OSI in Europa nicht den Herstellern überlassen:

US-Analysten stilisieren OSI zum Zankapfel

30.05.1986

AMSTERDAM (bi) - Ein Kopf-an-Kopf-Rennen in Sachen OSI-(Open Systems Interconnection)-lmplementierungen scheinen sich derzeit Digital Equipment und IBM zu liefern. US-Analysten äußerten eine Woche nach dem weltweiten OSI-Software-Announcement von DEC jetzt auf der EuroComm '86 in Amsterdam, daß der Marktführer dennoch als erster mit einem auf OSI-Standards basierenden Netz auf dem Markt sein werde.

Wie die COMPUTERWOCHE kürzlich berichtet hat (CW 21/86, Seite 1), stehen erste Auslieferungen von Digitals OSI-Produkten unmittelbar bevor (Juni/Juli). Das neue IBM-Announcement bisher fehlender Produkte im Token-Ring-Konzept folgte auf dem Fuße. Eine gewisse Nervosität bescheinigen deshalb Insider den beiden "OSI-Marktführern".

Rudolf Strobel, Senior Consultant der Software Research Corp. Natick, Mass., untermauerte das spekulative Pre-Announcement für den Marktführer mit der Aussage, IBM müsse schon im eigenen Interesse zur Herstellung der Kompatibilität innerhalb seiner eigenen bisher teils inkompatiblen Rechnerfamilien um Offenheit bemüht sein - als Voraussetzung einer weiteren Marktausdehnung. Strobel konnte keine exakten Zeitangaben machen, berichtete jedoch von Präsentationen vor ausgewählten Kunden, und zwar von OSI-Produkten der Ebenen 4 und 5 des Schichten-Modells der OSI-Architektur. Analyst R.W. Sutton, technischer Direktor der britischen Niederlassung der General Electric Co. (GEC), sprach in diesem Zusammenhang auch von Schwierigkeiten der zwölf

europäischen für OSI engagierten Hersteller, die beiden oberen Ebenen 6 und 7 in den Griff zu bekommen. Diese unter SPAG bekannte Gruppe (Standard Promotion and Application Group) werde wegen dieser Probleme IBM schließlich den Vortritt lassen müssen.

Sutton zog auch die Möglichkeit zweier unterschiedlicher OSI-Auspragungen in Betracht, "ein unmittelbarer Anschluß an IBM ist nicht unbedingt notwendig; sollten die SPAG-Mitglieder jedoch ihren eigenen Weg gehen, können zwei inkompatible OSI-Welten entstehen", also der angestrebte Effekt eines für alle Rechner offenen Systems würde nicht erreicht werden.

Die vermutliche IBM-Strategie beschrieb Software-Experte Strobel: Zum Schutz ihres Marktes werde Big Blue für die oberen Ebenen IBM-spezifische Funktionen anbieten, und zwar speziell und ausschließlich ihren Kunden; die OSI-Software solle jedoch für alle Mitbewerber erhältlich sein.

Sutton reklamierte die Mitwirkung großer Institutionen aus der Wirtschaft, wie der Banken zum Beispiel, bei den Standardisierungsarbeiten in Europa. In den USA habe sich diese bei MAP (Manufacturing Application Protocol) hervorragend bewährt.

Die US-Organisation, die sich mit der OSI-Standardisierung befaßt, die COS (Corporation for Open Systems) nimmt im Gegensatz zur SPAG auch große Anwender in ihre Reihen auf.