Tokio hat Leitfunktion wieder abgegeben

Unwägbarkeiten belasten Kauf von japanischen Elektronikaktien

23.11.1990

Das Kursdebakel dieses Jahres an den Weltaktienbörsen hat den japanischen Aktienmarkt überdurchschnittlich getroffen. Einen lndexrückschlag von bis zu über 40 Prozent mußte außer der Tokioter Börse keine der wichtigen Aktienbörsen verzeichnen.

Das hat dazu geführt, daß dieser Markt, gemessen an seiner Kapitalisierung (Gesamtzahl der Aktien aller börsennotierten Aktiellgesellschaften Multipliziert mit dem Kurswert der einzelnen Aktie), heute wieder deutlich hinter die US-Börsenkapitalisierung zurückgefallen ist, nachdem der Japanische Markt 1988 die USA vom Rang der Weltleitbörse verdrängt hatte.

Als Folge des Kurseinbruchs weist die Bewertung einzelner Unternehmen der japanischen Elektronikbranche europäischen Unternehmen annähernd vergleichbare Kennzahlen auf. Gemessen am erwarteten bereinigten Gewinn 1990 nach Steuern, werden Hitachi und Toshiba mit dem 17fachen sowie NEC Lind Sharp mit dem 25fachen des Gewinns gehandelt.

Die Gewinnerwartungen für 1991 sind trotz aller vorhandenen Unsicherheiten bei der Einschätzung des zukünftigen Wachstums für 1991 in zweistelligen Prozent-Größenordnungen nach oben gerichtet.

Diese Erwartungen sind - vor dem Hintergrund der getrübten Konjunkturaussichten wichtiger Absatzmärkte (Nordamerika, Großbritannien) - nur wegen der globalen Marktstärke der japanischen Elektronikbranche realistisch. Als Beispiel kann die Weltproduktion integrierter Schaltkreise dienen: In einer Finanzstudie des Schweizer Bankhauses Julius Bär über die japanische Elektronikbranche wird deutlich, daß bei der Herstellung von Halbleitern die, Japaner mit einem inländischen Produktionswert von 3594 Milliarden Yen (Stand Ende 1989) schon einen Weltmarktanteil von 51 Prozent erobert haben.

Die Schweizer Studie zitiert eine Umfrage der World Semiconductor Trade Statistics Inc. (WSTS), die positive Prognosen für die Branche zuläßt: Nach einer Verlangsamung des Nachfragewachstums für Halbleiter 1990 prognostiziert WSTS, in Yen gerechnet, ein Wachstum des Produktionswertes von 11,2 Prozent im nächsten Jahr und 17,9 Prozent 1992. Voraussetzung für die Richtigkeit dieser optimistischen Prognose ist Jedoch, daß sich der Generationenwechsel in die nächsthöhere Speicherkategorie der 4-Mbit-DRAMs auch tatsächlich vollzieht.

Der Analyst des Bankhauses Bär stellt hierzu eine einfache Prognose an: Solange ein 4-Mbit-DRAM (in Yen gerechnet) mehr als viermal soviel kostet wie ein 1-Mbit-DRAM, ist der Generationenwechsel nicht möglich - eine stark vereinfachende, aber plausible Prognose. Die derzeitige Relation beträgt in den USA (auch wechselkursbedingt) 1:7 und in Japan 1:5.

Toshiba soll, so die Studie der Bank Bär, bereits heute in der Lage sein, den 4-Mbit-DRAM zu einem Preis anzubieten, der den Generationenwechsel "attraktiv macht". Der Wechsel wäre demnach möglich, die Frage ist, ob - konjunkturbedingt - die Nachfrage trägt, also wie sich das Investitions- und Konsumverhalten weltweit entwickeln wird.

Tatsache ist, daß die USA und beispielsweise Großbritannien eine nachhaltige Wachstumskonsolidierung durchleben, während gleichzeitig in Osteuropa der Kollaps stattfindet. Die Frage, ob sich vor dem Hintergrund der beispiellosen politischen Rahmenbedingungen Europa und Japan einer Wachstumskonsolidierung entziehen können, ist zur Zeit nicht zu beantworten.

Diese Unsicherheit wird im Zusammenwirken mit den politischen Unwägbarkeiten das Aktienumfeld weiterhin belasten. Für Aktienkäufe japanischer Elektronikunternehmen ist es deshalb im Augenblick noch zu früh.

* Arnd Wolpers ist Geschäftsführer der Vermögensgesellschaft GmbH in München