Unternehmenskultur - Ausweg oder lrrweg?

13.12.1985

"Nicht, weil es schwer ist, tun wir es nicht, sondern weil wir es nicht tun, ist es schwer" (Seneca)

Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Noch vor wenigen Monaten war die durch das Buch "In Search of Excellence" ausgelöste Euphorie einer neuen Unternehmenskultur ungebrochen. Doch seit den Paradebeispielen, wie Hewlett-Packard und Apple, der Mythos der Erfolgsfirmen entzogen wurde - durch, nennen wir es einmal Marktrealität -, macht sich zunehmend Skepsis breit.

Der angeblich so fundamentale neue Ansatz einer lockeren Unternehmensführung, die den Menschen in den Mittelpunkt steht, war er vielleicht doch nur ein neues Glied auf der Kette der "Managementby"-Strategien - Management by Chaos?

Vorsicht, bevor sich die technokratischen Strategen der Unternehmen genüßlich in ihren Sesseln zurücklehnen mit dem Gefühl, es ja immer schon gewußt zu haben, sollte man überlegen, ob man damit nicht das Kind gleich mit dem Bade ausschüttet.

Ein Unternehmen kann ein Produkt oder eine Leistung nach bestimmten Verfahren und bekannten Technologien erstellen oder erbringen. Es kann sie auch mit entsprechenden Marketingstrategien vermarkten. Damit ist der langfristige Erfolg aber noch nicht gesichert.

Was den eigentlichen Charakter eines Unternehmens ausmacht, ist die innere Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Firma, ist dieses komplexe Gebilde von zwischenmenschlichen Beziehungen der Mitarbeiter eines Unternehmens, ihre formelle und informelle Organisation, ihre Art zu kommunizieren und Informationen auszutauschen, letztendlich auch ihre persönliche Art, miteinander umzugehen. Und diese wiederum macht die innere Kraft eines Unternehmens aus; ein Erfolgsfaktor, der in vielen Fällen über "Sein oder Nicht-Sein" entscheidet.

Ist die Überlegung, den Menschen in den Mittelpunkt von Führungsüberlegungen und Unternehmensphilosophie zu stellen, vielleicht doch der richtige Ansatz? Eine so verstandene Unternehmenskultur darf indes nicht interpretiert werden als Ersatz für eine nüchterne, den Markt analysierende und für die Zukunft planende Unternehmensstrategie. Oder anders ausgedrückt: Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur sind zwei auf das engste verzahnte Bestandteile einer Unternehmensführung; denn eine langfristige Unternehmensstrategie kann nur dann Erfolg haben, wenn sie verankert in den Werten einer Unternehmenskultur ist. Und eine Unternehmenskultur wiederum ist nur dann lebensfähig, wenn sie sich auf eine analytische und planerische Unternehmensstrategie abstützen kann.

Was sind nun die Eckwerte einer den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Unternehmenskultur?

Zunächst gilt es, zwei entscheidende Gegensätze durch entsprechende Maßnahmen aufzulösen. Der eine Gegensatz ist der zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, der an vielen Stellen das Handeln in den Unternehmen stark negativ beeinflußt. Ganze Funktionärsstrukturen entstehen neben den eigentlichen Unternehmensstrukturen, nur um abzusichern, daß der eine den anderen nicht übervorteilt; eine für ein dynamisches Unternehmen massive Entwicklungsbremse. Der zweite Gegensatz ist der zwischen Arbeit und Freizeit (Freiheit?). Es muß jeden Menschen, der nach Selbstvewirklichung strebt, zutiefst bedrücken, daß er ein Großteil seiner Zeit, mindestens acht Stunden fast jeden Tag, als "nicht freie Zeit", als "nicht selbstbestimmte Zeit" verbringen muß.

Die Auflösung dieser Gegensätze darf man nicht nur proklamieren und herbeiwünschen, sondern man muß konkrete Maßnahmen ergreifen, damit sie sich schrittweise verwirklichen läßt. Besonders in einem in der Aufbauphase befindlichen Unternehmen kann und muß man sich dieser Problematik sehr intensiv annehmen. Der Gegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber läßt sich dabei durch ein Partnerschaftsmodell schrittweise überbrücken. Das erklärte Ziel eines derartigen Partnerschaftsmodells muß es sein, jedem eizelnen Mitarbeiter die Möglichkeit zu eröffnen, gemäß einem entsprechenden Stufenkonzept und unter Berücksichtigung seiner persönlichen Entwicklung, an den Besitzverhältnissen des Unternehmens zu partizipieren.

Dieses Modell muß ergänzt werden durch ein Organisationskonzept, das sich durch eine hierarchiearme Struktur auszeichnet. Den Schwerpunkt bilden überschaubare, möglichst eigenständige Gruppen (Teams). Dem Gedanken der Proficenter ist dabei strikt abzuschwören, um ein Konkurrenzdenken negativer Art zwischen den Einheiten auszuschließen.

Natürlich muß es lokale, aber ebenso globale Erfolgsfaktoren geben, an denen die eizelnen Einheiten gemessen werden. Dadurch kann das Denken im Sinne des gesamten Unternehmens gefördert werden und sich im Sinne einer Teamarbeit entwickeln. Diese Stärkung des Teamgedankens sollte sich durch alle Teile der Organisationsstruktur ziehen und letztendlich auch den zweiten Gegensatz zwischen Arbeit und Freizeit versuchen auszugleichen.

Entscheidungen werden im Team besser abgesichert und verstärken die Identification mit dem Unternehmen durch Identifikation mit der Gruppe. Das heißt aber nicht, daß dem Individuum, also der Persönlichkeit des einzelnen keine so große Bedeutung mehr zukommt. Ich bin der festen Überzeugung, daß "Teamgedanke" nicht sagen will, die Persönlichkeiten auf ein geradezu demotivierendes Mittelmaß zu nivellieren. Im Gegenteil: Es geht in sehr starkem Maße um das Spannungsfeld zwischen herausragenden Persönlichkeiten, ihren besonderen Stärken und der korrigierenden, analysierenden, verstärkenden oder vertiefenden Wirkungsweise des Teams.

Die Überbrückung des Gegensatzes zwischen Arbeit und Freizeit hat aber auch sehr viel mit der Thematik des Arbeitsinhaltes zu tun. Nur wenn ein Mensch sich mit seinen Arbeitsinhalten identifizieren kann, wird er seine Arbeit als eine Möglichkeit der

Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit begreifen und nutzen können. Dies bedeutet aber, es fordert geradezu eine lebendige Diskussion über die Arbeitsinhalte des Unternehmens, damit es zu keiner Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Mitarbeiter und den tatsächlichen Arbeitsinhalten des Unternehmens kommt. Im Einzelfall muß sich jeder Mitarbeiter immer wieder neu für seinen Arbeitsinhalt entscheiden. "Entscheiden" bedeutet aber, ihm im Einzelfall auch zuzugestehen, eine bestimmte Arbeit, die gegen seine persönliche Überzeugung ist, nicht durchführen zu müssen.

Ein junges, im Aufbau befindliches Unternehmen tut sich bei diesen Überlegungen vielleicht etwas leichter, weil es noch nicht über die gewachsenen Strukturen großer Konzerne verfügt. Gerade in der Aufbauphase eines Unternehmens liegt eine große Chance. Die Wechselwirkung zwischen interner Aktion und Marktreaktion ist noch nicht zu abstrakt geworden. Der Markt ist in dieser Hinsicht ein hilfreiches, aber auch kompromißloses Regulativ.