -ausgabe wird sich die langsame Entwicklung der Vergangenheit kontinuierlich fortsetzen. Technische Probleme lassen sich heute weitgehend als gelöst betrachten, Schwierigkeiten bereiten allerdings noch die Kosten. Preiswertere Systeme müssen noch entwickelt werden.

Einhergehend mit dem großen Hardware-Shake-out in den USA, erwartet für 1986, ist in der nächsten Zeit auch mit einem kleineren Software-Shake-out zu rechnen. Von den 20 größten Softwareanbietern wer den voraussichtlich nur etwa zehn überleben. IBM dürfte damit seine Führungsposition in diesem Teil bestätigen. Professor Toong faßte die Marktentwicklungen in den USA treffend zusammen mit der Aussage: "The rich get richer, the poor get poorer."

Sowohl "1-2-3" als auch "Symphony" von Lotus feiern in den USA derzeitig große Erfolge. Zukünftig dürften diese Produkte, da inzwischen hervorragend am Markt eingeführt, weiterhin mit marktbestimmend sein.

Blickt man einmal auf die saisonal unterschiedlichen Absatzzahlen im Mikrocomputerbereich, so zeigt sich deutlich, daß der Kleinrechner sich in den USA inzwischen zu einem Konsumgut entwickelt hat. Auch die kostenlose Zugabe von Software zur Hardware spricht für Verkaufsmethoden wie im Discount.

Die Bedeutung der Vertriebskanäle wird auch bei der Verteilung von dem Riesenkuchen der Portables eine riesige Rolle spielen.

Mit dem integrierten System "Top View" schafft IBM eine geschlossene Softwareumgebung (eingebettet in die Hardwareumgebung) die zukünftig Mitbewerbern im Softwarebereich einige Probleme bereiten könnte. Letztendlich bestimmt die Software das Wachstum und Überleben von Hardwareanbietern am Mikromarkt.

Da neue Softwareprodukte in der Entwicklung bis hin zur Vermarktung einen hohen Kapitalbedarf erfordern, werden nur wenige Softwarehäuser in der Lage sein, neue Software entsprechend am Markt zu plazieren.

Kein Durchbruch von Unix

Es ist zu erwarten, daß nach der Konsolidierung am Softwaremarkt die zehn bedeutendsten Firmen etwa 90 Prozent des Gesamtumsatzes in den USA bestreiten werden. Die Bedeutung von "productivity tools" bleibt weiterhin von großer Bedeutung. Im Bereich von Expertensystemen ist 1986 eine wahre Flut von Software zu erwarten, da heute schon viele Softwarehäuser in den Startlöchern sitzen. Für Mikros werden die ersten Expertensysteme noch eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit haben (50 bis 200 Regeln) aufgrund der begrenzten Ressourcen.

Unix wird auch 1985 in den USA nicht den großen Durchbruch schaffen. Das vorerst noch Universitäten und Entwicklern vorbehaltene System könnte frühestens 1986 erfolgreich sein. Da aber mit entsprechenden Upgrade-Versionen von MS-DOS oder PC-DOS eine starke Annäherung an die Unix-Features zu rechnen ist, steht der Erfolg von Unix in den USA auch noch in den Sternen.