Unix-Schulung am besten als komplette Seminarreihe buchen Kurse von der Stange enden haeufig mit einer Bauchlandung

13.01.1995

Die Verbreitung dezentraler und verteilter Systeme, die auch dem Unix-Betriebssystem in den letzten Jahren zu neuem Aufschwung verholfen hat, schlaegt sich in einem erhoehten Ausbildungsbedarf nieder. Michael Abel* geht der Frage nach, ob die Unterschiede zwischen Unix und anderen Betriebssystemen so erheblich sind, dass Unix-Anwender und -Administratoren besonders ausgebildet werden muessen.

Um es vorwegzunehmen: ja! Die Besonderheiten im Unix-Umfeld erfordern eine spezielle Ausbildung, die nicht mit der Schulung im Bereich der moeglichen Alternativen wie etwa der proprietaeren Midrange-Systeme oder der PC-Server-Loesungen verglichen werden kann.

Eines der groessten Probleme bei der Ausbildung der Endbenutzer stellt die Frage dar, wie eng diese in Beruehrung mit dem System kommen. So ist es ueblich, dass auch Endanwender, die mit einer speziellen Anwendung auf dem PC arbeiten, zumindest eine DOS- oder Windows-Schnellbleiche erhalten - sei es offiziell oder vom netten, erfahrenen Kollegen nebenan. Die erworbenen Kenntnisse reichen dann in der Regel dafuer aus, Disketten zu formatieren, Dateien zu loeschen oder Spiele aufzurufen. Der Anwender beherrscht also einige der Grundfunktionen des Betriebssystems.

Im krassen Gegensatz dazu stehen Installationen im proprietaeren Midrange- oder im Grossrechnerumfeld: Hier ist der Benutzer in der Regel von der Beendigung seiner Anmeldeprozedur an in festen Menuestrukturen "gefangen", die ihm keinen direkten Kontakt zum Betriebssystem ermoeglichen. Falls doch, sind die Moeglichkeiten durch die ausgepraegten Sicherheitsstrukturen solcher Systeme sehr eingeschraenkt.

Im Unix-Umfeld hat sich noch kein klares Konzept gebildet. In typisch kommerziellen Umgebungen, bei denen Anwender an dummen ASCII-Terminals arbeiten, die mit einem mehr oder weniger zentralen Mehrbenutzer-Unix-System verbunden sind, wird der Benutzer an der kurzen Leine gehalten. Sein "login" fuehrt ihn direkt in ein Menue oder eine Anwendung, mit deren Verlassen auch seine Sitzung am System beendet wird.

Haeufig sind die Arbeitsplaetze der Endbenutzer jedoch auch mit eigenen Unix-Systemen, mit Workstations, ausgeruestet. Das gilt in zunehmendem Masse nicht nur fuer den technischen Bereich (Beispiel CAD-Systeme), sondern auch fuer kommerzielle Anwendungen wie Haendlerarbeitsplaetze bei Banken. Auch bei optimaler Konfiguration ist der Kontakt vom Anwender zum Betriebssystem manchmal enger als erwuenscht. So ist es unter Unix - unter anderem auch wegen der Komplexitaet des Betriebssystems - schon mal moeglich, dass der Boot- Vorgang nicht korrekt durchgefuehrt wird oder der Endanwender undurchsichtige Fehlermeldungen des Betriebssystems erhaelt.

Diesen speziellen Anforderungen muss die Unix-Ausbildung Rechnung tragen. So ist es Aufgabe der Dozenten, Veranstalter und auch Teilnehmer, zunaechst je nach den Zielgruppen in verschiedene Typen von Seminaren zu unterscheiden: Ueberblicksdarstellungen fuer das Management, praktische Seminare fuer Anwender und Verwalter, Interna sowie Tips und Tricks fuer Administratoren und Supportbeschaeftigte.

Ein weiteres Problem ist die Vielzahl der angebotenen Unix- Derivate. Selbst Unix System V liegt in unterschiedlichen Versionen und Implementierungen auf diversen Hardwareplattformen vor. Sicher beginnen die wirklich interessanten Unterschiede erst auf einer Ebene, die fuer Verwalter oder Programmierer relevant ist. Oft bemerkt aber bereits der Endanwender einzelne Besonderheiten. Neben den verschiedenen Tastaturen fallen dabei vor allem spezielle Merkmale der grafischen Oberflaechen sowie Abweichungen beim Starten und Stoppen der Systeme auf.

Auch auf diese Besonderheiten muss die Unix-Schulung eingehen. Sogar Seminare mit Titeln wie "Unix- Einfuehrung", "Praktisches Arbeiten mit Unix" oder

"Unix-Shell-Programmierung" muessen dem Benutzer Differenzen aufzeigen, bevor er selbst ueber das Problem stolpert, dass sein System am Arbeitsplatz eventuell anders funktioniert als seine Trainingsinstallation.

So bietet selbst ein triviales Kommando wie ps (process status - Anzeige der aktiven Prozesse) auf unterschiedlichen Systemen verschiedene Optionen und Parameter an - von der abweichenden Ausgabe des Ergebnisses ganz zu schweigen.

Bei der Ausbildung der Netzwerk- und Systemverwalter ist vor allem die hohe Komplexitaet der Unix-Systeme eine nicht zu unterschaetzende Huerde fuer den Erfolg eines Seminars. Die Administrationsaufgaben reichen vom Installieren des Systems ueber das Einspielen von Software und Updates, das Einrichten von Geraeten bis zur Datensicherung und Integration in ein Netzwerk.

Dazu kommen Aufgaben der Systemueberwachung, -analyse und - optimierung und vieles mehr.

Versucht der Dozent, neben der Besprechung dieser Themen und der praktischen Einuebung sowie der Weitergabe von Tips und Tricks auch noch die eine oder andere Empfehlung fuer die Entwicklung eines Verwaltungskonzeptes zu geben, genuegt die zur Verfuegung stehende Zeit (meist nur eine Woche) in den seltensten Faellen.

Dazu kommt das Problem der unterschiedlichen Derivate. Ein Systemverwalter, der in der bedauernswerten Situation ist, unterschiedliche Unix-Systeme verwalten zu muessen, sollte eigentlich fuer jedes Derivat eine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Zeitmangel und die Aussage der Vorgesetzten: "Unix ist Unix" verhindern dies in der Regel. Die dem Administrator weniger bekannte und deshalb weniger optimal betreute Plattform kann sich zum Risikofaktor entwickeln.

Auch die haeufig als Problemloeser fuer alle Faelle bezeichneten Werkzeuge fuer das System- und Netzwerk-Management, die in den letzten Jahren verstaerkt fuer Unix-Systeme entwickelt und portiert wurden, loesen das Know-how- Problem nicht: Neben den Kenntnissen ueber "sein" Unix muss der Administrator nun auch noch die Spezialitaeten des entsprechenden Management-Produktes kennen.

Was man zudem beachten muss, ist die Tatsache, dass Unix-Systeme ein sehr breites Spektrum an Anwendungsgebieten abdecken. Die Palette reicht vom "Einzelplatzsystem" ueber den typischen Mehrbenutzerbetrieb wie eine Produktionsplanung mit mehreren Anwendern bis hin zum Datenbank- oder Datei-Server, der seine Dienste anderen Rechnern im Netzwerk anbietet, auf dem sich aber kein User selbst anmeldet.

"Training on the job" rundet Ausbildung ab

Nicht nur der Administrator, sondern auch die Benutzer benoetigen hoechst differenzierte Kenntnisse, woraus sich die Forderung ergibt, dass Unix- Ausbildungsmassnahmen in keinem Fall ein Produkt von der Stange sein sollten. Als potentieller Teilnehmer sollte man also bei Inhouse-Veranstaltungen auf eine moeglichst homogene Teilnehmergruppe achten. Bei der Auswahl eines externen Institutes empfiehlt es sich, vor Buchung des Seminars nach dem eingesetzten Derivat, dem Spektrum des Trainers sowie den Moeglichkeiten einer Individualisierung des Kurses zu fragen.

Zudem sollte - speziell fuer Verwalter und Betreuer - die Unix- Ausbildung immer als komplette Ausbildungsreihe geplant werden - von einfuehrenden Seminaren bis hin zu Spezial-Workshops. Ein "Training on the job" sowie eine Verfuegbarkeit der Dozenten als Berater bei Fragen im taeglichen Betrieb runden eine solche Gesamtmassnahme ab.