Urteile aus der Vertragspraxis

23.10.1981

von Dr. Christoph Zahrnt Rechtsanwalt in Neckargemünd

1-1-° 7-1 Urteil des LG Würzburg vom 28. 10. 1975 (1 0 773/75)

Schwierigkeiten bei der Programmierung

Nichtamtliche Leitsätze:

1. Zur Frage der Änderung der Aufgabenstellung und zur Mitwirkung des Auftraggebers, bei Verträgen über Programmerstellung; hier: Bereitstellung von vor- und nachgeschalteten Programmen.

2. Zur Frage, inwieweit Krankheit des Auftragnehmers dessen Verzug ausschließt.

3. Zur Frage, inweiweit Arbeitsunterlagen in Englisch abgefaßt sein dürfen.

Der Tatbestand läßt sich wie folgt zusammenfassen:

"Die Klägerin betreibt ein kommerzielles Rechenzentrum, der Beklagte ist freiberuflich als Programmierer tätig. Im April 1974 beauftragte die Klägerin den Beklagten mit der Programmierung des Hauptprogramms Brutto-Netto-Lohnabrechnung. Das Programm sollte in Cobol geschrieben werden und auf einem Großcomputer der Serie X zum Einsatz kommen. Es wurde vereinbart, daß der Beklagte pauschal nur DM 15 000 entlohnt werden und seine Arbeit bis zum 15. Juni 1974 fertigstellen sollte. Dieser Termin wurde auf Bitten des Beklagten auf 1. August 1974 verschoben. Der Beklagte lieferte die Arbeit nicht fristgemäß ab; im Oktober 1974 bot er die Fertigstellung zum 15. 11. 1974 an. Mit Schreiben vom 21.10. 1974 drohte die Klägerin Schadensersatzansprüche für den Fall an, daß auch dieser Termin wiederum nicht eingehalten werde. Bei einem Telefongespräch am 25.10. 1974 erklärte sich der Beklagte außerstande, das Programm zum 15. 11. 1974 ausgetestet zu übergeben; gleichzeitig trat er von allen Vereinbarungen zurück und verzichtete auf jegliche Honorarforderung für seine bisherige, zweieinhalbmonatige Tätigkeit. Den Inhalt dieses Gesprächs wiederholte der Beklagte mit Schreiben vom 2. 11. 1974.

Die Klägerin behauptet: Durch die Nichtablieferung des EDV-Programmes sei ihr erheblicher Schaden entstanden. Für die anderweitige Programmierung habe sie DM 5000 mehr aufbringen, weitere DM 7600 habe sie an den Projektleiter für die Einarbeitung zweier neuer Programmierer in die Problemstellung des Programms bezahlen müssen....

Dem Beklagten wäre die fristgemäße Fertigstellung möglich gewesen, wenn er nur seine ganze Arbeitskraft diesem Projekt gewidmet hätte. Er habe sich der Klägerin unter Hinweis auf seine vieljährige Programmiererfahrung nachdrücklich für die gestellte Aufgabe empfohlen. Vor Vertragsabschluß sei ihm die vollständige, bis ins Detail vorgegebene Aufgabenstellung bekannt gewesen. Programmänderungen seien nur in unbedeutendem Umfang notwendig geworden; arbeitsaufwandvermehrend hätten sich diese nicht ausgewirkt....

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.... Die Vereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig. Die Klägerin habe ihn trotz geäußerter Bedenken zur Übernahme des Auftrags gedrängt. Sie habe nur dürftige Informationen gegeben und die Probleme heruntergespielt. Er habe noch nie mit Magnetplatten gearbeitet. Die Programmlogik auf einem Großcomputer sei zwangsläufig eine andere als die eines kleineren Rechners. Die Programmbeschreibung habe erhebliche Programm- und Systemmängel beinhaltet, bei Rückfragen seien stets Berichtigungen notwendig geworden. In den vorgeschalteten Programmen seien sogar Ablaufänderungen notwendig geworden. Im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung habe sich doch keines der Vor- und Nachlaufprogramme in einem Zustand befunden, der einem Systemtest gerechtfertig hätte. Vom Beklagten sei in zeitlicher Hinsicht Unmögliches verlangt worden. Aufgrund einer Krankheit - er habe von Mai bis August 1974 an Gastritis gelitten - sei er ohnedies nicht in der Lage gewesen, die gesetzten Termine einzuhalten. Die Höhe des Schadens werde bestritten....

Entscheidungsgründe

Der ... Klageanspruch ... ist ... begründet (° 326 BGB).

I. 1. Der auf Programmierung des Hauptprogramms Brutto-Netto-Lohnabrechnung ... gerichtete zwischen den Streitteilen abgeschlossene Werkvertrag ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig (° 138 I BGB). Es mag sein, daß der Beklagte vom Zeugen . . . zur Übernahme des Auftrags gedrängt wurde und daß die ihm gestellte Aufgabe besonders schwierig und umfangreich gewesen ist. Das reicht aber für die Bejahung der Sittenwidrigkeit nicht aus. Immerhin sollte der Beklagte für seine Tätigkeit mit DM 15 000 entlohnt werden. Zwar kann ein Vertrag auch ohne großes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig sein, sofern der eine Teil bei Anschluß erkannte, daß der Partner infolge Leichtsinns und Unerfahrenheit eine vertragliche Bindung eingeht, die seine wirtschaftliche Kraft oder seine Fähigkeiten übersteigt; dies gilt aber nur, falls dies so extrem ist, daß es dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderläuft (Erman-Westermann, 5. Aufl., RNr. 8 und 10 zu °138 BGB). Die Klägerin

hat die Probleme weder verharmlost noch heruntergespielt. Dem Beklagten wurde vor Vertragsabschluß der 60 Seiten umfassende Aufgabentext übergeben. Er hat mindestens in den Jahren 1968/ 1969 bereits in Cobol programmiert. Er konnte damit den mit der Herstellung des Programms verbundenen Arbeitsaufwand abschätzen. Mangelnde Erfahrung mit Magnetplatten kommt ihm nicht zugute. Ob mit Platten oder Bändern gearbeitet wird, betrifft in erster Linie den Aufgabenbereich des Organisators und nur peripher denjenigen des Programmierers."

Anmerkung:

Das war wohl ein geschickter, aber doch wohl falscher Sachvortrag der Klägerin. Der Beklagte hat dem anscheinend nicht deutlich genug widersprochen.

"Der Beklagte wußte, daß das Programm auf einem Computer der amerikanischen Firma . . laufen sollte. Deshalb kommt dem Umstand, daß das Cobol-Handbuch nur in englischer Sprache existiert, keine Bedeutung zu. Dies mußte er als Branchenkundiger in

seine Überlegungen miteinbeziehen. Dazu kommt, daß Cobol eine maschinenunabhängige Programmiersprache ist. Es mag sein, daß die Frist zur Erfüllung der Aufgabe ursprünglich knapp bemessen war. Dem hat die Klägerin aber Rechnung getragen. Sie hat dem 1. August 1974 als Fertigstellungstermin zugestimmt und auch nach diesem Zeitpunkt fast 3 Monate lang aus der Säumigkeit des Beklagten Rechte nicht hergeleitet.

2. Vom Beklagten wurde in zeitlicher Hinsicht Unmögliches nicht verlangt. Die Satzbeschreibungen, welche ein Essentiale nur des Programmierbeginns darstellen, wurden ihm, ebenso wie das Cobol-Handbuch, spätestens Mitte Mai 1974 zugeleitet. Die Nägerin stand dem Beklagten, wie die von ihm selbst vorgelegten handschriftlichen Aufzeichnungen zeigen, für Rückfragen zur Verfügung. Der Zeuge . . ., der die Aufgabenstellung unter freiwilliger Kontrolle einer Organisatorin selbst entwickelt und die Aufgabenstellung als über das branchenübliche Maß in den Einzelheiten vorgegeben bezeichnet hat, hat ausgesagt, nach Vertragsabschluß sei die Aufgabenstellung nur ganz unwesentlich geändert worden. Ablaufänderungen im Hauptprogramm seien nicht notwendig geworden. Es seien lediglich einige Textteile auf 2 Seiten

der Aufgabenstellung = Details der Bruttolohnfindung geändert worden. Diese Abweichungen hätten sich nicht arbeitsaufwandvermehrend ausgewirkt. Das Gericht hat keinen Anlaß, an der Aussage des Zeugen . . . zu zweifeln. Ob in den Vor- und Nachlaufprogrammen Ablaufänderungen notwendig wurden, war für die Arbeit des Beklagten nur von untergeordneter Bedeutung. Die Vor- und Nachlaufprogramme sind für die Austestung des Hauptprogramms wichtig. Im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung hatte der Beklagte aber mit der eigentlichen Programmierarbeit überhaupt noch nicht begonnen, sondern sich in der Fertigung von Definitionen erschöpft; von einem Systemlauf und erst recht vom Stadium der Echtverarbeitung war er noch weit entfernt. Der Beklagte kann sich damit nicht

auf Mängel oder nicht fristgerechten (zum August 1974) Fertigstellung der dem Programm . . . vor- und nachgeschalteten Programme berufen, ohne daß es darauf ankommt, ob die nicht fristgerechte Fertigstellung auf fehlende Daten aus dem Hauptprogramm zurückzuführen ist. Seiner Arbeit war dies auf jeden Fall im damaligen Stadium nicht hinderlich. Es bedarf deshalb nicht der Einholung des vom Beklagten beantragten Sachverständigengutachtens.

Der Beklagte mißversteht den Vortrag der Klägerin, wenn er aus dem durch die Beweisaufnahme erhärteten - Umstand, daß der Zeuge . . . 4 Monate zusätzlich für die Klägerin tätig war und zwei Programmierer benötigte, folgert, die Herstellung des Hauptprogramms sei nur in 8 Monaten möglich gewesen. Daß die beiden Programmierer 4 Monate benötigten, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die Aufgaben des Zeugen ... aber beschränkten sich nicht auf die Anleitung der Programmierer.

Letztlich vermag auch die Krankheit des Beklagten dessen Säumnis nicht zu entschuldigen. Eine Magenschleimhautentzündung bedingt nicht notwendig eine Arbeitsunfähigkeit, zumal wenn die Arbeiten nicht außer Haus vorgenommen werden müssen. Im übrigen zeigen die vom Beklagten selbst vorgelegten Gesprächsnotizen, daß er im Mai 1974 sehr wohl arbeitsfähig gewesen ist.

3. Der Beklagte kam damit, ohne daß es einer Mahnung bedurfte, mit Ablauf der vereinbarten Ausführungsfrist das heißt am 1.8.1974 in Verzug (° 284 II 1 BGB). Umstände, aus denen sich ergibt, daß er das Unterbleiben der Leistung nicht zu vertreten hat (° 285 BGB), liegen nicht vor (wie unter 1. und 2. ausgeführt). Die Klägerin kann Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. ° 326 BGB gilt auch im Recht des Werkvertrages (° 636 I 2 BGB); auch ist anerkannt, daß der Besteller im Falle der Arbeitseinstellung durch den Unternehmer nicht auf sein Kündigungsrecht nach ° 649 BGB beschränkt ist (Hanseatisches OLG Hamburg - Urteil vom 20. 8. 1970 - MDR 71/195), sondern die weitergehenden Rechte nach ° 326 BGB ausüben kann. Die notwendige Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung liegt im Schreiben der Klägerin vom 21. 10. 1974. Der Beklagte wird dort aufgefordert, das Programm bis spätestens 15. 11. 1974 abzuliefern, widrigenfalls sie ein ... Softwäre-Büro mit der Herstellung des dem Beklagten übertragenen Programms beauftragen werde; gleichzeitig drohte sie Schadensersatzansprüche an. Nachdrücklicher als geschehen konnte der Beklagte auf seine Verpflichtungen und die Konsequenzen seines Verhaltens nicht mehr hingewiesen werden. Es kommt deshalb nicht auf die im Ferngespräch vom 25. 10. 1974 der Klägerin gegenüber deutlich gemachte ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung an.

II. Durch die Nichterfüllung des Vertrages seitens des Beklagten entstanden der Klägerin Aufwendungen in Höhe von mindestens DM 12 600. Sie mußte zwei Programmierer beauftragen, die, um die Zeitversäumnis einzuholen, praktisch Tag und Nacht arbeiteten und deshalb nüt einem Pauschalhonorar von DM 20 000 zu entlohnen waren. Zusätzlich war der Zeuge ... 4 Monate länger mit der Umstellung der Lohnabrechnung auf den Großcomputer beschäftigt, als ursprünglich vorgesehen. Der Zeuge mußte die neuen Programmierer einweisen, die Arbeit unter diesen aufteilen und koordinieren, er mußte ihnen bei der Austestung der Programme Hilfestellung leisten und die Umstellung abwickeln. . . . Dafür, daß die Klägerin ihrer Schadensminderungspflicht (° 254 BGB) zuwiderhandelte, indem sie etwa verwertbare Vorarbeiten des Beklagten nicht verwendete, ist nichts dargetan."

Anmerkung.

Das Urteil zeigt, daß sich das Gericht ganz auf den Sachvortrag verlassen muß. Es kommt also darauf an, die Sache dem Gericht verständlich und argumentationsfähig vorzutragen. Argumentationsfähig heißt insbesondere, daß das Gericht die vorgetragenen Argumente verarbeiten kann.