Urteile aus der Vertragspraxis\

20.06.1981

Es gibt nicht viele Urteile im EDV-Bereich, wenn man das zum Beispiel mit der Zahl der Urteile im Bausektor vergleicht (Zahl der Urteile/Zahl der Aufträge). Um so wichtiger ist jedes einzelne, weil jedes einzelne ein Pfahl im Nebel sein kann.

Soweit mir diese Urteile bekannt geworden sind, will ich sie in einer lockeren Serie vorstellen. Wenn mir - dank Leser der CW - weitere Urteile bekannt werden, werde ich sie nachtragen. Über die reine Information hinaus soll diese Serie aber auch ein Urteil über die Gerichte ermöglichen: Ist es hoffnungslos, einem Gericht einen EDV-Sachverhalt vorzulegen, weil das den doch nicht versteht, oder kann man bei sachgerechtem Vorgehen ein sachgerechtes Urteil erwarten? Stellen Gerichte wirklich zu stark auf Formalien ab? Ich hoffe, daß diese Serie das Vertrauen in die Rechtsprechung fördert.

Jede Entscheidung (Urteil oder Beschluß) erhält von mir eine Dokumentnummer. Diese ist an meinem Buch "DV-Verträge - aus der Praxis für die Praxis" ausgerichtet: Der erste Teil der Dokumentnummer gibt den Teil des Buches an, der zweite den Vertragstyp, der dritte denjenigen Paragraphen des Vertragstyps, in dessen Regelungsbereich die Entscheidung gehört. Der vierte Teil der Dokumentnummer ist eine laufende Nummer. (Neu im Verhältnis zum Buch ist als erster Teil der Dokumentnummer die Zahl "3". Sie gilt für die Menge der Vertragstypen, die im Buch nicht behandelt sind.)

Bevor die Urteile abgedruckt werden, soll einiges über ihren Zusammenhang mitgeteilt werden.

Urteile gliedern sich gemäß § 313 Zivilprozeßordnung in das Rubrum (der Rahmen und die Beteiligten), die Entscheidungsformel, den Tatbestand und in die Entscheidungsgründe.

Rubrum und Entscheidungsformel werden in der Serie nicht mitabgedruckt, und zwar das Rubrum der Vertraulichkeit wegen, die Entscheidungsformel zum einen wegen der Vertraulichkeit, zum anderen weil sie im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen wiederholt wird, soweit sie für den Leser wichtig ist.

Den Tatbestand ermittelt das Gericht aufgrund des Vortrags der Parteien und der Beweisaufnahme.

Der Tatbestand wird gegliedert in

-den unstreitigen Tatbestand; der Sachvortrag einer Partei, der von der anderen nicht bestritten wird, gegebenenfalls nach einer Beweisaufnahme nicht mehr bestritten wird;

-den Sachvortrag der klagenden Partei, der von der beklagter bestritten wird, sowie wichtige Rechtsausführungen der klagenden Partei;

-den Antrag der klagenden Partei; -den Antrag der beklagten Partei; -den Sachvortrag der beklagten Partei, der von der klagenden bestritten wird, sowie wichtige Rechtsausführungen der beklagten Partei. Dieses Schema kann im Einzelfall komplizierter werden (zum Beispiel bei Widerklagen).

Ein entsprechendes Gliederungsschema für die Entscheidungsgründe gibt es nicht. Typischerweise nimmt das Gericht erst eine Beweiswürdung vor und äußert sich dann zur rechtlichen Seite.

Soweit das Gericht Rechtsprechung oder Literatur anführt, sind diese Nachweise überwiegend in Fußnoten ausgegliedert worden, um die Lesbarkeit der Entscheidungen zu erhöhen. Ein Abkürzungsverzeichnis dazu folgt.

Sollen Urteile in Sammlungen aufgenommen oder sogar veröffentlicht werden, werden ihnen vom Gericht oder von der Veröffentlichungsstelle Leitsätze zur dokumentarischen Erschließung vorangestellt. Im ersten Fall werden sie als "amtliche Leitsätze" bezeichnet.

Grammatische und orthographische Fehler in den Entscheidungen sind nicht berichtigt worden.

3-1-§8-1 Urteil des LG Osnabrück vom 13. März 1975 (8 0 139/75)

Gespräche vor Vertragsschluß Nichtamtlicher Leitsatz: Zum Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine vorzeitige (a.o.) Kündigung eines herkömmlichen Rechenzentrumsvertrags, hier: organisatorische Schwierigkeiten des Auftraggebers, die Leistung des RZ wirtschaftlich zu nutzen.

Der Tatbestand läßt sich wie folgt zusammenfassen:

"Die Klägerin erbringt Dienstleistungen aller Art auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung .

Der Beklagte, Inhaber einer Firma für Elektrotechnik, vereinbarte im September 1973 mit der Klägerin, daß diese ab dem 1. 10. 1973 für seinen Gewerbebetrieb die Lohn- und Gehaltsabrechnungen von ca. 120 Gehaltsempfängern bearbeiten sollte. Es war zunächst eine Laufzeit von 12 Monaten vereinbart. Gegenstand der Vereinbarung sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin geworden. Unter Ziffer 10 d ist darin ausgeführt:

´Das Auftragsverhältnis kann von jeder Seite ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Jede Kündigung hat schriftlich zu erfolgen.´

Mit Schreiben vom 21. 12. 1973 kündigte der Beklagte den Vertrag zum 31. 5. 1973 (reguläre Mindestlaufzeit bis 30. 9. 1974).

"Die Klägerin nahm die Kündigung nicht an, sondern bestand auf Vertragserfüllung und bot ihre weiteren Dienste an. Mit Schreiben vom 21. 5. 1974 unter Fristensetzung zum 30. 5. 1974 forderte die Klägerin den Beklagten auf, den vereinbarten Bearbeitungspreis für die ausgefallenen 9 Monate abzüglich der ersparten Kosten in Höhe von insgesamt 2227,50 DM zu bezahlen." Diesen Betrag macht sie mit der Klage geltend.

Der Beklagte tragt vor, daß die Klägerin bei Vertragsabschluß erklärt habe, daß das angebotene Abrechnungsverfahren eine enorme Arbeitseinsparung mit sich brachte und er dadurch Arbeitskräfte einsparen könne. Tatsächlich habe er jedoch eine zusätzliche Arbeitskraft einstellen müssen.

Darüber hinaus hatte ihn die Klägerin vor Abschluß des Vertrages darauf aufmerksam machen müssen, daß sich das angebotene Abrechnungsverfahren für seinen Betrieb nicht eigene, da es einerseits wegen der vielen auswärtigen Baustellen nicht möglich sei, die Stundenzettel pünktlich hereinzubekommen und andererseits seine Arbeitnehmer sehr häufig wechselten, so daß die jedesmal erforderlichen An- und Abmeldungen bei der Klägerin für den Betrieb des Beklagten eine zusätzliche Arbeitsbelastung brächten. Er ist der Meinung, daß er aus diesen Gründen berechtigt gewesen sei, aus wichtigem Grund vorzeitig zu kündigen."

Das Gericht sah keinen wichtigen Grund und sprach der Klägerin die Forderung zu.

Entscheidungsgründe:

"1. Die von dem Beklagten vorgetragenen Gründe rechtfertigen eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht.... Wenn ein solcher wichtiger Grund vorliegt, richtet sich dabei nach der Zumutbarkeit der Fortsetzung des dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Dauerschuldverhältnisses unter Berücksichtigung des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile. Danach ist ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Beendigung des Dauerschuldverhältnisses dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die die Durchführung des Vertrages erheblich gefährden und daher ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar erscheinen lassen.

Die vom Beklagten vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen eine vorzeitige Kündigung aus wichtigem Grunde des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages, dem im wesentlichen Dienstvertragsrecht zugrunde liegt, nicht.

a) Seine Behauptung, die Klägerin habe ihre Aufklärungspflichten bei Vertragsschluß schuldhaft dadurch verletzt, daß sie den Beklagten nicht darauf hingewiesen habe, daß Lohnabrechnungen durch EDV für einen Betrieb wie dem des Beklagten wegen der ständigen Fluktuation der Arbeitskräfte und der vielen auswärtigen Baustellen ungeeignet sei, hat der Beklagte nicht schlüssig dargetan.

Ein Wechsel der Arbeitskräfte mag durch die erforderlichen An- und Abmeldungen eine zusätzliche Arbeitsbelastung bedeuten. Sie ist jedoch nicht für das zwischen den Parteien vorliegende Vertragsverhältnis typisch, sondern tritt auch bei konventioneller Bearbeitung der Lohnabrechnung auf. Daß die zusätzliche Arbeitsbelastung gerade bei einer Abrechnung durch EDV so gravierend ist, daß ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar wäre, hat der Beklagte weder behauptet noch unter Beweis gestellt.

Desgleichen ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte nicht in der Lage sein soll, wegen der auswärtigen Baustellen die für die Abrechnung nötigen Stundenzettel rechtzeitig hereinzubekommen. Die Klägerin hat unbestritten vorgetragen, daß sie eine Reihe von Handwerksbetrieben betreut und daß dort die Lohnabrechnung durch EDV ohne Schwierigkeiten verlaufe. Wenn sich trotzdem bei dem Beklagten Schwierigkeiten ergeben haben, so handele es sich dabei um Probleme der innerbetrieblichen Organisation, die jedenfalls behebbar gewesen wären, keinesfalls jedoch einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen .

b) Hinsichtlich seiner Behauptung, die Klägerin habe vor Vertragsabschluß wiederholt darauf hingewiesen, daß das angebotene Abrechnungsverfahren für den Betrieb des Beklagten enorme Arbeitseinsparungen mit sich brächte und Arbeitskräfte einsparen helfe, ist der Beklagte beweislos geblieben.

Letzteres hat selbst der Zeuge des Beklagten, der Geschäftsführer. . ., nicht bestätigen können.

Zwar hat dieser Zeuge bekundet, daß seitens der Klägerin erklärt worden sei, daß eine enorme Arbeitserleichterung eintreten würde und daß er deshalb dem Beklagten die Einführung der EDV-Abrechnung empfohlen habe. Dem steht jedoch gegenüber die Aussage des Zeugen . . ., der aussagte, daß er lediglich auf den betriebswirtschaftlichen Nutzen der neuen Methode hingewiesen habe und auch in dem Beklagten gegebenen Unterlagen nichts von einer Arbeitseinsparung und Arbeitserleichterung stünde.

Es besteht keine Veranlassung, der Aussage eines der beiden Zeugen den Vorzug zu geben. Jeder der Zeuge war und ist jeweils bei einer der Parteien beschäftigt, so daß sich von vornherein gewisse Zweifel an der Unvoreingenommenheit beider Zeugen nicht ausschließen lassen. Da der Beklagte für seine Behauptung beweispflichtig war, ist er insoweit beweislos geblieben.

Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme auch nicht ergeben, daß der Beklagte wegen der Lohnabrechnung durch die Klägerin eine zusätzliche Arbeitskraft habe einstellen müssen. Vielmehr hat für die ausgeschiedene Angestellte ... die Zeugin ... die Vorbereitung der EDV-Unterlagen übernommen, nachdem sich herausstellte, daß dies nicht nebenbei erledigt werden konnte.

Zwar kann eine Kündigung aus wichtigem Grund, der lediglich aus eigenen Interessen des Kündigenden hergeleitet wird, unter Umständen auch zu einer Beendigung des Vertragsverhältnisses führen, wenn die Geschäftsgrundlage weggefallen ist oder sich grundlegend geändert hat.

Wird fortgesetzt