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Update: Firmen müssen um ihre Domains fürchten

29.11.1999
Urteil des BGH steht noch aus

CW-Bericht, Frank Niemann

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wieder einmal sorgt ein Richterspruch für Aufruhr in der Internet-Branche: Ein Hamburger Gericht hat die Verwendung der Internet-Domain "mitwohnzentrale.de" aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt (CW Infonet berichtete). Sollte das Urteil auch vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt werden, droht möglicherweise auch anderen Inhabern von Domains mit Gattungsbezeichnungen wie "buecher.de", "ferienhaeuser.de" oder "last-minute.de" das Aus.

Gerade erst wurde das umstrittene Urteil gegen den Ex-Compuserve-Manager Felix Somm wegen Verbreitung von Kinder- und Tierpornografie aufgehoben (CW Infonet berichtete), da schreckt die Internet-Branche erneut auf: Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg hat die Verwendung des Gattungsnamens "Mitwohnzentrale" in einer Internet-Domain verboten (Aktenzeichen 3 U 58/98). Zwar sind von diesem Urteil zunächst nur die beteiligten Parteien betroffen, allerdings, so meinen Rechtsexperten wie etwa Rechtsanwalt Hajo Rauschhofer aus Wiesbaden, hat der Richterspruch Signalwirkung und könnte eine Prozeßwelle auslösen, sollte der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigen. Schließlich verwenden Firmen häufig Gattungsbezeichnungen in ihren Internet-Adressen.

Die Richter des OLG an der Elbe begründen ihre Entscheidung damit, daß der Gattungsname Mitwohnzentrale in der Domain zu einer wettbewerbswidrigen Kanalisierung von Kundenströmen im Internet führe. Die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung findet sich unter www.netlaw.de/urteile/olghh_2.htm. Die hanseatische Justiz setzte den vorläufigen Schlußpunkt in einem Streit zweier Verbände von Mitwohnzentralen, wovon einer im Besitz der betreffenden Internet-Domain Mitwohnzentrale.de ist. Der Domain-Inhaber ist der Ring Europäischer Mitwohnzentralen e.V. mit Sitz in Hamburg, geklagt hatte der ebenfalls in der Hansestadt ansässige Verband Deutscher Mitwohnzentralen e.V. Da auf der Website natürlich nur die Verbandsmitglieder des Domain-Inhabers als Anbieter aufgeführt sind, fühlte sich der Konkurrent im Nachteil und klagte. Er selbst ist unter www.homecompany.de im Internet zu finden. Der Verband Deutscher Mitwohnzentralen machte geltend, daß sich Interessenten naturgemäß zunächst auf der Site mit dem sprechenden Namen einfinden würden. Ein anschließender Wechsel zur Konkurrenz sei unwahrscheinlich, erst recht, wenn bereits eine geeignete Unterkunft gefunden sei.

Genauso argumentierte dann auch das OLG Hamburg in der Begründung. Dort heißt es: "Die Verwendung der Internet-Domain-Bezeichnung www.mitwohnzentrale.de beziehungsweise mitwohnzentrale.de durch die Beklagten ohne unterscheidungskräftige Zusätze stellt eine nach Paragraph 1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) wettbewerbswidrige Behinderung des Leistungswettbewerbs zu Lasten des Klägers dar, zu deren Unterlassung die Beklagten verpflichtet sind."

Ein "unterscheidungskräftiger Zusatz" könnte nach Ansicht von Jürgen Schneider, Rechtsanwalt in der Münchner Anwaltskanzlei Zwipf Rosenhagen Partnerschaft, beispielsweise sein, die umstrittene Web-Adresse in "mitwohnzentrale-hamburg.de" umzubenennen. Schneider vergleicht den Sachverhalt mit einem Branchenbuch, in dem der Leser unter einem Begriff auch nicht nur einen, sondern viele Anbieter findet.

Zwar stellte der verurteilte Verband vor dem Bundesgerichtshof einen Revisionsantrag (Aktenzeichen I ZR 216/99), doch Schneider glaubt, daß der Gerichtsentscheid Bestand haben wird. Ein Aufruhr in der deutschen Internet-Branche wäre damit programmiert, eine Flut an Prozessen wohl unvermeidlich.

"Das Urteil läßt die Gepflogenheiten des Internet außer acht", bemängelt Sebastian Fischer-Jung, Justitiar des Münchner Online-Buchshops Buecher.de. Normalerweise gehöre demjenigen eine Domain, der sie zuerst beantragt - soweit keine markenrechtlichen Argumente dagegen sprechen. Bisher hat sich laut Fischer-Jung noch keiner der zahlreichen Konkurrenten über den Domain-Namen Buecher.de beschwert. Wie vermutlich viele seiner Kollegen in der Branche ist sich auch der Rechtsexperte noch nicht im klaren, was er unternehmen soll, falls ein Gericht die Verwendung der Domain untersagen oder die Änderung der Web-Adresse erzwingen würde. Nur soviel weiß er heute schon: "Wir könnten dann praktisch von vorne anfangen."

Betroffen wäre auch der Karlsruher Internet-Diensteanbieter Cinetic, der mit seinen Websites Flug.de und Last-minute.de ebenfalls Gattungsbezeichnungen verwendet. Hildebrand Müller, verantwortlich für die Online-Reisedienste bei Cinetic, fürchtet, daß junge Internet-Unternehmen ihrer Geschäftsgrundlage beraubt werden könnten, sollte der BGH das Urteil bestätigen. Einerseits gehe es bei dem Richterspruch um gleiche Chancen im Wettbewerb. Andererseits würde ein Anbieter, dessen Erfolg wesentlich von einer begehrten Domain wie etwa Last-minute.de abhängt, durch den Entzug dieser Netzadresse aus dem Markt gedrängt werden.

Diese Auffassung dürften viele andere Online-Anbieter teilen. "Es gibt jede Menge Domains, die Gattungsbezeichnungen verwenden, denn die sind am begehrtesten", beschreibt Stephan Welzel, Justitiar der Domain Verwaltungs- und Betriebsgesellschaft Denic e.G., das Ausmaß der möglichen Streitigkeiten. Laut Welzel wurde vor etwa fünf Jahren bereits überlegt, Gattungsnamen für Internet-Adressen erst gar nicht zuzulassen. Doch damals wurden die Verantwortlichen von der Entwicklung schlicht überrollt.