Urteile aus der Vertragspraxis

24.09.1982

Von Dr. Christoph Zahrnt, Rechtsanwalt in Neckargemünd

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2-3- ° 7-1 Urteil des OLG Frankfurt vom 25. November 1975 (5 U 11/75)

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Fehlende Nachfristsetzung

Nichtamtliche Leitsätze

1. Zur Frage, wann eine Nachfristsetzung entfallen kann.

2. Zur Auslegung einer Vereinbarung, daß ein EDV-System bis zu einem bestimmten Tag "aufgestellt" sein soll.

Der Tatbestand läßt sich wie folgt zusammenfassen (wobei Schreibfehler im Urteil korrigiert sind):

"Im Mai 1972 schlossen die Parteien einen Vertrag über die Lieferung eines Bürocomputers X. Die Lieferung sollte schnellstens erfolgen. Mit Schreiben vom 17. Juli 1972 machte

die Beklagte geltend, die Geräte hätten zum 1. Juli 1972 geliefert und einsatzbereit sein sollen. Mit Schreiben vom 3. August 1972 erklärte die Beklagte den Rücktritt. Einige Tage

später entschuldigte sich die Klägerin; unter dem 17. August 1972 kündigte die Klägerin an, das Gerät werde voraussichtlich in der folgenden Woche geliefert werden können. Mit Schreiben vom 24. August 1972 bestätigte die Klägerin eine zwischen den Parteien stattgefundene Unterhaltung. Es heißt u. a.: 'Als Resultat der Besprechung zwischen Ihnen und unserem Herrn K 1 in Ihrem Hause möchten wir Ihnen folgendes bestätigen: 1. Das komplette Computersystem wird bis 1. Dezember 1972 in Ihrem Hause aufgestellt. ...' Die Beklagte erinnerte mit Schreiben vom 20. November 1972 an die Installierung bis 1. Dezember 1972. Unter dem 23. November 1972 schrieb sie der Klägerin, sie werde einer Terminverschleppung über den 1. Dezember 1972 hinaus ihre Zustimmung verweigern und endgültig und unwiderruflich vom Kaufvertrag zurücktreten.

Am 1. Dezember 1972 wurde seitens der Klägerin bei der Beklagten angerufen. Die Beklagte erklärte, sie trete vom Kaufvertrag zurück. Mit Schreiben vom gleichen Tage bemängelte die Klägerin das Verhalten der Beklagten. Es heißt u. a.: 'Wir halten fest, daß unser Herr K 2 Sie heute um 9.45 Uhr anrief, um ab 14.00 Uhr die Einarbeitung in die für Sie erstellten Programme vorzunehmen. Sie haben diese Einarbeitung abgelehnt, und wir mußten mit Befremden hören, daß Sie die Angelegenheit Ihrem Rechtsanwalt übergeben haben. Wir möchten ausdrücklich betonen, daß alle Programme zu dem Einarbeitungstermin von uns fertiggestellt wurden.... Dem widersprach die Beklagte nicht.'

Die Beklagte hat vorgetragen, sie sei zurückgetreten, weil wegen der fehlenden Programmkomplettierung und der noch ausstehenden Einarbeitung keinesfalls habe ab 1. Dezember 1972 mit dem Computersystem gearbeitet werden können, was vereinbart gewesen sei. Auch habe die Klägerin das Konteneinzugsgerät nicht geliefert. Die Lohnbuchhaltung sei noch nicht fertiggestellt gewesen, und Kontokarten seien nicht vorbereitet gewesen. Auch hätte eine ordnungsgemäße Einarbeitung am 1. Dezember 1972 nicht erfolgen können."

Die Lieferantin klagte auf Zahlung. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben.

"Die Klägerin meint, sie habe bis zum 1. Dezember 1972 nur die Installation der Hard- und der Software geschuldet; es habe ihr dann ein Monat Zeit, so sei es vereinbart gewesen, zur Verfügung stehen sollen, um die Standard-Software auf die Belange der Beklagten zuzuschneiden; die Bemühungen des Programmierers, ab 1. Dezember mit der Inbetriebnahme zu beginnen, seien an dem Verhalten der Beklagten gescheitert. Am 1. Dezember 1972 seien Hard- und Software betriebsbereit gewesen."

Die Berufung der Beklagten war erfolglos.

Entscheidungsgründe:

"... weil die Beklagte nicht wirksam von dem Vertrag zurückgetreten ist. Sie schuldet daher Zahlung in der von dem Landgericht zuerkannten Höhe.

Zwischen den Parteien sind ausdrücklich die Verkaufs- und Lieferungsbedingungen der Klägerin als Vertragsbestandteil anerkannt. Mündliche Nebenabreden sollen keine Gültigkeit haben. Nach ° 5 der Verkaufs- und Lieferungsbedingungen der Klägerin kann der Käufer nur dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er ausdrücklich eine Lieferfrist als bindend vereinbart, diese von der Klägerin nicht eingehalten ist und der Käufer der Klägerin schriftlich eine Nachfrist von mindestens vier Wochen gesetzt hat und diese Frist - die mit Zugang der Nachfrist beginnt - fruchtlos verstrichen ist. Hieran fehlt es. Weder bei dem ersten Rücktritt (3. August 1972), noch dem zweiten (1. Dezember 1972) hat die Beklagte eine Nachfrist gesetzt. Die erste Kündigung konnte folglich keine Wirksamkeit entfalten. Daß mit der Vereinbarung, wie sie von der Klägerin unwidersprochen am 24. August 1972 bestätigt worden ist, die Setzung einer Nachfrist entfallen sollte, ist nicht dargetan. Vielmehr ist der ursprüngliche Vertrag zwischen den Parteien - ehe der Rücktritt der Beklagten wirksam wurde, eben weil es an der Nachfrist fehlte - dahin modifiziert worden, daß die Klägerin per 1. Dezember 1972 Erfüllung schuldete.

Anmerkung

Auch nach bürgerlichem Recht ist grundsätzlich die Setzung einer angemessenen Nachfrist erforderlich.

Zwar hat die Beklagte nach dieser Vereinbarung durch ihre Schreiben an die Klägerin zu verstehen gegeben, daß sie den 1. Dezember 1972 unbedingt eingehalten wissen wollte. Doch konnte damit nicht - wie das Landgericht zu erwägen gibt - das Erfordernis der Nachfristsetzung entfallen. Zwar anerkannt, daß die Setzung einer Nachfrist dann nicht mehr erforderlich ist, wenn der Verpflichtete zu verstehen gibt, er werde endgültig und dauernd die Erfüllung verweigern. Hier aber es ist so, daß die Klägerin als zur Leistung verpflichtete in keiner Weise die Verweigerung angekündigt hat, vielmehr die Beklagte als die Berechtigte erklärt hat, sie betrachte einen Termin als den endgültigen. Dies kann nicht genügen, um das Erfordernis der Fristsetzung entfallen zu lassen. Denn andernfalls wäre das Erfordernis der Nachfristsetzung immer dadurch zu umgehen, daß der Berechtigte erklärt, er betrachte den vereinbarten Liefertermin als endgültig und werde keine spätere Lieferung dulden. Darauf, daß sich die Klägerin angesichts der Erklärung der Beklagten, sie werde nach dem 1. Dezember 1972 endgültig vom Kaufvertrag zurücktreten, nicht auf ihre Geschäftsbedingungen nochmals ausdrücklich berufen hat, kommt es nicht an. Denn niemand braucht sich - sind seine Bedingungen Vertragsbestandteil geworden und nicht zu beanstanden - gegenüber Erklärungen des Vertragspartners, die eindeutig nach Vertragsschluß liegen und gegen die vereinbarten Bedingungen verstoßen, jedesmal auf seine Bedingungen zu berufen. Die Klägerin durfte den 1. Dezember 1972 und die sich anschließende Nachfrist durch die Beklagte abwarten. Da die Beklagte keine Nachfrist gesetzt hat, fehlt es schon deshalb an einem wirksamen Rücktritt der Beklagten, so daß sie zur Zahlung verpflichtet ist.

Selbst wenn man dem nicht folgt und von einem Fixgeschäft ausgeht, wie es die Beklagte vertritt, fehlt es an einem wirksamen Rücktritt der Beklagten:

Gemäß der Bestätigung vom 24. August 1972, der nicht widersprochen worden ist, sollte das komplette Computersystem bis 1. Dezember 1972 in dem Hause der Beklagten aufgestellt sein. Bis 1. Dezember 1972 bedeutet, daß die Beklagte auch noch am 1. Dezember selbst bei der Klägerin tätig sein durfte. Deren Weigerung, den Vertreter der Klägerin einzulassen, führt dazu, daß Zweifelsfragen, welche Arbeiten am 1. Dezember 1972 hätten ausgeführt werden können, zu Lasten der Beklagten gehen.

So ist davon auszugehen, daß die noch fehlende Software der Beklagten am 1. Dezember lieferbar und auch um 14.00 Uhr durch den Angestellten, der zur Einarbeitung befugt war, montierbar war. Zu mehr aber war die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den vorgelegten Urkunden nicht verpflichtet. Die unwidersprochene Bestätigung vom 24. August 1972 besagt eindeutig, das Computersystem solle bis zum 1. Dezember 1972 aufgestellt sein. Mit der Aufstellung allein aber ist es für den Käufer nicht getan. Der Aufstellung muß eine Einarbeitungszeit folgen, die logisch dem 1. Dezember nur nachfolgen konnte. So hat der Zeuge K 2 eindeutig bestätigt, daß die vollständige Inbetriebnahme der Anlage im Betrieb der Beklagten erst zum 1. Januar 1973 vorgesehen gewesen sei; vom 1. Dezember 1972 bis 1. Januar 1973 habe die Einarbeitung vorgenommen werden sollen. Dies hat letztlich auch der Zeuge B 2 bestätigt, der einräumte, es sei möglich, daß von einer Einarbeitungszeit bis zum 1. Januar 1973 gesprochen worden sei.

Der Zeuge K 1 hat weiter ausgesagt, die Standardprogramme der Klägerin seien aufgrund der Besprechungen mit der Beklagten angefertigt worden, d. h., es seien solche Programme gewesen, die von vorneherein auf die Situation bei der Beklagten zugeschnitten gewesen seien. Im Hinblick u.a. hierauf hat der Sachverständige ausgeführt, er halte eine Einsatzbereitschaft am 1. Dezember 1972 für möglich und eine Einarbeitung bis zum 1. Januar 1973 für durchführbar. Damit aber hätte die Klägerin ihren Verpflichtungen nachkommen können.

Bezüglich des Konteneinzugsgerätes hat der Zeuge K 1 erklärt, hierdurch werde der Betrieb der Anlage nicht infrage gestellt.

Selbst wenn man dieser Bekundung des insoweit sachkundigen Zeugen nicht folgen sollte, gilt jedenfalls folgendes: Geringe Fristüberschreitung - besonders dann, wenn es sich nur um kleine Teile einer größeren Gesamtanlage handelt - führt auch bei einem Fixgeschäft (geht man vom ihm aus) nicht automatisch zur Rücktrittsberechtigung (Palandt/Heinrichs, BGB, 35. Auflage Anm. 1). Hier mußte die Beklagte der Klägerin zumindest am 1. Dezember 1972 die Möglichkeit geben, noch tätig zu werden. Es hätte sich dann herausgestellt, was an Leistungen fristgerecht zu erbringen war und erbracht worden ist, was unter Umständen noch fehlte und an dem gleichen Tage oder welchem späteren hätte erbracht werden können. Alle diese Feststellungen hat die Beklagte vereitelt, indem sie am 1. Dezember 1972 keinen Zutritt mehr gewährte. Die Beklagte treffen daher auch die Folgen dieser Weigerung, soweit sich Tatsachen nicht mehr aufklären lassen."

Anmerkung

Dieses Urteil - voll in der Linie der Rechtsprechung - möge allen Anwendern als Warnung dienen. Wenn der Lieferant in Verzug ist und über den Termin der endgültigen Lieferung gesprochen wird, wird daraus schnell ein neuer Liefertermin.

Dubios ist es, daß die Klägerin selber vorträgt, es sei vereinbart gewesen, die Standardsoftware nach dem 1. Dezember 1972 erst "auf die Belange der Beklagten zuzuschneiden". Das "Aufstellen" bezieht sich doch wohl auf bereits zugeschnittene Programme!