Unmündige Anwender

03.12.1982

Die Bosse der Computerindustrie schätzen die Situation der DV-Branche als schwierig ein: Alles schreit nach Innovationen, doch keiner kauft sie. Grund: Die Anwender sind verunsichert. Ganz besonders in Sachen "Bürokommunikation".

Einige Hersteller suchen nun ihr Heil in der Flucht nach vorn, machen die Massenmedien für die allgemeine Kaufzurückhaltung verantwortlich. Die Kritik richtet sich gegen eine Berichterstattung, die an allem etwas auszusetzen hat. Konkreter Vorwurf eines Local-Area-Network-Anbieters an die Adresse der DV-Fachpresse: "Ihr macht einen schlechten Job, wenn ihr immer nur die Technik in den Vordergrund stellt, Bits und Bytes, Peanuts und Pieces - anstatt den wirtschaftlichen Nutzen hervorzuheben." Dringender Rat an die Anwender, was den Einsatz insbesondere von Office-Automation-Produkten betrifft: Nicht auf die eierlegende Wollmilchsau warten; nicht auf zukünftige Entwicklungen schauen; das Angebot von "heute" annehmen - es ist anwendbar und preiswert. Amen.

So notwendig es für die potentiellen Benutzer ist, sich Ober die Möglichkeiten der Büroautomation zu informieren: Wie soll aber einer wissen, ob er im "Büro der Zukunft" arbeiten will, bevor er es ausprobiert hat?

Sinn der Forderung nach dem Soforteinsatz kann doch nur sein, den Anwender von vornherein zum Verzicht auf Kritik, auf Beteiligung an der Organisation des Lernprozesses zu bestimmen. Die Unbekümmertheit, mit der Begriffe wie "Mischarbeitsplatz" oder "Bildschirm-Ergonomie" gebraucht werden, deutet auf Verständnislosigkeit für das Akzeptanzproblem. Die bemühte (Anwender-) Freundlichkeit erscheint als bloße Absatzstrategie. "Ease of use", einfache Bedienbarkeit, wird mit Verwendbarkeit identifiziert.

Untersucht man das Angebot der Computer- und Bürokommunikationswerbung, wie es sich in den Medien darbietet, so stellt man fest, das es auf wenige Inhalte zurückzuführen ist: Computerleistung am Arbeitsplatz - im Büro, in der Fabrik oder zu Hause -, Problemlösung, Informations- und Know-how-Vorsprung sowie Vorwärts- und Rückwärtskommunikation. Bildschirmtext und LAN (Local Area Neworks) sind Beispiele dafür, wie mit PR-Kampagnen im Stil der Waschmittelwerbung der Markt kaputtgemacht wird, bevor er Oberhaupt stattfindet.

Daß die Btx-Anbieter jetzt so tun, als hätten sie nie viel auf die Abstimmung der Privatabnehmer per Pilotbeteiligung gegeben und sich vielmehr auf den Geschäftsmarkt stürzen, zeigt doch nur, wie groß die Verwirrung bei der Btx-Industrie ist. Keiner traut dem anderen. Will die Post allein den Reibach machen? Möchte sich IBM den Endgerätemarkt unter den Nagel reißen? Wie einheitlich sind die Kommunikationsschnittstellen? Derartige Fragen werden in aller Öffentlichkeit diskutiert. Appell an die Beteiligten: Bringt den Karren erst auf die Straße, wenn er vier Räder hat, einen Motor - und wenn er läuft. Ihr tut Euch damit selbst den größten Gefallen. Oder stimmt gar, daß einige Computerhersteller bereits die Nase voll haben, weil sie an der kommerziellen Verwertbarkeit von Btx ernsthaft zweifeln? Dann soll man aber auch nicht den Eindruck erwecken, die Fachpresse werfe der Industrie ständig Knüppel zwischen die Beine.

Für den LAN-Komplex gilt sinngemäß das gleiche Argument: Es wirkt nicht gerade als Ermunterung, wenn sich einzelne Herstellergruppen über einen "Unter-Putz-Standard" wie Ethernet streiten. Die DV-Industrie hat den Anwender, den sie verdient: eine unreife Industrie den unmündigen Anwender.