Docusign-CEO Dan Springer im Interview

"Unser größter Konkurrent ist das Papier"

03.09.2019
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Im Bereich der Elektronischen Signatur (E-Signatur) hat sich Docusign einen großen Vorsprung vor dem Wettbewerb herausgearbeitet. CEO Dan Springer hofft, dass diese Dominanz zur Eroberung weiterer Geschäftsfelder führen wird.
  • Unternehmensprozesse, die nach wie vor auf Papier basieren, machen dem Docusign-Chef mehr zu schaffen als Wettbewerber
  • Deutsche misstrauen digitalisierten Prozessen, weil sie Angst vor Datenverlust haben und den eingebundenen Institutionen nicht trauen
  • Investitionen in KI und Softwareroboter sind für Docusign-Chef Dan Springer derzeit viel relevanter als Blockchain-Engagements

Sie sind als Anbieter für E-Signaturen gestartet und haben dann die "Agreement Cloud" angekündigt. Was bedeutet dieser Schritt?

Dan Springer, CEO von DocuSign, sieht noch viel Potenzial für die Elektronische Signatur und den gesamten Prozess rund um Vor- und Nachbereitung von digitalen Verträgen.
Dan Springer, CEO von DocuSign, sieht noch viel Potenzial für die Elektronische Signatur und den gesamten Prozess rund um Vor- und Nachbereitung von digitalen Verträgen.
Foto: DocuSign

Dan Springer: E-Signaturen waren ein guter Startpunkt, weil sie DocuSign bekannt gemacht haben. Manche Leute verwenden den Begriff DocuSign inzwischen sogar als Verb. Sie sprechen von "Docusignen", wenn sie elektronische Signaturen verwenden. Aus Sicht unserer Kunden ist die Signatur eine wichtige Komponente, aber nur ein Teil eines übergeordneten Prozesses, in dem es darum geht, eine Vereinbarung oder einen Vertrag rechtsverbindlich abzuschließen.

Was braucht es außer der E-Signatur denn noch?

Springer: Wir haben in den vergangenen Jahren viel mit unseren Kunden gesprochen und kamen so zu unserem Framework. Wir nennen es "System of Agreement". Es beginnt mit den Vorbereitungen eines Vertrags, reicht weiter über die Signatur und Authentifizierung bis hin zu Folgeaktionen, die durch eine Vereinbarung - zum Beispiel eine Zahlung - angestoßen werden sowie deren abschließende Verarbeitung. Das ist ein wichtiger Aspekt: das Management von Vereinbarungen. Dabei geht es auch um das verschlüsselte Speichern entsprechender Dokumente, die Suche nach bestimmten Informationen oder auch die Analyse von Dokumenten, um zu lernen wie das Geschäft funktioniert oder um wertvolle Erkenntnisse zur Business-Entwicklung zu gewinnen.

Jedes Unternehmen hat seine eigenen Methoden und Tools dafür entwickelt. Mit der Agreement Cloud wollen wir ihnen dabei helfen, all diese Abläufe effizienter zu handhaben, beispielsweise um Papier in den Büros zu reduzieren, den Anteil manueller Tätigkeiten zu senken oder Prozesse zu automatisieren. Es geht darum, die Systems of Agreement der Unternehmen zu modernisieren und zu digitalisieren. Die Idee war also, Lösungen für verschiedene Aspekte in diesem Umfeld anzubieten und nicht nur eine E-Signatur. Wir haben elf unterschiedliche Produktkategorien definiert und planen, weitere zu entwickeln.

Ein Framework aus verschiedenen Komponenten also?

Springer: Genau, aus Software und Services - aber hauptsächlich Software.

Papierprozesse sind nur schwer abzulösen

Viele Unternehmen tun sich schwer, ihre Abläufe zu digitalisieren - gerade hier in Deutschland. Wo wollen Sie den Hebel ansetzen?

Springer: Das trifft im Grunde auf alle Unternehmen zu. Wenn die Leute fragen: Wer sind die Konkurrenten?, dann sage ich: Unser größter Konkurrent ist Papier - kein anderer Softwareanbieter. Im Bereich der E-Signaturen sind wir sechs Mal so groß wie der nächste Verfolger. Und der ist wieder fünf Mal größer als der nächstfolgende Anbieter. Es gibt in diesem Bereich keinen wirklichen Wettbewerb in dem Sinn, dass es viele andere Softwareanbieter gibt. Die wirklich ernstzunehmenden Konkurrenten sind papierbasierte Prozesse in den Unternehmen.

Der Markt für Signaturen ist weltweit etwa 25 Milliarden Dollar groß und weitere 25 bis 30 Milliarden Dollar entfallen auf die angrenzenden Funktionsbereiche. Wir sind bei weitem der größte Anbieter und kommen in diesem Jahr auf rund eine Milliarde Dollar - das macht deutlich, dass der weitaus größte Anteil des Markts nach wie vor von Papier dominiert wird.

Wir sprechen seit Jahrzehnten vom papierlosen Büro. Glauben Sie, dass es irgendwann einmal Realität wird?

Springer: Ja - das muss ich ja sagen (lacht). Aber im Ernst: Wir werden noch eine ganze Weile mit Papier hantieren. Aber das ist in Ordnung. Dann haben wir noch viele Jahre, in denen wir wachsen können.

Ihr neues Angebot ist Cloud-basiert …

Springer: Praktisch alles was wir tun, ist Cloud. Es gibt einige wenige Use-Cases, in denen die Unternehmen die Systeme selbst betreiben wollen. Das liegt in aller Regel nicht daran, dass sie die Cloud ablehnen. Vielmehr sind es regulatorische und gesetzliche Vorschriften, die die Firmen dazu zwingen.

Ein Beispiel: Manche Banken wollen kein Risiko eingehen, dass Kundendaten Luxemburg oder die Schweiz verlassen. Sie sagen uns: Wir können nicht das Risiko eingehen, dass unsere Daten als Backup auf einem Server liegen, auf den möglicherweise die Regierung eines anderen Landes zugreifen kann. Sie wollen die Systeme auf eigenen Appliances betreiben. Das machen wir in diesen Fällen auch möglich. Aber das ist wirklich nur ein sehr kleiner Anteil und kaum relevant für unser Business.

Betreiben Sie die Cloud-Infrastruktur selbst oder kooperieren Sie mit den großen Anbietern wie Amazon Web Services, Google oder Microsoft?

Springer: Den überwiegenden Teil unserer Kunden betreuen wir aus unseren eigenen Cloud-Rechenzentren heraus. Es gibt spezielle Fälle, in denen beispielsweise Regierungen sicherstellen wollen, dass die Daten nicht außer Landes geraten. Für solche Fälle haben wir Partnerschaften, etwa mit Microsoft Azure für Kanada und Australien.

Wir unterhalten zwei Ringe von jeweils drei Rechenzentren in Europa und den USA. Diese Data Center sind untereinander verknüpft, so dass wir eine Verfügbarkeit für eSignature von über 99,99 Prozent garantieren können - ohne Downtime für Wartungsarbeiten, weil dann die jeweils anderen Rechenzentren in einem Ring übernehmen.

Unsere Kunden betreiben ihr komplettes Business auf unseren Systemen. Da kann man sich keine Wartungsfenster mit entsprechender Downtime erlauben. Wir arbeiten beispielsweise in den USA mit T-Mobile zusammen. Alle Verkäufe und Vertragsabschlüsse laufen über unsere DocuSign-Systeme. Wenn die nicht funktionieren, kann T-Mobile keine Verträge abschließen. Das geht nicht. Deshalb haben wir viel in unsere Infrastruktur investiert.

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Wie sehen ihre Lizenz- und Preismodelle aus? Ist das dokumenten- oder User-basiert?

Springer: Wir bieten sowohl ein Umschlag- (envelop based) als auch ein Anwender-basiertes Modell an.

Was heißt das?

Springer: Das war eine lustige Idee, weil der Begriff aus der Papierwelt stammt. Wenn Sie jemandem einen Vertrag schicken, kostet Sie das den Versand des entsprechenden Umschlags. In diesen Umschlag können Sie aber auch 20 weitere Verträge stecken oder andere Dokumente, die ein Partner signieren soll. In der digitalen Welt verwenden wir das gleiche Modell, analog zur Papierwelt.

Kunden zahlen nach Kapazität. Sie kaufen Umschläge, in die sie ihre Dokumente packen können. Wenn es an die Erneuerung des Vertrags geht, schauen wir uns gemeinsam die genutzten Kapazitäten an und passen die Verträge entsprechend an. Für uns liegt der Vorteil darin, dass damit Umsätze besser planbar und vorhersehbar sind.

Im Cloud-Business unterscheiden sich die USA und Europa

In Deutschland gehen nach wie vor viele Betriebe das Thema Cloud Computing zögerlich an. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Springer: Die Common Law Countries USA, Großbritannien, Kanada und Australien haben alle ähnliche gesetzliche Strukturen. Unternehmen in diesen Ländern waren von Anfang an der Cloud gegenüber aufgeschlossen. In den sogenannten Civil-Law-Ländern in Europa und damit auch Deutschland unterscheiden sich die Regeln von Land zu Land. Und das in zweierlei Hinsicht: in Bezug auf die Definition einer elektronischen beziehungsweise digitalen Signatur und auch hinsichtlich der Authentifizierung - wer sind die Teilnehmer und welche Informationen werden benötigt, um das zu überprüfen?

In Common-Law-Ländern versende ich eine E-Mail, ein Dokument oder eine Vereinbarung mit einer digitalen Signatur, der Empfänger unterzeichnet sie und das ist in den allermeisten Fällen völlig ausreichend. In den Civil-Law-Ländern werden in aller Regel höhere Anforderungen an die Authentifizierung gestellt, beispielsweise eine Zwei-Wege-Authentifizierung. Oder es ist eine Identifikation per Ausweis über eine Webcam erforderlich. Deutschland ist ein Land, das ungewöhnlich hohe Anforderungen in Sachen Authentifizierungsmethodik stellt.

Kunden, die hohe Ansprüche an die Authentifizierung stellen, sind meist auch zögerlich in der Akzeptanz der Cloud. Einer unserer Kunden in Deutschland ist Lufthansa. Da es hohe Strafen gibt, wenn sensible Kundendaten verlorengehen oder gestohlen werden, fordern Kunden wie Lufthansa nicht selten Security Reviews und Rechenzentrums-Begehungen. Sie sind extrem vorsichtig. Das gilt auch für viele andere deutsche Kunden.

Werden die Themen Datenschutz und Privacy nicht auch in den Vereinigten Staaten immer wichtiger?

Springer: Auch in den USA wurde in den vergangenen Jahren viel über das Thema Privacy diskutiert - gerade im Zusammenhang mit den großen Social-Media-Anbietern. Aber bis vor kurzem hat sich kaum jemand für das Thema interessiert. Viele Leute sagen zwar, dass ihnen Datenschutz wichtig ist, aber die Praxis zeigt ein ganz anderes Bild.

Fragen Sie 100 amerikanische Bürger/innen, ob ihnen Privacy wichtig ist, dann stimmen mindestens 95 zu. Fragt man die gleichen Leute, ob sie bereit wären, Daten wie Name, Adresse, Telefonnummer, Ausweisnummer und Kreditkarteninformationen herauszugeben gegen einen Coupon für eine Portion Pommes Frites bei McDonalds, dann würden 90 mitmachen. Also: Privacy ist superwichtig, aber ich mag auch Pommes Frites sehr gern.

Und die Folgen sind den Nutzern egal?

Springer: Meine Identität ist mir in den vergangenen Jahren mehrfach gestohlen worden. Das ist ärgerlich. Man muss Passwörter ändern, neue E-Mail-Adressen einrichten. Aber es passiert und es wird von den Nutzern als dazugehöriges Übel mehr oder weniger akzeptiert. Die Unternehmen sagen, dass es ihnen leidtut und sie besser aufpassen werden - und die Menschen finden sich damit ab, dass es passiert. Das ist in Deutschland nicht der Fall, auch nicht in Frankreich. Großbritannien funktioniert ähnlich wie die USA.

Glauben Sie, dass die Deutschen ihre skeptische Haltung im Laufe der Jahre ändern werden?

Springer: (zögert) Das wird viele, viele Jahre brauchen. Einige sind offener, denken globaler und internationaler und sind eher bereit Daten in die Cloud zu geben und zu teilen. Aber es gibt viele Deutsche, die Bedenken haben, und das wird sich so schnell nicht ändern. Sie haben Angst, die Kontrolle über ihre Daten zu verlieren und trauen den beteiligten Institutionen nicht. Da vollzieht sich eine Art Spaltung in der Gesellschaft.

Wir nehmen diese Bedenken ernst und bemühen uns sie zu adressieren. Beispielsweise sind wir BSI-zertifiziert. Das erwarten vor allem die kleineren und mittelgroßen Kunden. Hier geht es um das Vertrauen, dass ihre Daten sicher aufgehoben sind.

Wie komplex ist es für Docusign, die vielen verschiedenen Regelwerke weltweit in der Lösung abzubilden?

Springer: Natürlich ist das kompliziert, aber der Kern unserer Lösung funktioniert horizontal über verschiedene Branchen, Länder und Regelsets hinweg. Im Grunde ändert sich nicht die Software selbst, sondern nur die Art und Weise wie sie angewandt wird. Wobei sich das beispielsweise auch in den Common-Law-Ländern sehr ähnelt. In den Civil-Law-Ländern gibt es viel mehr Variationen. Wobei es innerhalb der Europäischen Union auch sehr ähnlich funktioniert.

Wir veröffentlichen jedes Jahr einen Trust-Guide, den wir regelmäßig updaten und in dem wir die verschiedenen regulatorischen Vorschriften weltweit dokumentieren. Das hilft unseren Kunden, die international agieren, sich besser zurechtzufinden. Beispielsweise sehen sie, welche Art von Signaturen in welchen Ländern erlaubt beziehungsweise erforderlich ist.

Wie ist DocuSign weltweit organisiert, um das alles handhaben zu können?

Springer: Wir haben 13 Büros weltweit. Unsere Europazentrale ist in Dublin. Für die großen Kunden gibt es Ansprechpartner in den einzelnen Ländern, auch ein Büro in Frankfurt am Main. Wir haben über eine halbe Million Kunden, die für unsere Lösungen bezahlen, die wiederum hunderte Millionen Anwender weltweit haben.

Ich treffe viele Leute, die mir begeistert erzählen, dass sie DocuSign-Kunden sind. Sie hätten ihren Wagen mit Hilfe von DocuSign gekauft oder geleast. Dann frage ich meistens, ob sie denn schon einmal Geld an DocuSign gezahlt hätten. Dann fragen die meisten, was ich denn damit meinte. Sie glauben oft, dass die Lösung nichts koste.

DocuSign ist die Schweiz unter den Softwarehäusern

Die Integration in Business-Plattformen wie SAP und Salesforce ist sehr wichtig für DocuSign. Ist es aus Ihrer Sicht ein Risiko, dass diese Anbieter eigene Lösungen in ihre Plattformen integrieren werden?

Springer: Diese Firmen sind derzeit Partner und Kunden. Sicher könnte der eine oder andere eine eigene Lösung entwickeln. Unsere Stellung ist etwas ungewöhnlich - vielleicht vergleichbar mit der Schweiz. Unternehmen wie SAP, Microsoft und Salesforce sind Partner, Kunden und Investoren bei DocuSign. Diese und andere Anbieter stehen untereinander in einem harten Wettbewerb, aber sie pflegen alle Partnerschaften mit uns.

Ich sehe derzeit keinen anderen großen Softwareanbieter, der versucht, etwas in der Art eines System of Agreement oder einer Agreement Cloud zu entwickeln. DocuSign ist der relevante Anbieter dafür im Markt, und die anderen arbeiten mit uns zusammen. Das kann sich in Zukunft ändern, aber derzeit läuft es nach meiner Wahrnehmung so.

Softwareanbieter legen heute wert darauf, Plattformen und Ökosysteme aufzubauen. Wie wollen Sie sich hier positionieren?

Springer: Das ist richtig, und die Cloud unterstützt diesen Trend. Die Kunden verlangen heute, dass die verschiedenen Services miteinander integriert sind. Das ist auch der Grund, warum wir mit all den anderen Software-Companies Lösungspakete schnüren. Wir haben zwar ein großes Direktgeschäft, aber für uns geht es auch darum, durch die Zusammenarbeit mit Partnern zu wachsen. Ich glaube, davon profitieren letztendlich auch die Kunden. Sie erhalten so bessere übergreifende Lösungen für ihr Geschäft.

Wie komplex ist es für Sie, Ihre Lösung in den Plattformen der großen Softwareanbieter unterzubringen?

Springer: Wir legen großen Wert auf APIs. 60 Prozent der Funktionsaufrufe an unsere Lösung kommen von externen Plattformen. Beispielsweise von einer CRM-Software wie Salesforce, um einen Vertrag an eine bestimmte Person oder eine Firma zu schicken. Der unterzeichnet den Vertrag dann über DocuSign. Die Nutzer müssen nicht wissen wie das vor sich geht, Hauptsache es funktioniert.

Mit der Blockchain entsteht eine neue Technik, um Transaktionen im Netz sicher abzuwickeln. Ist das eine neue Konkurrenz für Sie oder planen Sie die Technik in Ihren Lösungen zu adaptieren?

Springer: Wir können Kunden, die das wollen, bereits heute eine Blockchain-Lösung anbieten. Für mich persönlich steckt die Blockchain-Technik aber noch in einer sehr frühen Phase. Ich sehe noch kein skalierbares Business dahinter. Derzeit werden hohe Erwartungen mit dieser Technologie verknüpft, doch aus unserer Sicht sind die Auswirkungen eher langfristig relevant.

Wir arbeiten mit eng mit dem Ethereum-Konsortium zusammen und haben eine Integration zu unserer Lösung geschaffen. Kunden, die ihre Dokumente in einer Ethereum-basierten Blockchain-Lösung ablegen und speichern wollen, können das tun. Es kann sein, dass auch wir einmal unsere Dokumente in einer Blockchain speichern und nicht mehr auf unseren Servern, aber das wird noch sehr lange dauern.

Warum?

Springer: Mit der Blockchain wird ein weiterer Level an Komplexität hinzugefügt. Es geht um Integration, man muss überlegen und entscheiden, in welcher Blockchain man seine Daten ablegen möchte. Zudem gilt es Privacy-Gesichtspunkte zu beachten. Die Blockchain-Option führt zu mehr Arbeit auf der Kundenseite. Ein anderer Aspekt: Blockchain verursacht mehr Kosten. In einer klassischen Data-Center-Infrastruktur sind die Ablage und das Bearbeiten einer digitalen Akte viel günstiger als in einer Blockchain - teilweise bis zu einem Faktor zehn.

KI und RPA sind momentan wichtiger als Blockchain

Sie investieren in Zukäufe, um neue Technologien in ihr Portfolio zu integrieren. Was bedeuten Techniken wie Machine Learning (ML) und Robotic Process Automation (RPA) für Ihre Produktentwicklung?

Springer: Die sind viel wichtiger als die Blockchain. Wir haben SpringCM im September 2018 gekauft. Wir haben auch eine ML-Company übernommen. In einigen Fällen ging es darum, die Mitarbeiter und deren Know-how zu bekommen. Im Falle des Investments in Seal Software ging es uns darum, unsere Techniken und Lösungen enger miteinander zu integrieren.

Es gibt Partner, mit denen arbeiten wir eng zusammen, in andere Firmen investieren wir Geld - mit der Option, sie einmal ganz zu übernehmen. Es ist ein wichtiger Teil unserer Strategie, nach solchen Unternehmen Ausschau zu halten. Seal hat eine für uns hochinteressante intelligente Suchtechnik, um Dokumente zu durchsuchen. Viele unsere großen Kunden nutzen bereits Seal und deren Vertriebler haben viel Zeit damit verbracht, mit DocuSign-Kunden zu sprechen.

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Techniken wie ML und RPA versprechen einen wesentlichen effizienteren Umgang mit Dokumenten. Was heißt das für Sie?

Springer: Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, war ich in Dublin. Dort hat die Bank of Ireland eine Robotik-Lösung für DocuSign im Einsatz - das war sehr beeindruckend. Beispielsweise wenn es darum geht, dass Leute anrufen, um ein Konto zu eröffnen. Das funktioniert automatisch, die dazugehörigen Dokumente landen in DocuSign. Ich gehe davon aus, dass RPA künftig ein wichtiger Teil von unserem Business sein wird.

Sie haben über Zukäufe und Beteiligungen gesprochen. Könnte DocuSign nicht auch selbst ein interessanter Übernahmekandidat sein?

Springer: Unser Börsenwert liegt derzeit bei etwa acht Milliarden Dollar. Inklusive der Prämie müsste ein Interessent schon tief in die Taschen greifen. Nicht viele Unternehmen könnten uns kaufen. Manchmal denke ich, wir wären wirklich ein interessanter Kandidat für die Großen der Branche. Dann frage ich mich aber: Wäre das sinnvoll? Wie würde es dann weitergehen mit all den Kooperationen, die wir unterhalten und pflegen? Offenheit ist für uns ein großer Trumpf.

Was uns sicher interessant macht, ist unser Software-as-a-Service-(SaaS-)Umsatz. Der ist viel wert, gerade auch aus Sicht von Investoren. Bestes Beispiel ist SAPs Kauf von Qualtrics. Die haben eine Menge Geld gezahlt. Dabei ging es auch darum, mehr Cloud-Geschäft zu bekommen. Das könnte auch für DocuSign gelten. Ich glaube aber nicht, dass SAP uns auf absehbare Zeit kaufen wird. Sie müssen jetzt erst einmal Qualtrics verdauen.

Wer an die Börse geht, hat nicht mehr alles selbst in der Hand

Sie wollen also auf absehbare Zeit unabhängig bleiben?

Springer: Wenn man an die Börse geht, gibt man das Recht auf, selbst zu entscheiden, wem die Firma gehört. Das muss einem klar sein. Wenn Investoren entscheiden, ihre Anteile zu verkaufen, dann tun sie das. Momentan fühle ich mich sehr wohl dabei, DocuSign als unabhängiges Unternehmen weiter zu entwickeln und ich hoffe das noch einige Jahre tun zu können. Wenn sich für die Aktionäre und die Mitarbeiter eine andere Option als die bessere erweist, dann ist das eben so.

Sie haben das erste Jahr als börsennotiertes Unternehmen hinter sich. Was hat sich im Vergleich zum früheren Startup-Status verändert?

Springer: Im Grunde gar nicht so viel. Wir haben aber auch hart dafür gearbeitet, dass es so ist. Wir wollten unsere Firmenkultur und unseren Spirit erhalten. Aber sicher gibt es auch Dinge, die jetzt anders laufen. Ein Beispiel dafür ist Transparenz. Ich verfolge einen transparenten Management-Stil und gehe offen mit Informationen um.

Als börsennotiertes Unternehmen kann man nicht mehr so einfach alle Information teilen. Das war teilweise schwierig. Wenn in Besprechungen die Frage aufkam, wie das Geschäft läuft, konnte ich nur antworten: Wir haben nächste Woche Earnings Call - danach kann ich jede Frage dazu beantworten. Das war im Grunde genommen die größte Veränderung und auch die schwierigste.

Die andere Veränderung ist der Tatsache geschuldet, dass wir so schnell wachsen. In den vergangenen Jahren hat sich unsere Mitarbeiterzahl mehr als verdoppelt. Es bedeutet viel Arbeit, die Kultur und die Werte aufrecht zu erhalten. Die Mitarbeiter, die schon lange dabei sind, haben Vertrauen zum Unternehmen und zum Management. Sie arbeiten gerne hier und bewerten uns als Arbeitgeber gut. Die jüngeren Mitarbeiter sind grundsätzlich neugieriger. Sie hinterfragen, ob es stimmt, was ihnen das Management erzählt. Man muss sich heute mehr beweisen und sich kontinuierlich das Vertrauen seiner Leute erarbeiten.