Landgericht Mosbach räumt neue Leitsätze für den Umgang mit Computerprogrammen ein:

Urteil bestätigt Urheberrechte bei Software

10.09.1982

MÜNCHEN - Computerprogramme sind generell urheberrechtsfähig. Zu Diesem Ergebnis kam jetzt das Landgericht (LG) Mosbach, nachdem das Landgericht Mannheim in eines Urteil von 12. Juni 1981 (CW berichtete darüber in Ausgabe 12 vom 19. März 1982) zunächst den Urheberrechtschutz von Softwareprodukten grundsätzlich verneinte.

Der "Tatbestand" läßt sich so zusammenfassen: Der Antragsteller behauptet, ihm seien bestimmte EDV-Programme durch Software-Überlassungsvertrag zur ausschließlichen Nutzung überlassen worden. Die EDV-Programme waren von dem Antragsgegner in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer früheren Firma D. entwickelt worden. Der Antragsgegner bestreitet nicht nur die wirksame Übertragung der EDV-Programme, sondern behauptet auch, daß die von ihm vermarktete Software gegenüber den Programmen der Firma D. erheblich erweitert und verändert sei und er auch keinen Vermarktungsverzicht abgegeben habe.

In der letzten mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 1982 stellte die Antragstellerin nur noch folgenden Antrag:

Dem Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Verfügung. .. untersagt, die Software der ehemaligen Firma D. zu vertreiben oder an Dritte zu überlassen, und zwar insbesondere nicht an die Firma S. in der Form des nachfolgenden Programms St. . . .

Absolute Identität nicht erforderlich

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist zulässig (wird ausgeführt).

Für die Zulässigkeit des Antrages ist es auch ohne Bedeutung, ob die genannten Programme später so verändert worden sind, daß sie nicht mehr unter den Tenor des Antrags fallen. Auch dies ist eine Frage der Begründetheit und - gegebenenfalls - später der Vollstreckung. Für die Zulässigkeit des Antrags reicht die Glaubhaftmachung aus, daß es sich noch um Software der Firma D. handelt. Dabei ist schon jetzt darauf hingewiesen, daß absolute Identität nicht erforderlich ist. Es liegt im Wesen der Software, daß ständig kleinere oder größere Korrekturen angebracht werden, ohne daß es sich dann schon um ein "anderes" Programm handelt. Solange die Veränderungen, die in der ursprünglichen Software verkörperte geistige Leistung im wesentlichen unverändert lassen, ist es gleichwohl noch die gleiche Software. Wann diese Grenze überschritten ist, ist auch eine technische Frage, die im vorliegenden Erkenntnisverfahren nicht abschließend geprüft werden muß.

Sachverständige prüfen "Schleifen"

Allerdings werden die Gerichte dem mit der Beurteilung der technischen Frage beauftragten Sachverständigen die rechtlichen Kriterien vorgeben beziehungsweise gemeinsam mit ihm erarbeiten müssen. Die Beurteilung an Hand der Quellenprogramme wird sich dabei nicht nur nach der Quantität der Änderungen richten können. Soweit Algorithmen einfach durch andere Algorithmen mit gleicher Funktion ausgetauscht werden, wird man von einem "neuen" Programm erst bei einer viel höheren prozentualen Veränderung sprechen können als bei der Einführung funktionell anderer Algorithmen, die zusätzliche Programmgestaltungen ermöglichen. Weiterhin kann von Bedeutung sein, ob durch die Vereinfachung von "Schleifen" die Rechenoperation vereinfacht und damit die Rechenzeit verkürzt wird. Dabei wird vor der Beauftragung des Sachverständigen derjenige, der die "Neuheit" des Programms behauptet, zunächst detailliert angeben müssen, welche Änderungen er mit welchem Ziel vorgenommen hat. Aufgabe des Sachverständigen wird es dann sein, das quantitative und qualitative Verhältnis der Änderungen zu dem ursprünglichen Programm zu erläutern.

Der Vertrag vom 8. Februar 1982 bestätigt ausdrücklich die Exklusivität der Nutzungsrechte der Antragstellerin. Dem Antragsgegner stehen mithin keinerlei Vermarktungsrechte an der Software der ehemaligen Firma D. zu....

"Geistige Vorarbeit" beweisen

Es ist auch hinreichend glaubhaft gemacht, daß der Antragsgegner Software der ehemaligen Firma D. vermarktet. . .

Es kommt nämlich für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht darauf an, ob völlige Identität der Programme besteht. . . Der Antragsgegner bestreitet nämlich gar nicht, daß die jetzigen Programme auf den Programmen der Firma D; beruhen, sondern behauptet nur Veränderungen. Da der Antragsgegner als einziger weiß, welche Veränderungen er an den Programmen vorgenommen hat, trifft ihn nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen die Darlegungslast, daß es sich um wesentliche Veränderungen und infolgedessen um ein "neues" Programm handelt. Hierfür fehlt aber jeglicher Vortrag, weshalb im Rahmen des Eilverfahrens davon auszugehen ist, daß der Antragsgegner nur unwesentlich veränderte Ausgestaltungen der alten Programme vermarktet.

Wann das Gebrauchmachen von der geistigen Vorarbeit, die in einem bereits vorhandenen Programm verkörpert ist, gegen gewerbliche Schutzrechte verstößt, muß jeweils geprüft werden. Im vorliegenden Fall steht allerdings schon ohne diese Prüfung fest, daß dem Antragsgegner die Vermarktung "der" Programme der Firma D. verträglich untersagt ist.

Nicht alle Programme durch UrhG geschützt

Soweit sich der Antragsgegner auf den fehlenden Urheberrechtsschutz der Programme beruft, kann der Auffassung des LG Mannheim (Betriebsberater 1981, 1543 ff. mit weiteren Nachweisen) in dieser Frage nicht gefolgt werden. Eine Urheberrechtsfähigkeit für Computerprogramme ist generell anzuerkennen. Derartige Programme können "persönliche geistige Schöpfungen" im Sinne des ° 2 Abs. 2 Urhebergesetz (UrhG) und nicht nur das Produkt "reiner Fleißarbeit" sein. Hier darf die Frage, ob es generell eine Urheberschutzfähigkeit für Programme gibt, nicht mit der - unzutreffenden - Behauptung verwechselt werden, alle Programme seien a priori durch das UrhG geschützt. Es muß vielmehr in jedem Einzelfall geprüft werden, ob das konkrete Programm schutzwürdig ist, wie dies ja auch bei allen anderen geschützten Werken (etwa der Literatur und der Musik) geschieht. Zur Versagung des Schutzes reicht dabei nicht aus, daß auch ein "durchschnittlicher Programmierer" das zu beurteilende Programm erarbeiten kann, denn niemand denkt daran, einem Schriftsteller oder Musiker den Urheberschutz zu versagen, wenn er nur "durchschnittlich" ist.

"Programm-Ästhetik sekundär"

Soweit Zahrnt (BB 1981, 15451 meint, die Aneinanderreihung von Zeilen" beruhe nicht auf irgendeinem persönlichen Gestaltungswillen, sondern auf organisatorischen Grundsätzen und der (einer) Konstruktionslehre für die Erstellung von Software ("software engineering"), wird die Problemstellung verkannt. Ein Werk der Dichtkunst liegt ja auch dann vor, wenn dabei die Regeln der Grammatik eingehalten werden. Entscheidend kann nur sein, ob die Anwendung des "software engineering" bezogen auf die Problemstellung eine eigene geistig-schöpferische Arbeit notwendig macht. Sicher wird es Programme einfachster Art geben, denen der Urheberschutz zu versagen ist, doch kann dies für eigenständig entwickelte Programme ebensowenig gelten wie für deren Dokumentation (worauf Zahrnt zutreffend hinweist).

Abgesehen davon, daß die "Ästhetik" des Programms nicht das maßgebliche Kriterium sein kann, erscheint es durchaus möglich, daß ein Fachmann ein Computerprogramm als "ästhetisch" empfindet. Auch bei der Beurteilung von Literatur wird ja auf einen auf diesem Gebiet "Gebildeten" abgestellt.

Ein Computerprogramm ist auch etwas grundlegend anderes als eine mathematische Formel, selbst wenn ein Laie auf diesem Gebiet auf den ersten Blick zu der irrigen Meinung kommen könnte, es handle sich um Vergleichbares. Daß das Programm in einer sogenannten Programmiersprache geschrieben wird (jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Programmiertechnik), ist unerheblich, weil per Schutz des UrhG nicht an die Verwendung der Schriftsprache gebunden ist. Auch die Verwendung bereits bekannter Symbole der Programmiersprache steht dem Urheberschutz nicht entgegen, denn niemand käme auf den Gedanken, daß "Wanderers Nachtlied" nicht schutzfähig sei, weil darin nur die bereits bekannten Buchstaben des deutschen Alphabets verwendet worden seien, oder daß das "Weihnachtsoratorium" kein Kunstwerk sei, weil sich Bach nur der bereits bekannten Noten bedient habe.

Urteilsbedeutung muß eingeschränkt werden

Mit dem Urteil des LG Mosbach liegt wohl das erste Urteil vor, das den Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen bejaht und auch noch weitere Ausführungen dazu macht. Meist hatten die Gerichte bisher das Problem des Urheberrechtsschutzes von Computerprogrammen "dahingestellt" sein lassen, ohne Begründung bejaht oder gar verneint. Um so mehr überrascht dieses Urteil, zumal es sich um ein einstweiliges Verfügungsverfahren, also ein Eilverfahren, handelt, bei dem man auch zum Schluß hätte kommen können, daß sich ein derartiges Eilverfahren aus rechtlichen Gründen gar nicht eignet und die Klärung der anstehenden Probleme daher einem Hauptsacherverfahren vorbehalten werden müsse. Immerhin ist bisher die Frage des Urheberrechtsschutzes von Computerprogrammen grundsätzlich noch nicht geklärt.

Zu begrüßen sind neben der Anwendung der sogenannten Beweislastumkehr auch die Ausführungen, worauf der Sachverständige bei der Prüfung der behaupteten Veränderungen der Programme zu achten habe. Es soll jedoch davor gewarnt werden, dem Urteil bei der derzeitgen Diskussionslage allzuviel Bedeutung beizumessen. Auf die Frage des Urheberrechtsschutzes von Computerprogrammen kam es im vorliegenden Falle nämlich gar nicht mehr entscheidungserheblich an, da das Gericht zuvor schon festgestellt hatte, daß dem Antragsgegner durch Vertrag die Vermarktung der fraglichen Programme untersagt ist. So hatte das Gericht nicht mehr zu prüfen, ob das konkrete Programm auch schutzwürdig ist.

Vergleich mit Beethoven

Die Ausführungen zur Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen verdienen Beachtung. Folgt man jedoch den angegebenen Vergleichen, so müßte auch das "Surren eines 12-Zylinder-Motors" als Werk der Musik schützbar sein, da es "durchaus möglich erscheint, daß der zuständige Fachmann dies als ästhetisch empfindet" und "in ähnliche Verzückung versetzt werden kann wie der Musikfreund bei einem Klavierkonzert von Beethoven", worauf im Diebold Management Report, November 1981, nicht zu Unrecht hingewiesen wurde.

Auch stellen weder die Werke der Literatur eine in einer beliebigen Sprache abgefaßte vollständige Anweisung zur Lösung einer Aufgabe mittels einer EDV-Anlagen (Steinbuch) dar. Dies läßt immerhin Zweifel daran zu, ob ein Computerprogramm wirklich dem kulturellen Schaffen zuzuordnen ist oder nicht nur im Zusammenhang mit der Hardware, also als Technik, zu sehen ist, da mit einem Programm lediglich - wenn auch mit großem Wissen, Phantasie und Kombinationsgabe - herausgefunden wird, was die Hardware theoretisch bereits kann.

Bestehende Gesetze sind ungeeignet

Trotz der erfreulich positiven Ansätze des LG Mosbach ist damit noch nicht endgültig geklärt, ob der BGH nicht zu dem Schluß kommt, daß sich sich das Urhebergesetz nicht als Auffangbecken eignet. So wie sich der BGH bei der Ablehnung des Patentschutzes möglicherweise auch von der zu erwartenden Flut von Patentanmeldungen mit entsprechender Vergrößerung des Patentamts beeinflussen ließ, so dürfte beim Urheberschutz auch die zu erwartende Flut von Prozessen von den ordentlichen Gerichten eine Rolle spielen, wenn der Urheberschutz praktisch allen Computerprogrammen zugänglich gemacht wird.

Die kurze Aufeinanderfolge von mehreren Urteilen zur Frage des Urheberrechtsschutzes von Computerprogrammen läßt hoffen, daß demnächst auch eine höchstrichterliche Entscheidung gefällt wird. Sie läßt auch den Schluß zu, daß nunmehr sich lange Zeit auf die Einzigartigkeit ihrer Produkte verlassen haben, infolge von Standardisierung und Markterweiterung durch Mikrocomputer nach Wegen suchen, wie die in der Herstellung so teure und doch so leicht kopierbare Software gestützt werden soll. Noch allerdings nicht klar, ob das weitgehend nur gegen Nachbildung (insbesondere Kopieren) schützende Urheberrecht ausreichend ist. Da die Computerprogramme offensichtlich nur schlecht in die bestehenden Gesetze passen, muß ein System gefunden werden, das auf die typischen Belange der Softwarehersteller zugeschnitten ist. das läßt sich jedoch nur einem Sonderschutzrecht verwirklichen.

*Jürgen Betten ist Patentanwalt in München und Mitglied in einem Ausschuß der Europäischen Patentanwaltskammer, der sich mit dem Schutz von Computerprogrammen beschäftigt.