"Uns stoert vor allem die Goldgraeberstimmung"

08.09.1995

CW: Was hat die Gruenen dazu veranlasst, ein Thesenpapier zur Zukunft der Informationsgesellschaft zu erstellen? Kiper: Wir haben eine Revision frueherer Haltungen vorgenommen. Noch 1986 haben sich die Gruenen fuer einen weitgehenden Boykott von Computertechnik und insbesondere von Vernetzung ausgesprochen. Ausserdem wollen wir gegen die momentane Multimedia-Euphorie Position beziehen. Es geht politisch weniger darum, diese Techniken moeglichst rasch einzusetzen, sondern mehr darum, ihre Etablierung durch vernuenftige Regelungen zu gestalten. Der Wildwuchs, der zur Zeit in Bonn gefoerdert wird, kommt vor allem Wirtschaftsgroessen wie Microsoft, der Kirch-Gruppe oder Bertelsmann zugute. Hier sollen Tatsachen geschaffen werden, die an den Interessen der Buerger vorbeigehen. CW: Welche Tatsachen meinen Sie? Kiper: Uns stoert vor allem die Goldgraeberstimmung, die es den Anbietern erleichtert, Monopole aufzubauen. Gleichzeitig werden Projekte wie die Telearbeit forciert, ohne ueber die gesellschaftlichen Konsequenzen nachzudenken, geschweige denn die betroffenen Angestellten sozial abzusichern. Aehnlich sieht es im oekologischen Bereich aus. Jaehrlich werden 1,5 Millionen Tonnen von kaum wiederverwertbarem Elektronikschrott produziert ... CW: ... in diesem Punkt gibt es doch eine Reihe Initiativen - auch von der Bundesregierung. Kiper: Die bisherigen Initiativen fuer den "gruenen PC" von Produktion 2000 und Eureka kommen nur schleppend voran und produzieren Unverbindliches. Noch immer gibt es keine verabschiedete Elektronikschrott-Verordnung. CW: Sie fordern die Verteidigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts. Ist es denn gefaehrdet? Kiper: Es gibt immer mehr Moeglichkeiten, mit Hilfe von Software Persoenlichkeitsprofile insbesondere fuer das Konsumverhalten zu erstellen. Zudem ist nicht ausreichend sichergestellt, dass diese Informationen nicht an Unbefugte weitergereicht werden. CW: Brauchen wir neue Gesetze? Kiper: Die bisherigen Regelungen reichen nicht aus. Hier wollen wir die Position des Bundesdatenschutzbeauftragten ausbauen. Er soll dafuer sorgen, dass schon im Vorfeld von Software-Entwicklungen Datenschutzsicherungen eingebaut werden. CW: Wenn es nach den Gruenen geht, steht uns also eine Gesetzesflut ins Haus ... Kiper: Die Informationsgesellschaft soll nicht einfach ueber uns hereinbrechen. Wir wollen sie gestalten, und das geschieht in der Politik nun einmal per Gesetz. Aber wir sehen auch andere Moeglichkeiten. So sollte es zu den Aufgaben etwa des Zukunftsministers gehoeren, Softwaretechniken zu erforschen, die anonyme Dienste und Transaktionen erleichtern. Neben der informationellen Selbstbestimmung steht dabei die informationelle Grundversorgung im Vordergrund. CW: Was verstehen Sie unter Grundversorgung? Kiper: Die Telekom hat bislang den Auftrag, den Buergern flaechendeckend und zu erschwinglichen Preisen das Telefonieren zu ermoeglichen. Mit der Verbreitung der Netztechnik wird das nicht mehr reichen, dann muss die Grundversorgung durch einige Online- Dienste erweitert werden. Die Buerger sollen kuenftig auf dem Niveau der Datenautobahn kommunizieren koennen. CW: Das ist mir zu vage. Kiper: Denken Sie einmal an das oeffentliche Bibliothekswesen. Hier werden dem Buerger Buecher und ueberhaupt Informationen kostenlos oder zu geringen Gebuehren zur Verfuegung gestellt. Das soll kuenftig auch fuer die Informationen in den Netzen, fuer virtuelle Buecher oder Datenbanken gelten. Sinnvoll ist der kostenlose Datenzugriff fuer gemeinnuetzige Organisationen, medizinische und Bildungseinrichtungen oder auch im Verkehr der Buerger mit den Aemtern. CW: Verstopfen Sie damit nicht die Einkommensquelle der kommerziellen Informationsanbieter? Kiper: Nein, das Gegenteil wird der Fall sein. Schliesslich hat die Einfuehrung der Bibliotheken nicht dazu gefuehrt, dass weniger, sondern dass mehr Buecher gekauft werden. In aehnlicher Weise wird eine Erweiterung der informationellen Grundversorgung dazu fuehren, dass immer mehr Menschen auch kommerzielle Netzdienste in Anspruch nehmen. Mit Manuel Kiper, MdB und Forschungspolitscher Sprecher der Gruenen, sprach CW-Redakteur Hermann Gfaller.