Die "innere Kraft" ist ein wesentlicher Faktor für gute Arbeit:

Unternehmenskultur beeinflußt Projekterfolg

13.09.1985

Der Erfolg eines Wirtschaftsunternehmens gründet sich nicht nur auf finanzielle und materielle Stärke, sondern entscheidend auch auf die "human resources" einer Organisation. Diese Tatsache wird in der Projektarbeit nur selten berücksichtigt: die Planwerte liegen deshalb oft weit ab von der Realität.

Betriebswirtschaftler sprechen von der Unternehmenskultur"; berater treiben großen Aufwand, um die Menschen des Unternehmens - abgestimmt auf ihre jeweiligen Entscheidungs- und Verantwortungsspielräume - gezielt zu "kultivieren".

In diesem Zusammenhang fällt ein Phänomen auf, das sich als äußerst problematisch erwiesen hat und sich immer noch so darstellt, nämlich die Tatsache, daß große Projekte so gut wie nie termingerecht und im Rahmen der geplanten Kosten verwirklicht werden können. Überschreitungen um mehrere hundert Prozent sind nicht selten. Dies gilt für Projekte der Datenverarbeitung und Softwareentwicklung ebenso wie für Bauvorhaben, Produktentwicklungen, Verkaufsaktionen, Organisationsneu- oder -umbildungen. Meist stehen Millionenbeträge zur Debatte.

Planwerte liegen oft fern der Realität

Wesentlicher Grund dafür, daß die Planwerte in aller Regel so weit ab von der Realität liegen, ist, daß die "äußeren" Einflüsse auf das Projektgeschehen nicht einkalkuliert werden (Entscheidungsfreude, Abstimmungsaufwand, Motivation, Leistungswille, Know-how, Wille zum Erfolg). Das Projektteam selbst, die einzelnen Entscheidungs- und Mitwirkungsebenen, die auf das Projekt Einfluß nehmen, und das Umfeld bestehen aus Menschen, die in ihrer gelebten Unternehmenskultur die innere Kraft des Unternehmens verkörpern.

"Fünfzig Prozent sind der Mensch, der Rest ist die Sache", ist ein Slogan, der gerne ins Feld geführt wird, wenn es gilt, den Erfolg eines Vorhabens zu beurteilen. Mit anderen Worten: Der Mensch darf in seinem Verhalten im Rahmen der Planung, Realisierung und Einführung neuer Systeme und Unternehmungen nicht ignoriert werden.

Es ist aber nicht einfach, menschliches Verhalten kalkulierbar oder prognostizierbar zu machen. Die folgenden Ausführungen können deshalb hilfreich sein, wenn es darum geht, menschliches Verhalten in unternehmerische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Am Beispiel der Beurteilung eines Unternehmens wird auf hoher Ebene ein Weg gezeigt, der auch im kleinen, zum Beispiel der Umgebung eines Projektes, gegangen werden kann.

Jedes Unternehmen stellt ein komplexes sozio-ökonomisches System dar, dessen Gebaren und Befinden nicht nur durch Bilanzen und Statistiken, also Zahlen, bewertet werden darf, sondern auch durch die vorhandene "innere Kraft" entscheidend geprägt wird. Unter "innere Kraft" soll das Verhalten der Menschen verstanden werden, die das Unternehmen bilden und formen.

Mitarbeiter beeinflussen das Wohl und Wehe ihres Unternehmens unterschiedlich, je nach Stellung und Verantwortung. Es soll deshalb in drei Einflußgruppen unterschieden werden:

- Vorstand,

- sonstige Führungskräfte,

- Belegschaft.

Es muß ein Weg gefunden werden, die innere Kraft der Gruppen anschaulich darzustellen, um dadurch Entscheidungsmerkmale und -kriterien zu gewinnen. Zunächst soll der Vorstand eines Unternehmens näher unter die Lupe genommen werden. Es sind nicht die einzelnen Vorstände als Menschen, sondern es ist der Vorstand als Institution gemeint.

Unterschiedliche Faktoren bestimmen die innere Kraft eines Vorstandes. Als wichtigste sind zu nennen:

- Berechenbarkeit,

- Sachlichkeit,

- Sachkenntnis,

- Zielstrebigkeit,

- Führungsverhalten,

- Teamgeist.

Zur Berechenbarkeit gehören eine transparente mittel- und langfristige Planung ebenso wie ein klares Führungsverhalten. Jeder Mitarbeiter des Unternehmens muß wissen, woran er ist. Dies setzt voraus, daß zielgerichtet informiert wird und daß Rechte und Pflichten klar verteilt und abgegrenzt sind.

In puncto Sachlichkeit müssen Taktik und Politik auf das Mindestmaß reduziert werden, das im Interesse des Unternehmes - nicht des einzelnen - unbedingt erforderlich ist. Ansonsten bestimmen Sachargumente und Sachzwänge das Handeln eines Vorstandes. Persönliche Interessen sind zurückzustellen.

Auch Vorstände benötigen ein gewisses Maß an Fachwissen. Dieses wird sich mehr in Richtung des Übersichtswissens als des Detailwissens orientieren müssen. Für tiefgehende Detailkenntnisse stehen Fachkräfte zur Verfügung. Halbwissen und Zwecklogik über den erfahrenen Rat der kompetenten Fachleute zu stellen, ist leichtfertig und gefährlich.

Es muß stets erkennbar sein, daß das Handeln eines Vorstandes danach ausgerichtet ist, Ziele zu verwirklichen. Dazu müssen Ziele vorhanden und bekannt sein. Sie leiten sich aus der kurz-, mittel- und langfristigen Planung ab und werden durch operationelles oder strategisches Handeln und Denken erreicht. Zielstrebigkeit heißt auch, den Mitarbeiter zu fördern und in die Lage zu versetzen, gesteckte Ziele erreichen zu können.

Führung ist nicht auf der Basis von übertriebenem und permanentem Mißtrauen möglich. Führende und Geführte müssen sich vertrauensvoll begegnen. Zur Führung gehört es, horizontal und vertikal zu informieren, Pflichten und Rechte an die richtige Stelle zu delegieren und Leistung anzuerkennen. Nur dann sind Mitarbeiter motiviert und bereit, für das Unternehmen mitzudenken und schöpferisch tätig zu sein.

Komplexe Vorhaben sind in aller Regel nur noch im Team zu lösen. Trägheitsmomente und Verzögerungseffekte sind stark, zumal der Mensch in seiner Vielfalt und mit seinen Gefühlen und Wünschen entscheidend die Vorhaben beeinflußt. Ein einzelner kann deshalb nicht alleine gegen den Strom steuern. Veränderungen erfordern den Willen der ganzen Führungsmannschaft und setzen Einigkeit voraus. Dies ist nur im Team gegeben.

Die genannten Faktoren lassen sich in einem "Psychogramm" darstellen und bewerten. Jeder Faktor wird als Ecke eines Sechseckes dargestellt. Durch die Ecken des Sechsecks läßt sich ein Kreis legen. Verbindet man dessen Mittelpunkt mit den Ecken, so erhält man sechs Radien. Von innen nach außen wird auf den Radien die Note 1 bis 6 (sehr gut bis ungenügend) aufgetragen. Der gleiche Vorgang läßt sich auch mit anderen Vielecken nachvollziehen. Es muß kein Sechseck sein.

Beruhigender Zustand

Das Schema wird ausgefüllt, indem jedem Faktor, der Situation des Unternehmens entsprechend, eine Note von 1 bis 6 zugeordnet wird. Die Note wird auf dem zugehörigen Radius als Punkt markiert. Die Punkte werden zu einem Sechseck, dem eigentlichen Psychogramm, verbunden.

Das schraffierte Feld in Bild 1 stellt eine Bewertung der inneren - Kraft des Vorstandes dar. Würde man den Kreis mit der Kennung 3 (befriedigend) als einen "beruhigenden Zustand" akzeptieren, dann symbolisieren alle schraffierten Flächenteile außerhalb des Kreises 3 eine "beunruhigende Situation".

Folgende Folgerungen dürfen getroffen werden:

- Je mehr Ecken des Psychogrammes auf demselben Kreis liegen, desto "ausgeglichener" ist die Psyche. Ausreißer, die den Eindruck "rund" verzerren, also weitab vom Kreis liegen, stellen einseitige Verzerrungen dar.

- Je enger die schraffierte Fläche um den Mittelpunkt herum liegt, desto stabiler ist die Psyche. Am besten ist die schraffierte Fläche innerhalb des 1er-Kreises, wenn alle Faktoren mit "sehr gut" bewertet worden sind.

- Je verzerrter die schraffierte Fläche wird, desto schwerer wird eine zukunftsweisende Beurteilung zu treffen sein, weil die Ausreißerfaktoren in ihrer Wirkung schwer mit den positiven, Faktoren in Einklang zu bringen sind.

Die Abbildung 2 zeigt ein in Richtung Sachkenntnis und Führungsverhalten verzerrtes Psychogramm bei sonst guten bis sehr guten Noten; Bild 3 präsentiert ein relativ ausgeglichenes Diagramm mit einer Übertretung des 3er-Kreises bei der Zielstrebigkeit.

Rund paßt zu rund

Wie für den Vorstand eines Unternehmens, so können auch Faktoren für die Führungskräfte und für die Belegschaft definiert und vergleichbare Psychogramme erstellt werden.

Global können folgende Vermutungen zutreffend sein:

- Rund paßt zu rund.

- Verzerrt paßt zu gegenteilig verzerrt,

- Gleichartige Verzerrungen verstärken sich.

- Bei runden Psychogrammen sollten die Flächen des Psychogrammes annähernd gleich groß sein.

Ist das Psychogramm des Vorstandes rund und eng, das der Belegschaft rund und weit, so herrscht zwar innerhalb der beiden "Kasten" Ausgeglichenheit vor, dennoch wird das Unternehmen Probleme bekommen, weil der Vorstand die Belegschaft permanent überfordern wird.

Zeigen Vorstand und zweite Führungsebene zum Beispiel Verzerrungen, die sich kompensieren, so kann in Summe ein rundes Diagramm entstehen. Dennoch muß wegen des Gegensatzes mit ständigen Auseinandersetzungen gerechnet werden, bis die Kompensation wirksam wird.

Die Einzelerstellung der Psychogramme für Vorstand, sonstige Führungskräfte und Belegschaft erlaubt es, ein Urteil über Harmonie und Konfliktträchtigkeit zu fällen. Die Überlagerung ermöglicht Erkenntnisse über das gesamte Unternehmen.

Bestimmende Faktoren für die Belegschaft könnten sein:

- Mündigkeit und Reife,

- Kenntnisstand,

- Begeisterungsfähigkeit,

- Veränderungsbereitschaft,

- Leistungswille,

- Berechenbarkeit,

- Teamfähigkeit.

Das Psychogramm besteht demnach aus einem Siebeneck.

Die Führungskräfte außerhalb des Vorstandes könnten an folgenden Kriterien gemessen werden:

- Führungsverhalten,

- Loyalität,

- Sachkenntnis,

- Sachlichkeit,

- Zielstrebigkeit,

- Berechenbarkeit,

- Begeisterungsfähigkeit.

Das Psychogramm besteht ebenfalls aus einem Siebeneck.

Psychogramme sollten von Neutralen oder von mehreren Personen - zunächst unabhängig - erstellt und dann zu einem gemeinsamen Psychogramm verdichtet werden, um glaubwürdig zu sein. Sie können dazu dienen, die innere Stärke eines Unternehmens anschaulich darzustellen oder um den Betroffenen einen neutralen Spiegel, vielleicht im Sinne einer Aufwärtsbeurteilung vorzuhalten, der es ihnen erlaubt ihre Verhaltensweisen zum Wohle des Unternehmens zu verändern.

Ein interessanter Nebenaspekt der Anwendung von Psychogrammen scheint dadurch gegeben, daß nach vorstehendem Modell erstellte Psychogramme Branchentypisches zum Ausdruck bringen können. Wie sähe zum Beispiel das Durchschnittspsychogramm eines Unternehmens einer Branche aus, die niemals großen Kostendruck erfahren mußte?

Oder wie sieht das Psychogramm einer klassischen DV-Leitung aus?

Bei Projektarbeiten kann es mittels Psychogramm der Gruppen, die den Erfolg des Projektes beeinflussen, gelingen, einen Faktor für die Berücksichtigung der inneren Kraft - einen "Kulturfaktor" gewissermaßen - zu gewinnen, der es erlaubt, die Planwerte eines Projektes entsprechend zu korrigieren. Ein Unternehmen mit hoher Kultur wird seine Projektschätzwerte mit Faktoren von 1 bis 1,5 multiplizieren können, ein Unternehmen mit niedriger Kultur oder vielen individuellen Subkulturen wird mit Faktoren von 2 bis 5 leben müssen und dadurch das Ergebnis eines großen Projektes um ein Vielfaches gegenüber den quantifizierten Planwerten verteuern. Da die Unternehmenskultur sich verändern kann - und zum Besseren hin auch soll - , müssen die gewonnenen Faktoren, analog zur herkömmlichen Planung der Projekte, fortgeschrieben werden.

*Günter Schorn, Geschäftsführer Lloyd Datenverarbeitung GmbH, Deutscher Lloyd Versicherungen, München.