Unix-Streit aus User-Sicht: IBM ist der lachende Dritte

27.04.1990

Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit den gescheiterten Fusionsverhandlungen zwischen OSF und UI lautet: Was bedeutet diese Ankündigung für die Anwender? Wie die Hersteller betonen, garantiert das einstimmige Bekenntnis der beiden Gruppierungen zu den von X/Open dokumentierten Standards eine gewisse Kompatibilität der konkurrierenden Betriebssysteme. Düstere Prognosen hinsichtlich der Herstellerunabhängigkeit werden jedoch von Kundenseite laut: IBM könnte, so die Befürchtungen, die Uneinigkeit der Open-Systems-Protagonisten nutzen und auch in der Unix-Welt eigene Standards etablieren.

In einer Unternehmensgruppe wie der unseren ist es notwendig, sich auf verbindliche Strategien festzulegen. Im Hinblick darauf wäre es wünschenswert gewesen, ein einheitliches Unix als Betriebssystem-Strategie zu definieren. Dieser Plan wurde jedoch mit dem Scheitern der Verhandlungen zwischen OSF und Unix International durchkreuzt.

Dabei wäre es mir persönlich - auch wenn wir das AT&T-Unix einsetzen - letztlich gleich gewesen, wenn sich OSF/1 gegen System V durchgesetzt hätte; wichtig wäre lediglich gewesen, daß es überhaupt ein einziges standardisiertes Betriebssystem gegeben hätte. Jetzt, so muß man leider sagen, t ist der Anwender wieder einmal auf der Strecke geblieben. Wir werden uns wohl oder übel an unterschiedliche "Standards" gewöhnen müssen.

Darüber hinaus haben die beiden Vereinigungen meines Erachtens eine wichtige Chance vertan: Sie hätten verhindern können, daß sich die IBM auch im Unix-Markt breit macht. Dadurch, daß die Diskussion um den gemeinsamen Standard so lange ergebnislos hin und her ging, wurde die IBM jedoch geradezu aufgefordert, etwas Eigenes, nämlich AIX, in den Markt zu drücken.

IBM ist also der lachende Dritte, denn was die Durchsetzungskraft angeht, so habe ich keinerlei Zweifel daran, daß sie mit ihrem Produkt im Vorteil ist. Leider wird es wohl darauf hinauslaufen, daß IBM einen Standard setzt und wir uns einmal mehr an einem einzigen Anbieter orientieren müssen. Gerade das sollte Unix aber verhindern!

Eine umfassende Stellungnahme zu den gescheiterten Gesprächen zwischen UI und OSF ist uns derzeit noch nicht möglich, da eine Diskussion mit den GUUG-Mitgliedern und innerhalb des Vorstands aufgrund des Oster-Urlaubs bisher noch nicht erfolgt ist. Als erste Reaktion läßt sich jedoch feststellen, daß es aus Sicht der Unix-Anwender nicht ganz klar ist, ob die Entwicklung zu begrüßen oder zu bedauern ist.

Einerseits ist damit zunächst die Chance vertan, zu einem einzigen Unix-Standard zu finden. Andererseits ist aber nicht unbedingt klar, ob aus einer organisatorischen Verschmelzung nicht ein Unix-Monopol entstanden wäre. Ein solches Monopol unter der Führung von AT&T war lange Zeit das Schreckgespenst der Anwender; es war letztlich sogar der formale Grund für die Gründung der OSF. An den Befürchtungen hat sich durch den bloßen Austausch der Leitfiguren noch nichts geändert.

Die beiden Organisationen betonen, daß dennoch positiv zu wertende Absprachen auf technischer Ebene getroffen wurden; hier muß nicht zuletzt das gemeinsame Bekenntnis zu X/Open genannt werden. Darin liegt - wie bisher - die Chance der Anwender: X/Open-Kompatibilität ist weiterhin das Beste, was zu bekommen ist.

Bleibt abzuwarten, mit welchen Waffen der Kampf um die Führung im Unix-Markt weiter geführt wird. AT&T/UI war mit System V.4 schneller, die Verfügbarkeit ist aber noch schwach. OSF hat das innovativere Produkt und die besseren Preise - aber auch die nötige Qualität? Wie heißt es so schön: Abwarten und Tee trinken!

Unix System V und OSF/1 werden kompatibel sein - vorausgesetzt beide Gruppen halten sich an die vereinbarten Standards. Garantieren kann ich das selbstverständlich nur für Unix System V, denn für die Open Software Foundation vermag ich nicht zu sprechen.

Daß wir die Verhandlungen mit der OSF abgebrochen haben, lag zu einem großen Teil daran, daß wir die Garantie einer Übereinstimmung mit den existierenden Standards - und einer davon ist nun einmal Unix System V - für unabdingbar halten. Unser Produkt entspricht dem Posix-Standard sowie dem Portability Guide Nummer 3 von X/Open; und wir wollen uns auch künftig nach diesen Spezifikationen richten.

OSF/1 ist bislang noch nicht am Markt erhältlich. Soviel wir wissen, handelt es sich dabei um eine Sammlung von Funktionen und Features, unter denen die OSF-Mitglieder auswählen können. Die Folge davon wird eine Vielzahl unterschiedlicher OSF/1-Dialekte sein: IBM implementiert möglicherweise einige dieser Funktionen in AIX, DEC in Ultrix etc.

Auf die Frage, wofür sich der Anwender entscheiden soll, gibt es eine ganz einfache Anwort: Eine Alternative zu Unix System V ist momentan überhaupt nicht verfügbar. Zwar hat die OSF gesagt, daß sie ihr Betriebssystem Ende dieses Jahres oder Anfang des nächsten auf den Markt bringen will. Aber auch dann dauert es auf jeden Fall eine Weile, bis sich das Produkt stabilisiert haben wird.

Wie jedes anderen Softwareprodukt enthält OSF/1 anfangs mit Sicherheit eine Menge von Bugs. Unix System V hingegen ist zu haben, und es ist bereits ein stabiles Produkt. Da sollte die Entscheidung wohl kaum schwerfallen.

Für den Anwender haben die Gespräche zwischen der Open Software Foundation, Unix International und AT&Ts Unix Software Operations erhebliche Vorteile gebracht. Die gemeinsame Ankündigung der drei Gruppierungen über eine

- Unterstützung von Standards (XPG3, Posix 1003.1, ANSI X3J11 und X.11),

- Zusammenarbeit mit X/Open bei der Erweiterung von offenen Systemen,

- gemeinsame Nutzung von Testwerkzeugen zur Überprüfung der Anwendungs-Schnittstellen in den Betriebssystemen sowie über einen

- weiteren Informationsaustausch auf verschiedenen technischen Gebieten wie beispielsweise Multiprozessor-Anforderungen und Internationalisierung

führen zu einem einzigen Standard bei offenen Systemen. Zwei Implementierungen dieses Standards ermöglichen der Industrie eine Auswahl.

Die zügige Integration von neuen Technologien ist unserer Meinung nach ein entscheidendes Kriterium für offene Systeme. Die gleichzeitige Unterstützung der Anwendungs-Schnittstellen heute installierter Unix-Versionen wie System V, Berkeley 4.3 und Xenix ermöglicht eine problemlose Portabilität von Anwendungen.

Wenn es zu keiner Einigung kommt, ist anzunehmen, daß sich Unix System 5.4 als De-facto-Standard im Bereich der Workstations und Personal Workstations - 80386 und 80486 - durchsetzt. System 5.4 bringt im wesentlichen folgende zusätzliche Funktionalität für diesen Markt:

- verbesserte "Shared Libraries", extrem wichtig für die grafischen Funktionen wie X-Windows und Motif,

- "Dynamic Link": schnellere Ladezeiten bis zur ersten Bildschirmausgabe einer Anwendung,

- "Streams Driver": klarere Strukturierung für I/O und DFÜ,

- "File System Switch": Verschiedene File-Systeme sind konfigurierbar.

Für OSF/1 verbleibt dann der Markt der großen Mehrprozessor-Serveranlagen, auf denen in zunehmendem Maße auch Funktionen wie Transaktionssicherheit gefordert werden.

Der Schulterschluß, der sich da plötzlich abzeichnete, kam für mich ziemlich unerwartet. Ganz geheuer erschien er mir jedoch von Anfang an nicht. Insofern hat mich das Ende der Verhandlungen nicht überrascht.

Die klassische Frage ist nun: Was macht Big Blue? Darauf ist wohl die gesamte Branche gespannt. Ich denke, die IBM wird jetzt versuchen, ihre eigene Linie zu fahren. Allerdings unterstelle ich, daß sich auch die IBM an die X/Open-Spezifikationen halten wird. Denn der Unix-Anwender macht heute die X/Open-Kompatibilität zur Bedingung. Und danach wird sich wohl jeder Anbieter richten.