Europäische DV-Hersteller definieren Anforderungen für einen akzeptierbaren Standard:

Unix kann für IBM zur Gewissensfrage werden

08.02.1985

MÜNCHEN - Die Diskussion um einen "Unix-Standard" verdichtet sich. Offenbar haben jetzt die Experten von Bull, ICL, Nixdorf, Olivetti und Siemens eine gemeinsame Basis für das Betriebssystem gefunden. Wie aus involvierten Kreisen -verlautet, gelten die derzeit erarbeiteten Punkte zur Definition einer europäischen Unix-Norm bereits als sicher.

Zeigte das Europa-Quintett bei ersten zaghaften Einlenkmanövern nach der Gründung ihrer "Open Unix Group" im November vergangenen Jahres nur verhaltene Begeisterung (siehe CW Nr. 49 vom 30. 11. 1984, Seite 6), so wurde inzwischen das Verhandlungstempo an den Konferenztischen offensichtlich verschärft. Konstatiert Wolfgang Raum, Leiter des Geschäftsbereiches "Fehlertolerante Informationssysteme" der Nixdorf AG: "Wir haben in dieser Gruppe in sehr kurzer Zeit recht gute Ergebnisse erarbeitet".

Bereits zwei Wochen nach der offiziellen Bekanntgabe des von Marktbeobachtern seit längerem erwarteten Agreements zwischen UNIX-Lizenzgeber AT&T und Xenix-Lieferant Mierosoft auf der "Uniform" in Dallas (siehe auch Kolumne, Seite 9), sollen nun die ersten Resultate des UNIX-Clubs zur Definition eines europäischen Standards für System V feststehen.

Als sicher, so die Verlautbarungen aus Insiderquellen, gelte die Entscheidung unter anderem für die allgemein verwendete Bourne-Shell und den ANSI-C-Compiler sowie für einen Kernel, der Mehrprozessor-Betrieb ermöglichen soll (siehe Kasten). Darüber hinaus haben sich die Spezialisten dem Vernehmen nach auf 50 einheitliche "System-calls" und 50 ausgewählte Dienstprogramme geeinigt.

"Amtlich ist noch nichts", kommentiert Hans Strack-Zimmermann, Leiter der Unix-Entwicklung der Siemens AG das Branchengeflüster, "ich kann aber nur jedem raten, sich bei Portablen Anwendungsentwicklungen auf die Definitionen des Standards Committee der amerikanischen /usr/group zu beschränken". Mit Sicherheit werde die Europa-Norm", die in fünf Sprachen veröffentlicht werden soll, nicht von den beschriebenen Funktionen des /usr/group-Standard abweichen.

Die derzeitigen Aktivitäten sollen indes nur ein erster Schritt sein, um die Unsicherheit in der Branche abzubauen. Die "Open Unix Group", die sich gemäß ihrem Namen noch für weitere Hersteller "offen" zeigt, will ihr Arbeitspensum auch auf Datenbanken, Benutzerinterfaces und Kommunikation ausdehnen. Ferner wollen sich die Experten über Sprachen einigen, die über "C" hinaus im kommerziellen Bereich eine Rolle spielen.

Das Resultat soll eine gemeinsam definierte Schnittmenge sein, die als Basis für künftige Softwareentwicklungen empfohlen werden kann. Konkrete Ergebnisse, darüber sind sich alle Beteiligten einig, seien allerdings in diesem Jahr nicht mehr zu erwarten.

Für definitive Aussagen steckt denn auch die Kooperation des Fernmeldekonzerns AT&T mit Microsoft noch zu sehr in den Kinderschuhen. Obgleich von Marktbeobachtern seit längerem erwartet, standen die Chancen für das Agreement noch vor wenigen Monaten nicht gerade rosig. Bestätigt der Münchner Geschäftsführer der Microsoft Deutschland GmbH, Michael Kempin: "Das Ganze ist erst durch den Personalwechsel Ende '84 in der Führungsspitze der AT&T-Division Head möglich geworden. Wir reden seit zwei bis- drei Monaten wieder vernünftig miteinander."

Glaubt man der US-Buschtrommel, kamen die Querelen nicht von ungefähr: Die Fronten zwischen den Partnern verhärteten sich, als eine AT&T-Division in Eigenregie Xenix erwerben wollte, was bei den Unix-Strategen des Telefonriesen auf erbitterte Gegenwehr stieß.

Nachdem inzwischen die unterkühlte Beziehung einem sachlichen Verhandlungsklima gewichen ist, sieht Kempin sein Unternehmen nunmehr in der Rolle eines "Vermittlers, zwischen drei Welten". Der Münchner Microsoftie: "Wir haben ein starkes Interesse daran, daß es nicht ein europäisches, ein IBM- und ein AT&T-Unix gibt." Nach seiner Meinung kann auch Big Blue von einem einheitlichen Standard nur profitieren.

Bisher habe die IBM den XenixStandard, sofern man ihn überhaupt als Standard bezeichnen könne, mit Microsoft definiert. Orakelt der Münchner Manager: "Die wissen ganz genau, was da in puncto Zusammenarbeit geht - und was nicht. Es kann seitens der IBM kein Interesse daran bestehen, sich total zu separieren".

Der Computerriese läßt sich jedoch auch weiterhin nicht in die Karten schauen. Es könne ja sein, so die offizielle Stellungnahme des Branchenführers, daß IBM sich eigene Gedanken zu dem Thema mache und mit dem Ergebnis zufrieden sei.

Daß die Interessen des Marktgiganten im europäischen UNIX-Gerangel nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dafür könnte schon Microsoft mit einem gelegentlichen "Pflichten Veto" an den Konferenztischen sorgen - im Sinne eines erweiterten Kundendienstes. Dazu Kempin: "Wir vertreten in gewisser Weise schon die Interessen der IBM in der UNIX-Gruppe. Denn letztlich haben wir denen Xenix verkauft und fühlen uns folglich für die Software verantwortlich. "

Die UNIX-Basis

Zur Definition eines einheitlichen europäischen Standards für UNIX System V gelten einige Punkte bei Insidern bereits als sicher:

- Kern, der Mehrprozessorbetrieb ermöglichen soll

- Hierarchisches File-System

- Endgeräteunabhängige I/O

- 50 einheitliche "System-calls"

- Standard Bourne-Shell

- "C"-Sprache (wie von Kernighan und Ritchie beschrieben)

- C-Compiler (ANSI-Proposal) + portable I/O-Library

- 50 einheitliche Dienstprogramme

Wolfgang Merkert