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Ray Kurzweil

"Uns steht eine phantastische Zukunft bevor"

21.06.2010
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Wachstum seit 120 Jahren

CW: Wir liegen also für 2029 im Zeitplan?

KURZWEIL: Ja, denn die Entwicklung läuft bereits seit 120 Jahren und nicht erst seit beispielsweise 1965, als Gordon Moore sein Mooresches Gesetz aufstellte. Bemerkenswert ist, dass das ständige Auf und Ab der Wirtschaft in der ganzen Zeit, die aktuelle Rezession eingeschlossen, keinerlei Auswirkungen auf das exponentielle Gesamtwachstum hatte.

CW: Unternehmen geben ihre Wachstumsprognosen trotzdem linear auf der Basis der zurückliegenden zwei bis drei Jahre ab. Sie denken keinesfalls exponentiell. Warum?

KURZWEIL: Das ist im menschlichen Gehirn fest verankert. Bereits vor Zehntausenden von Jahren haben Menschen Vorhersagen über die Zukunft aus einem einzigen Grund abgegeben: um zu überleben. Sie haben lineare Prognosen darüber getroffen, wo das Tier lauert, das sie jagt. Diese Art der Vorhersagen hat sich als gut herausgestellt und so einen festen Platz in unserem Hirn eingenommen. Unsere heutige Intuition arbeitet auf linearer Basis und lässt sich kaum abschalten. Es bedarf einiger Studien und eines großen Verstandes, um zu begreifen, dass Informationstechnologie anders funktioniert als beispielsweise die Medizin. Natürlich sind die Grundlagen der menschlichen Intuition noch nicht vollständig erforscht, aber dass sie linear funktioniert, steht außer Frage. Darum planen wir auch immer nur kurzfristig und auf der Basis kurzfristiger Erfahrungen - das gilt übrigens auch für hochbegabte Wissenschaftler.

CW: Was folgt daraus für die Unternehmen? Worauf sollten sie sich einstellen?

KURZWEIL: Wichtig ist zunächst, sich nicht nur klarzumachen, auf welche Art von Technologien wir in Zukunft zurückgreifen werden, sondern es auch aufzuschreiben. Ich arbeite derzeit in einem Projekt, das von den weiteren Entwicklungen in der Kommunikationstechnik, der Display-Technologie, der zugrunde liegenden Plattformen und in der Speichertechnologie beeinflusst wird. Im Projektteam schlüsseln wir deshalb alles genau auf: Wie sehen diese vier Bereiche im Januar 2011 aus, wie im Juli 2011, wie im Januar 2012 und so weiter. Und obwohl wir alle die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte kennen und ich mich seit 30 Jahren täglich mit exponentiellem Wachstum in der IT beschäftige, ist es auch für uns allein beim Betrachten des Projektplaners überraschend, wie schnell sich die Dinge ändern. Sie schauen sich Ihren Zeitplan an und wundern sich über sich selbst, wie die Technik im Juli 2012 aussehen wird. Das läuft unserer Intuition zuwider, die gerne alles so lassen möchte, wie es gerade ist. Wir vergessen dabei, wie es noch vor zwei Jahren ausgesehen hat. Vor drei Jahren hat kaum ein Mensch soziale Netzwerke im Web genutzt, heute ist Facebook überall.