Ein Consultant zu IPv6 in der Praxis

Unternehmen hinken hinterher

25.01.2011
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Wie Unternehmen migrieren

CW: Es ist immer wieder zu hören, dass Unternehmen für die Migration 15 bis18 Monate einplanen sollten. Ist das realistisch?

JANSEN: Dieser Zeitraum ist für große Unternehmen durchaus realistisch. Eine IPv6-Migration erfordert ja klar zu definierende Schritte: Planung, Aufbau von Know-how, Hard- und Software-Updates, eventuelle Neuanschaffungen, ein Security-Konzept, Service-Provider-Strategie etc. All dies gilt es wohlüberlegt und meistens parallel zur laufenden Produktion durchzuführen. Selten wird hierfür eigens Personal abgestellt, was natürlich auf Kosten der zeitnahen Umsetzung geht.

CW: Und das Protokoll selbst bereitet keine Probleme?

JANSEN: Doch, bei IPv6 steckt der Teufel im Detail. Es gibt durchaus noch einige nur unbefriedigend gelöste technische Schwierigkeiten. Ad hoc fallen mir der DNSBereich, die IPv4/IPv6-Übergänge oder die unterschiedlichen IPv6-Implementierungen auf diversen Betriebssystemen ein. Diese Feinheiten haben so manchen Planungszeitraum "plötzlich" in die Länge gezogen.

Große Aufmerksamkeit sollte den jeweils für ihren Einsatz im neuen IPv6-Netz geplanten Applikationen gewidmet werden. Obwohl es grundsätzlich klar vorgezeichnete Wege gibt, wie eine Anwendung für IPv6 umgeschrieben werden müsste, sollte sie doch in jedem Fall einzeln gewissenhaft auf ihre reibungslose Funktion hin geprüft werden; gerade auch im Hinblick auf ihre Netzwerktauglichkeit im IPv6-Umfeld.

CW: Können Unternehmen noch abwarten, oder sollten sie jetzt unmittelbar Migrationsstrategien entwickeln?

JANSEN: Wer in und mit seinem Netz in naher und absehbarer Zukunft eigentlich nur das weiterbetreiben will, was er damit bereits heute macht - also größtenteils Client-Server-orientierten Verkehr durchschleusen -, der wird auch so bald aus funktionaler Sicht keinen Grund haben, auf IPv6 umzuschwenken. Die mangelnde Verfügbarkeit von neuen IPv4-Adressen wird, Ausnahmen bestätigen die Regel, diese Unternehmen normalerweise nicht vor Probleme stellen, da sie durch diverse Mechanismen des Load Balancings, NAT, Clustering etc. mehr als kompensiert werden können. Das ist ja bereits seit 15 Jahren Usus. Die Killeranwendung schlechthin, die den Einsatz von IPv6 erzwingt, gibt es schlicht - noch? - nicht.

Wer allerdings sein Anwendungsspektrum auf Peer-to-Peer-Kommunikation in großem Stil erweitern will, der ist gut beraten, bereits jetzt mit dem Aufbau entsprechender Infrastruktur und, gerne übersehen, IPv6-Praxiserfahrung zu beginnen.

CW: Für wen besteht nun konkret Leidensdruck?

JANSEN: Was den Leidensdruck betrifft, der kann ja bekanntlich von vorn und vonhinten gespürt werden. Man kann leiden, weil man nicht hat, was man will, oder weil man nicht hat, was man haben sollte. Viele Unternehmen, vor allem aber die Behörden, befassen sich nicht mit IPv6, weil sie es herbeisehnen und neue Chancen darin erkennen. Sie drängt oder zwingt vielmehr ein zunehmender Compliance-Druck dazu. Was aber auch sein Gutes hat.