User zweifeln an der Aufrichtigkeit der Open-Source-Politik

Unterschiedliche Linux-Strategien der Hersteller irritieren die Anwender

25.02.2000
MÜNCHEN (ade) - Windows NT oder Linux? Immer häufiger stellen sich Unternehmen die Betriebssystem-Frage auch für unternehmenskritische Systemumgebungen. Die Softwareindustrie springt zwar auf den Zug auf, doch häufig fehlt es den Anbietern an einer klaren Service- und Supportstrategie.

Eine für den Anwender relativ intransparente Produkt- und Supportstrategie verfolgt beispielsweise der Datenbankriese Oracle. Während der Anbieter auf seiner Webpage mit einer für "Oracle-8i-optimierten Linux-Distribution von Red Hat" wirbt, spricht Andreas Mantei, Produkt-Manager für Oracle 8i, lediglich von einem Kooperationsabkommen: "Da hat Red Hat Linux einfach für Oracle 8i vorkonfiguriert."

Grundsätzlich sei "8i an keine Distribution gebunden". Anders sehe es beim Thema Service und Support aus: "Wir bieten Support, beschränken diesen aber auf Distributionen", räumt der Manager ein. Im Moment leiste die Company aus Redwood Shores, Kalifornien, Hilfestellung für Red Hat, Suse und Caldera. "Wir unterstützen den Anwender bis zum Level 2, das heißt, wir supporten das Betriebssystem und die Datenbank." Vertraglich ähnele die Supportleistung der für Windows-NT-Umgebungen. Keinen Anspruch auf Support gewährt Oracle jedoch, sobald der Anwender am offenen Code des Betriebssystems manipuliert hat.

Support abhängig von der Distribution

Ähnlich wie Oracle, allerdings ohne Einschränkung auf eine bestimmte Distribution, praktiziert der Datenbankkonkurrent Informix sein Linux-Geschäft. Nach den Worten von Reiner Kappenberger, Senior Systems Consultant beim Hersteller, bietet Informix Unterstützung für die gesamte Produktpalette auf Kernel- und Library-Basis.

Die IBM, die neben den Anwendungsentwicklungsprodukten der "Visual-Age"-Reihe die Middleware "MQ Series", "Websphere", "Lotus Notes" und die "DB/2"-Datenbank für Linux zur Verfügung stellt, wirbt mit einem Support bis Level 3: "Wir unterstützen den Anwender vom Quellcode bis zur Benutzerführung", so Christian Schneider, Worldwide Relationship Manager für Linux-Lösungen bei Big Blue. Wie bei Oracle sei der Support abhängig von der Distribution. Lediglich für Suse, Caldera, Red Hat und Pacific Hitech sagt der Konzern aus Armonk seine Unterstützung zu. Schneiders Begründung: "Wir können nicht alle Linuxe testen." Empfindlich reagiert das Linux-Support-Team der IBM, wenn der Quellcode des Betriebssystems durch den Anwender verändert wird. "Wenn am Sourcecode von Linux manipuliert wird, dann sind die Distributoren zuständig", sichert sich Schneider ab. "Aber die übernehmen auch nur begrenzt die Verantwortung."

Massive Einschränkungen bei der Wahl des Betriebssystems bürdet der Walldorfer ERP-Riese SAP seinen Linux-Kunden auf: "Wegen des hohen Marktanteils" setzt der Konzern bei der Portierung und der Unterstützung von R/3 ganz auf die Distribution des Linux-Anbieters Red Hat. "R/3 könnte zwar theoretisch auf allen Ausführungen eingesetzt werden, aber um das Thema Support im Griff zu haben, beschränken wir uns auf eine Distribution", versucht Peter Barth aus dem Unternehmensbereich Technology Marketing die Abschottung von der restlichen Linux-Welt zu begründen: "Auf Distributionen wie Suse startet R/3 erst gar nicht", fügt der Manager hinzu.

So strikt will die SAP auch in die Linux-Zukunft gehen. Ein Support für andere Distributionen ist nicht geplant.

Das teilweise restriktive Verhalten kommerzieller Softwareanbieter sorgt in der Anwendergemeinde für Irritationen. Dies gilt vor allem für die Frage der Serviceleistungen und des Supports: "Ich nehme weder die Leistung eines Distributors noch die eines Datenbankherstellers in Anspruch, sondern die eines externen Dienstleisters", weiß sich Thomas Hofmann, DV-Leiter bei der Böhm Kunstofftechnik aus Tettau-Langenau, zu helfen. Der Hersteller von Schraubverschlüssen und Verpackungsmaterialien für die chemische, pharmazeutische und kosmetische Industrie vertraut mittlerweile 22 Linux-Workstations und einem Linux-Server das unternehmenskritische DV-Geschäft an. Hofmann: "Bei uns läuft alles auf zwei getrennten Netzen unter Linux mit der kommerziellen Datenbank Jard SQL."

Jürgen Bergschneider, Leiter DV und Geschäftsstellenleiter bei der Gebrüder Kufferath GmbH & Co.KG aus Düren, hat jeglichen Glauben an die Ernsthaftigkeit der Linux-Strategien kommerzieller Hersteller verloren: "Ich traue den Anbietern und ihren Linux-Strategien nicht über den Weg." Hersteller sprängen derzeit lediglich auf den Linux-Zug auf, weil es gerade modern sei. Ein echtes Engagement oder zumindest Qualität in Sachen Linux habe er weder bei Oracle noch bei Informix oder anderen Anbietern mitbekommen.

"Ich glaube nicht, dass die einzelnen Hersteller echtes Interesse am Linux-Betriebssystem haben", kritisiert Bergschneider. Aus diesem Grund hat sich die technische Weberei Kufferath, die das tägliche Geschäft zu 95 Prozent Linux-Rechnern und fünf Prozent Windows-Systemen anvertraut, für die Abas AG, Karlsruhe, als Dienstleister entschieden. Abas, selbst ein Linux-ERP-Anbieter, übernimmt den Support der Betriebssysteme Linux und Windows sowie den der Hardware der Dürener.

Einen Seitenhieb verpasst Bergschneider den vollmundigen Linux-Bekenntnissen aus Walldorf: "Die SAP mißt Open Source doch überhaupt keine Bedeutung bei. Man schottet sich ab und möchte auf keinen Fall, dass offene Quellen vorhanden sind und verschiedene Systeme miteinander kommunizieren können", lässt der DV-Profi seine Erfahrung Revue passieren. "Die SAP nutzt auch im Linux-Business ihre Monopolstellung und blockiert kleinere Anbieter und ihre Subsysteme."

Einen weiteren Problempunkt beim Einsatz von Open-Source-Produkten stellen nach Ansicht mancher Anwender die fehlenden Zertifizierungen dar. Während hardwareseitig erste Zertifizierungsmöglichkeiten existieren, fehlt es im Linux-basierten Softwarebereich an der für die Windows-Welt längst gängigen Praxis, Partner durch Schulungen und Trainings zu autorisieren. Dazu ein Linux-Kenner: "Der einzige, der zertifiziert, ist Linus Torvalds. Deshalb können Softwareanbieter im Grunde genommen alles behaupten, ohne dass es verifiziert werden könnte." Ein Zertifizierungsgremium sei derzeit aber in der Entstehungsphase.