Urteile aus der Vertragspraxis

27.07.1984

Dr. Christoph Zahrnt Rechtsanwalt in Neckargemünd

Aufklärungspflicht bei Verkauf von Mikrocomputern

Nichtamtlicher Leitsatz des LG

Grundsätzlich liegt im gewerblichen Bereich das Risiko nicht erkannter oder falsch eingeschätzter Folge- und Nebenkosten einer Investition beim Erwerber. Den Lieferanten kann aber eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Kosten treffen.

Nichtamtliche Leitsätze des OLG

1. Der Umfang von Aufklärungspflichten hängt von den Umständen ab, insbesondere von der Informationsbedürftigkeit des Auftraggebers und der Sachkunde des Lieferanten sowie vom Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Aufzuklären ist über Tatsachen und Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und daher für den Entschluß des Auftraggebers von wesentlicher Bedeutung sind, sofern der Auftraggeber nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten durfte.

2. Ein Fachbetrieb hat einen erkennbar unwissenden Interessenten für einen kleinen Bürocomputer über die wesentlichen Kosten, die mit dessen Einsatz verbunden sind, aufzuklären.

3. Die Unterlassung der Aufklärung kann nicht damit entschuldigt werden, daß der Lieferant bessere EDV-Kenntnisse des Interessenten vorausgesetzt hatte, wenn die Unwissenheit leicht zu erkennen war.

Paragraphen

BGB: ° 249; ° 276 (c.i.c.)

Stichworte

Aufklärungspflicht; Schadenersatz

- Freistellung von Plichten; Verletzung von Plichten bei Vertragsverhandlungen

Tatbestand des LG:

"Die Beklagte vertreibt Bürosysteme und -artikel. Ende 1980 trat der Inhaber der Klägerin, eines Lampenfabrikationsbetriebes mit 5 bis 6 Angestellten, an die Beklagte heran, um eine neue elektrische Schreibmaschine für die von seiner Ehefrau alleine erledigten Büroarbeiten des Betriebes zu erwerben. Im Verlauf der Kontaktaufnahme überzeugte der Inhaber der Beklagten ihn mit dem Hinweis, damit könne die gesamte Buchhaltung erledigt werden, statt der beabsichtigten elektrischen Schreibmaschine einen Computer mit zwei Laufwerken und einem Drucker im Leasingwege zu erwerben. Nach der entsprechenden Bestellung sollten die monatlichen Leasingraten DM 312,60 nebst Mehrwertsteuer betragen, nach 36 Monaten die Beklagte den Leasingvertrag übernehmen und die Ehefrau des Inhabers der Klägerin kostenlos von der Beklagten in den Gebrauch des Gerätes eingewiesen werden. Um (den Computer) praktisch einsetzen zu können, bedurfte es der Eingabe entsprechender bestimmter Programme. Diese werden im Handel zu Preisen von jeweils DM 3000. - bis DM 5000. - angeboten.

Die Klägerin behauptet, sie sei bei den Kaufverhandlungen nicht auf die Notwendigkeit bestimmter Programme für den Einsatz des Computers und - das hat die Beklagte nicht bestritten - insbesondere nicht auf die erheblichen Kosten für die Beschaffung derartiger Programme hingewiesen worden.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von allen Verpflichtungen (aus dem Leasingvertrag mit der Leasinggesellschaft) freizustellen.

Entscheidungsgrände des LG:

Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat der Klägerin gegenüber eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt und sie dadurch zum Abschluß des Leasingvertrages über den Computer veranlaßt.

Unter den gegebenen Umständen mußte die Beklagte nicht nur darauf hinweisen, daß der Computer nur in Verbindung mit speziellen Programmen praktisch verwendbar war, sondern auch darauf, was nicht geschehen ist, daß diese Programme erhebliches kosten. Die Kammer verkennt dabei nicht, daß es grundsätzlich gerade im gewerblichen Bereich dem Erwerber obliegt, das Risiko nicht erkannter oder falsch eingeschätzter Folge- und Nebenkosten einer Investition zu tragen. Das kann aber dann nicht uneingeschränkt gelten, wenn es sich wie hier einerseits bei den Kosten, hier je Programm DM 3000. - bis DM 5000. - um solche handelt, die im Verhältnis zu dem Aufwand für das gekaufte Gut ganz erheblich sind und damit maßgeblich für die Beurteilung der kaufmännischen Vertretbarkeit der Anschaffung ins Gewicht fallen, andererseits der Erwerber anders als sein fachkundiger Gegenüber ersichtlich diesen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang nicht durchschaut. Daß die Klägerin hier erwartete, den Computer nach seiner Anlieferung ohne weitere erhebliche Kosten einsetzen zu können, mußte sich der Beklagten aus veschiedenen Gründen aufdrängen und sie deshalb zu dem geforderten Hinweis veranlassen. So ist über die Kosten für die notwendigen Programme trotz ihrer Erheblichkeit nicht gesprochen worden. Hinzu kommt, daß der Anlaß für den geschäftlichen Kontakt, die Absicht der Klägerin eine elektrische Schreibmaschine zu erwerben, von den Kosten und der Kompliziertheit des Gerätes her außer Verhältnis zu dem dann letztlich erworbenen Computer standen. Schließlich ist zu sehen, daß die ausdrückliche Vereinbarung der kostenlosen Einweisung der Ehefrau des Inhabers der Klägerin in den Computer gerade einen Laien als der sich der Inhaber der Klägerin hier ersichtlich dargestellt hat, auch bei der allgemeinen Kenntnis davon daß Computer Programme benötigen, nicht erwarten läßt, daß vor dem praktischen Einsatz des hier erworbenen Geräts noch ganz erhebliche Kosten auf ihn zukommen".

Entscheidungsgründe des OLG:

"Die Berufung ist nicht begründet.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß die Beklagte eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt hat, was sie zum Schadensersatz verpflichtet. Die Klägerin ist so zu stellen, als hätte sie das für sie ungünstige Geschäft nicht abgeschlossen.

Der Umfang von Aufklärungspflichten hängt von den Umständen ab, insbesondere von der Informationsbedürftigkeit des Bestellers und der Sachkunde des Auftragnehmers oder Vermittlers sowie vom Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Aufzuklären ist über Tatsachen und Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und daher für den Entschluß des Bestellers von wesentlicher Bedeutung sind, sofern der Besteller nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten durfte (Staudinger, 12. Auflage, Randnummer 49 zu ° 433 BGB). Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen vor. Die Klägerin war schon lange Kundin der (Beklagten). Sie ließ dort ihre beiden elektrischen Schreibmaschinen und eine Rechenmaschine reparieren und erwog die Neuanschaffung einer elektrischen Schreibmaschine unter Inzahlungsnahme einer gebrauchten Schreibmaschine. Die Beklagte kannte die geringe Größe des Betriebs der Klägerin, die nahezu die gesamten Büroarbeiten durch die Ehefrau des Geschäftsführers erledigen ließ und keinen Computer besaß. Der Gedanke, der Klägerin einen Schreibcomputer mit einer Vielzahl angepriesener Vorzüge nahezubringen, ging von der Beklagten aus. Die Beklagte erkannte auch, daß (den Eheleuten) jegliche Erfahrung mit Computern fehlte und sie auf diesem Gebiet recht unwissend waren. Die Unwissenheit beschränkte sich nicht darauf, daß die Person, die den Computer bedienen sollte, erst eingewiesen werden mußte. (Den Eheleuten) fehlte vielmehr die Grundkenntnis über den Betrieb von Computern, wie ihre Anhörung zur Überzeugung des Senats ergeben hat. Sie glaubten, man brauche nur die erforderlichen Formulare anzuschaffen, dann funktioniere die Maschine und schreibe die gewünschten Briefe und Rechnungen. Von Programmen auf Magnetplatten, auch Disketten genannt, hatten sie noch nichts gehört.

Erst recht hatten sie keine Vorstellungen von den Preisen solcher Programme. Die Beklagte war dagegen Fachbetrieb und hatte die Möglichkeit, (die Eheleute) vor Aufgabe der Bestellung mit der Arbeitsweise der Maschine vertraut zu machen, damit sie schon einmal erkannten, welche weiteren Kosten bei Kauf oder Leasing des Computers auf sie zukamen.

Eine rechtzeitige Aufklärung hat nicht stattgefunden.

Die Beklagte kann sich nicht damit entschuldigen, sie habe bei der Klägerin bessere Kenntnis über die Arbeitsweise von Computern vorausgesetzt. (Die Eheleute) sind in einem Alter, in dem ihnen die Schule keine derartigen Kenntnisse vermittelte. Als mit der Herstellung von Lampenschirmen beschäftigte Geschäftsleute brauchten sie auch nicht mit der Computertechnik vertraut zu sein. Wen es nicht interessiert, den erreichen die vielfältigen Informationen der Medien unserer Zeit nicht. Die Unwissenheit der Eheleute war leicht zu erkennen. Sie ergab sich schon daraus, daß sie mit einem Computer noch nie befaßt waren und ihnen ein solcher auch nicht im Betrieb vorgeführt wurde. Im Zweifel hätte eine Frage der Beklagten genügt, um das Ausmaß der Unwissenheit der Eheleute deutlich zu machen. (Die Beklagte) hat sich aber damit beschränkt, die Vorzüge der Maschine herauszustellen und besonders hervorzuheben, daß die Einarbeitung der Ehefrau kostenlos erfolgen- werde. Da somit Kosten zwecks Bedienung angesprochen worden sind (die allerdings die Beklagte übernehmen wollte), hätten die sehr ins Gewicht fallenden Kosten für die Programme ebenfalls erwähnt werden müssen.

K/M-50 Urteil des LG Arnsberg vom 25. Juni 1982 (1 0 257/82) und Berufungsurteil des OLG Hamm dazu vom 4. März1983 (19 U 300/82)