"Unser Lehrfach bestimmt das Tempo des Fortschritts"

16.06.2000
Robert Giegerich, verantwortlich für den Studiengang naturwissenschaftliche Informatik an der Universität Bielefeld, kombiniert Informatik mit Biologie. Die Ausbildung ist speziell auf eine spätere Tätigkeit in der Genomforschung ausgerichtet.

young professional Die Bioinformatik soll in Zukunft boomen, warum?

giegerich Viele Fragen, welche die Biologie schon lange bearbeitet, wie in der Entwicklungsbiologie oder der medizinisch-pharmazeutischen Forschung, bekommen durch die Bioinformatik auf einmal eine exakte Grundlage. Man kennt den genomischen Bauplan, versteht ihn aber noch nicht. Doch im Prinzip liegt uns alles vor, um sämtliche Wege des gesunden und kranken Stoffwechsels zu erklären.

young professional Welche Methode kann man hier anwenden?

giegerich Für all diese Fragen ist die Bioinformatik die Methode, die das Tempo des Fortschritts bestimmt. Das allbekannte öffentliche Beispiel ist die Sequenzierung des menschlichen Genoms. In Amerika hat das Privatunternehmen Celera Genomics das öffentliche Projekt in einem Bruchteil der Zeit überholt. Entscheidend hierfür war, dass eine einfachere Strategie, weniger komplexe Experimente und die Bioinformatik eingesetzt wurden. Dadurch konnte Celera zehn Jahre später starten als das öffentliche Genomprojekt und kam trotzdem schneller zum Ergebnis. Kein Informatiker hätte sich für solche Probleme interessiert, wenn es nicht diese Anwendung gäbe.

young professional Was meinen Sie mit "einfachere Strategie"?

giegerich Durch den Beschluss, Genomforschung im großen Stil zu betreiben, ist die Bioinformatik erst entstanden. Ein anschauliches Beispiel: Man schreddert eine große Fichte, schaut sich die Einzelteile genau an und setzt sie wieder zusammen - das ist die Sequenzierungsstrategie von Celera. Die Progamme, die dafür entwickelt worden sind, sollen nun aus dem Haufen geschredderter Einzelteile den Baum rekonstruieren. Die alte Strategie hat den Baum vorher genau vermessen und die Teile markiert, bevor man sie zerkleinert, um sie dann mit Hilfe der Markierung wieder zusammenzusetzen. Das ist sehr aufwendig und hat viele Jahre lang hohe Kosten verschlungen. Ein Teil dieser experimentellen Methoden wird jetzt durch die Informatikmethoden überflüssig.

young professional Womit beschäftigt sich die Bioinformatik genau?

giegerich Jede neue Fragestellung in der Biologie erfordert auch ein neues Programm, das diese Frage bearbeiten kann, und jedes Ergebnis muss visualisiert werden. Dieser Prozess beginnt mit der Zusammensetzung von genomischen Daten.

young professional Das macht doch mittlerweile der Computer.

giegerich Ja, aber nicht alleine, sondern es kommen auch erprobte Verfahren zur Anwendung. Auf Basis bekannter Genome ergeben sich neue Fragestellungen in der Biologie, zum Beispiel: Wie ist ein Genom entstanden, wie ist es aufgebaut, wo unterscheiden sich verschiedene Organismen im Aufbau des Genoms.

young professional Wer kann diese Fragen beantworten?

giegerich Es gibt zwei Arten von Bioinformatikern. Zum einen solche wie wir: Wir entwickeln neue Methoden zu neuen Fragestellungen, damit man die Daten aus den Experimenten besser verstehen kann. Die andere Gruppe, die meistens eher aus der klassischen Biologie kommt, wendet unsere Methoden im großen Stil und kreativ auf ihre Daten an. Die Bioinformatik ist das Hilfsmittel der Genomforschung, der medizinischen Forschung und der Biotechnologie.

young professional Wo werden Ihre Absolventen gebraucht?

giegerich Entweder in kleinen Bioinformatikfirmen, die es erst seit ein paar Jahren gibt, bei Großforschungseinrichtungen wie den Max-Planck-Instituten oder an den Universitäten für die Forschung in der Molekularbiologie. Die Großfirmen der Chemie- oder Pharmaindustrie betreiben in Deutschland kaum Bioinformatikforschung und greifen somit stark auf kleine Betriebe zurück. Es geht darum, neue Medikamente oder Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Bioinformatiker wollen zum Beispiel Genome miteinander vergleichen, um herauszufinden, warum die eine Art der Pflanze x anfälliger gegen einen Virus ist als die andere Art der Pflanze x. Bioinformatiker werden in der gesamten Forschung benötigt, die auf die Genomforschung aufbaut.