Nach der Absetzung von Erwin Staudt

US-Zentrale bringt IBM Deutschland auf Linie

24.01.2003
MÜNCHEN (wh) - Die Absetzung von Erwin Staudt hat zu wilden Spekulationen über einen bevorstehenden Umbau der deutschen IBM-Tochter geführt. Doch der Wandel von Big Blue ist schon seit Jahren im Gange. Die bereits unter Louis Gerstner wiedererstarkten Zentralisten ziehen die Zügel straffer.

"IBM entmachtet Deutschland-Chef". "Staudt rausgeschmissen". "IBM Deutschland vor radikalem Umbau". Solche Schlagzeilen wählten nicht wenige Tagesmedien für Berichte zur überraschenden Ablösung des 54-Jährigen durch den IBM-Manager Walter Raizner (48). Mit einer für Staudt wenig schmeichelhaften Pressemitteilung hatte die deutsche Landesgesellschaft selbst Spekulationen genährt: "Die Anforderungen von Kunden, Geschäftspartnern und der Öffentlichkeit an das Unternehmen erfordern eine Neuaufstellung auch des Managements der IBM Deutschland", formulierte die PR-Abteilung.

Schadensbegrenzung

Dieser Satz sei nicht herabsetzend gemeint gewesen, ruderte eine Sprecherin flugs zurück. Vielmehr gehe es darum, das Unternehmen flexibel an veränderte Marktbedingungen anzupassen und vor allem die Dienstleistungssparte IBM Global Services (IGS) noch stärker aufzustellen. Als Aufsichtsratsvorsitzender werde Staudt auch weiterhin öffentliche Auftritte wahrnehmen und sich insbesondere um Kunden aus Politik und Verwaltung kümmern. "Nicht bestätigen" könne sie Berichte, denen zufolge der Geschäftsführer wiederholt Konzernvorgaben verfehlt habe.

Abgesehen von sparsamen offiziellen Verlautbarungen und einem heftigen Medienecho spricht in der Tat wenig dafür, dass IBM radikale Veränderungen in der deutschen Landesgesellschaft anstrebt. Offenkundig hingegen ist, wie der IT-Konzern bereits seit Mitte der 90er Jahre den Wandel vom hardwarezentrierten Mainframe-Moloch hin zum Dienstleistungs- und Softwarehaus betreibt. Diese Entwicklung setzt sich auch in Deutschland fort. Insofern kann es nicht überraschen, wenn sich das Unternehmen weiter von unrentablen Produktionsstätten wie dem Speicherwerk in Mainz trennt. Nach dem mehrheitlichen Verkauf der hochdefizitären Festplattensparte an Hitachi schließt IBM damit die letzte Hardwarefabrik in Deutschland. Als weltweit verantwortlicher Leiter des Speichergeschäfts war Raizner an dem Deal mit den Japanern maßgeblich beteiligt.

Größere organisatorische Veränderungen in der deutschen Landesgesellschaft halten Experten indes für unwahrscheinlich. Die aus Regionen einerseits und Geschäftsbereichen andererseits gebildete Matrixorganisation sei für ein Unternehmen in der Größe IBMs unerlässlich, heißt es unisono. Luis Praxmarer etwa, Europa-Chef der Meta Group, sieht "keine Notwendigkeit für eine gravierende Neuausrichtung von IBM Deutschland". Ähnlich äußert sich Christophe Chalons, Geschäftsführer der IT-Beratung PAC Deutschland, zu den Organisationsstrukturen. Diese seien nicht auf die hiesige Tochter beschränkt, sondern global gezogen. "Was sollte ein Umbau bewirken?"

Eher schon spricht einiges dafür, dass die IBM-Spitze mit dem Personalwechsel die Macht der Konzernzentrale in Armonk stärken will. Raizner kennt die Anforderungen und Gepflogenheiten im Zentrum der Macht aus nächster Nähe. Von ihm erwartet das Führungsgremium, dass er Konzernvorgaben ohne großen Widerstand umsetzt - anders als Staudt, der sich etwa gegen die Mainzer Betriebsschließung gewehrt haben soll.

Schon Gerstner machte aus seiner Abneigung gegen allzu selbständige Tochtergesellschaften keinen Hehl. "Dezentrale Entscheidungsprozesse sind einfach zu teuer und zu langsam, wenn in der Firma wichtige Entscheidungen anstehen", schreibt der vor knapp einem Jahr abgetretene Konzernchef in seinem Buch: "Wer sagt, Elefanten können nicht tanzen?" Nach seinem Amtsantritt im April 1993 ließ er alle vom Vorgänger John Akers eingeleiteten Schritte zur Dezentralisierung zurücknehmen.

Diese Haltung bekam auch der einstige Deutschland- und Europa-Chef Hans-Olaf Henkel zu spüren, der 1994 seinen Hut nehmen musste. "Wir wollten aus IBM ein wirklich integriertes Unternehmen machen", berichtet Gerstner über die Hürden beim Umbau des Konzerns. "Doch alle Ressourcen ''gehörten'' den Chefs der Produktabteilungen und den Länderchefs." Henkel, der als besonders eigensinniger Landesfürst galt, erwähnt er mit keinem Wort.

Sam Palmisano, Gerstners Nachfolger und langjähriger Weggefährte, denkt ähnlich. Einige erwarten von ihm sogar eine noch aggressivere Vorgehensweise. "In schlechten Zeiten ist es normal, dass die Zentrale die Zügel anzieht", sagt PAC-Analyst Chalons dazu. Zu hoffen sei das allerdings nicht, denn IBM habe gerade hierzulande "den Spagat zwischen global und lokal gut geschafft".

In der Stuttgarter Dependance verweist man gerne auf die firmenüblich häufigen Personalwechsel auf Management-Ebene. So sei es normal, dass Länderchefs nach vier bis fünf Jahren einen anderen Posten übernähmen. Ganz abwegig ist das nicht. Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungsunternehmen Techconsult spricht von einem "Rotationsprinzip", das zwar nach außen hin etwas seltsam erscheine, sich aber bewährt habe. So wechselten Führungskräfte häufig zwischen Zentrale und Landesgesellschaften; auch an der Spitze der Produktbereiche gebe es eine hohe Fluktuation.

Dass Staudt lediglich Opfer der blauen Rotationsmaschine wurde, ist dennoch unwahrscheinlich. Dafür sind die Aussagen von Firmenangehörigen, die zumeist anonym bleiben wollen, zu eindeutig. "Im Unternehmen wurde schon länger gemunkelt, dass Staudt gehen muss, weil er das Geschäft bei Global Services nicht in den Griff bekommen hat", sagt einer. Ein anderer berichtet von zweistelligen Umsatz- und Ertragsrückgängen. "Die Einbrüche bei IGS tun besonders weh, denn das ist die Cashcow."

IBM weist die Ergebnisse der Landesgesellschaften nicht gesondert aus und bestätigt auch diese Angaben nicht. Zur Bekanntgabe der jüngsten Quartalszahlen bezeichnete Finanzchef John Joyce allerdings das Geschäft in Europa, Großbritannien und Deutschland als "besonders schwach" (siehe Kasten "Gewinneinbruch bei steigenden Umsätzen").

Entscheidend für die Abberufung Staudts dürften indes nicht die Rückgänge an sich gewesen sein, sondern das wiederholte Verfehlen der Konzernvorgaben um gut ein Drittel, wie aus anderen unternehmensnahen Quellen verlautet. Zwar habe gerade der deutsche IT-Dienstleistungsbereich besonders unter der Konjunkturflaute zu leiden, erläutert etwa Chalons. "Doch das ist in der IBM-Zentrale nicht gesehen worden."

Im Vergleich zu seinen Vorgängern war der "begnadete Rhetoriker" (ein Mitarbeiter) Staudt bei der deutschen Belegschaft ungewöhnlich beliebt. Offen sei er gewesen und auf die Menschen zugegangen, berichtet ein Kollege. "Eigentlich waren wir froh, so einen Mann an der Spitze zu haben."

Zu den Verdiensten des gelernten Volkswirts zählen viele sein gesellschaftspolitisches Engagement, etwa als Mitbegründer und Vorsitzender der D21-Initiative oder "Erfinder der Green Card". "Unter seiner Führung ist das Image des Unternehmens deutlich gestiegen", lobt Analyst Zilch. Der ehemalige Stadtrat von Leonberg habe IBM in der Politik erfolgreich als deutsches Unternehmen positioniert. Staudt werden unter anderem gute Kontakte zu Bundeskanzler Gerhard Schröder nachgesagt.

Starre Strukturen

Es gibt aber auch Schattenseiten. So habe es der gebürtige Schwabe nicht geschafft, die starren hierarchischen Strukturen aufzubrechen, moniert Dieter Scheitor, Teamleiter IT Industrie im Vorstand der IG Metall. Noch immer stelle sich IBM Deutschland als "amerikanischer Beamtenladen mit einem uferlosen Reporting-Wesen" da.

Ob der neue Steuermann in Stuttgart das Ruder herumreißen kann, muss sich erst noch zeigen. Zu den Aufgaben Raizners zählt zuvörderst die Stärkung des Dienstleistungsgeschäfts. Dabei scheint noch offen zu sein, inwieweit die unbefriedigenden Ergebnisse auch Folgen für den zentraleuropäischen IGS-Chef Rudolf Bauer haben. In dieser Region sollen die Zahlen besonders schlecht ausgefallen sein. Staudt werde jedenfalls nicht die einzige Veränderung im Management von IBM Deutschland bleiben, verriet ein Mitarbeiter. Weitere würden "in Kürze" folgen.

Die organisatorisch noch nicht abgeschlossene Integration der rund 2000 deutschen Mitarbeiter von Pricewaterhouse Coopers Consulting dürfte Raizner ebenfalls beschäftigen, auch oder gerade weil dieses Projekt weltweit von der Zentrale "betreut" wird. Und schließlich könnte auch die von Staudt besonders engagiert verfolgte Linux-Strategie in die Kritik geraten. Intern jedenfalls werde diskutiert, ob sich die massiven Investitionen in das Open-Source-Betriebssystem überhaupt lohnten, ist zu hören. "Bislang sind IBMs Umsätze und Marktanteile mit Linux nicht so begeisternd", berichtet Zilch. Vom Linux-Engagement des Konzerns habe eher der Open-Source-Markt insgesamt profitiert. Zudem bringe es noch andere Nachteile mit sich: "Im Microsoft-Geschäft steht IBM damit nicht mehr an vorderster Front."

Gewinneinbruch bei steigenden Umsätzen

Für das vierte Quartal 2002 meldet IBM einen Gewinnrückgang von 2,6 Milliarden Dollar (2001) auf 1,9 Milliarden Dollar. Darin enthalten sind Sonderbelastungen in Höhe von 405 Millionen Dollar für die im Oktober abgeschlossene Übernahme von Pricewaterhouse Coopers Consulting (PWCC). Ohne Berücksichtigung dieser Aufwendungen liegt der Gewinn aus fortgeführten Geschäften, das heißt ohne die verkaufte Festplattensparte, bei 2,3 Milliarden Dollar. Daraus ergibt sich ein Gewinn pro Aktie von 1,34 Cent. Big Blue übertraf damit die Erwartungen von Analysten um vier Cent.

Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum um sieben Prozent auf 23,7 Milliarden Dollar. Mit einem Wachstum von 17 Prozent legte die Dienstleistungssparte IBM Global Services (IGS) nach wiederholten Rückgängen in der Vergangenheit überdurchschnittlich zu. Ohne den erstmals eingerechneten Umsatz von Pricewaterhouse Coopers hätte sich für IGS erneut ein Minus von einem Prozent ergeben.

Im seit Jahren kriselnden PC-Geschäft schaffte der Hersteller mit Kostensenkungsmaßnahmen überraschend die Rückkehr in die Gewinnzone; profitabler als im Vergleichszeitraum entwickelten sich auch die Server-Sparte sowie der Softwarebereich. Betrachtet man die Regionen, so habe der US-Markt etwas besser abgeschnitten als Kanada und Lateinamerika, erläuterte Finanzchef John Joyce. Dagegen bewertete er die Geschäfte in Europa, Großbritannien und Deutschland als "besonders schwach".

Im gesamten Geschäftsjahr 2002 sank der Gewinn von 8,1 Milliarden auf 5,3 Milliarden Dollar. Aufwendungen für die PWCC-Integration sind dabei in einer Höhe von 1,5 Milliarden Dollar berücksichtigt. Der Umsatz ging im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent auf 81,2 Milliarden Dollar zurück. (wh)