Spezifikationen für verteilte Umgebung in Arbeit

Unix International erweitert den Rahmen der System-V-Landkarte

10.05.1991

MÜNCHEN (qua) - "Distributed Computing" und "Objektorientierung" zählen derzeit zu den ultimativen Reizwörtern der Branche. Mit verteilten Umgebungen setzen sich unter anderen die International Standard & Organization (ISO), die X/Open Ltd., die Open Software Foundation (OSF) , und neuerdings auch die Unix International Inc. (UI) auseinander; letztere bedient sich dazu erklärtermaßen eines objektorientierten Ansatzes.

Nachdem sich der Streit um die einzig wahre grafische Benutzeroberfläche als Sturm im Wasserglas herausgestellt hat, schickt sich die Ul an, der Open Software Foundation auf dem Gebiet der verteilten Datenverarbeitung Paroli zu bieten: Eigenen Angaben zufolge arbeitet die Vereinigung von Unix. System-V-Lizenzenten an den Spezifikationen für eine vierstufige verteilte "Open Systems Architecture", die vom Kernel bis zu den Anwendungstools reichen soll.

Während die OSF schon Anfang 1989 ein "Architecture Neutral Distribution Format" (ANDF) ausschrieb, hat sich die Ul bislang ausschließlich dem "AT&T-Unix" System V gewidmet.

Auf das Konto der Unix International geht vor allem die sogenannte Unix-Roadmap, die der AT&T-Tochter Unix-System Laboratories Inc. (USL) eine Leitlinie für die Weiterentwicklung des Betriebssystem an die Hand geben soll. Jetzt hat sich Unix International offenbar entschlossen, den Blick über den Betriebssystem-Tellerrand zu wagen. Nach Angaben von Andrew Schuelke, Technical Director bei der europäischen UI-Zentrale in Brüssel, ist die verteilte DV-Umgebung nur eines - wenngleich das wichtigste der Themen, die in den Arbeitsgruppen von Unix International behandelt werden.

Zwar hat Unix International als Betriebssystem-Kern für ihre verteilte Architektur naturgemäß zunächst System V, Release 4, vorgesehen; doch werden die Schnittstellen laut Schuelke "der gesamten Industrie" zur Verfügung stehen.

Verteilte Datenverarbeitung sei schließlich keine Unix-spezifische Angelegenheit, weshalb sich eine Technologie, wie die UI sie entwickle, nur dann durchsetzen könne, wenn sie auch mit proprietären Betriebssystemen funktioniere. "Unix wird ohnehin immer mehr zu eine 08/15-Produkt (O-Ton: Commodity)", erläutert der europäische Ul-Manager; wirklich wichtig sind nur die Schnittstellen."

X/Open-Definition gelten auch für die UI

Neben Standardisierungsgremien wie ISO oder IEEE galt bislang vor allem die X/Open Ltd. als anerkannte Instanz für die Definition von "offenen" Schnittstellen. Durch ihre neue Strategie setzt sich die UI dem Verdacht aus, sie wolle ihre Architektur gegen die Common Application Environment (CAE) der X/Open plazieren. Schuelke bestreitet dies vehement: "Wir füllen nur die Lücken aus, die X/Open gelassen hat." Die Definitionen des X/Open Portability Guide (XPG) seien für Unix International nach wie vor verbindlich, und die Ergebnisse der von X/Open geleisteten Vorarbeit würden in die UI-Architektur eingepaßt.

Auch die OSF wird nicht müde zu beteuern, daß ihre Requests for Technology nur solche Vorschläge berücksichtigen, die im Einklang mit den XPG-Spezifikationen stehen. Nach der "Distributed Computing Environment" (DCE) schrieb die Foundation im Juli vergangenen Jahres eine Distributed Management Environment" (DME) aus; mit einer Entscheidung hierüber ist im kommenden September zu rechnen.

Von den Bemühungen der OSF unterscheidet sich die Arbeit der UI nicht nur dadurch, daß sie nicht die Entwicklung von Sourcecode, sondern die Definition von Schnittstellen zum Ziel hat. Vielmehr soll der Ul-Architektur "definitiv" ein objektorienter Ansatz zugrunde liegen. Als Begründung nennt Schuelke zum einen die wachsende Bedeutung dieser Technologie, zum anderen die Möglichkeit, vorhandene Teillösungen mit Hilfe der Objekttechnik zu einem mehrstufigen Konzept zusammenzufügen.

Wie auch immer die Spezifikationen aussehen werden, auf jeden Fall sollen sie die Arbeitsergebnisse der Object Management Group (OMG) berücksichtigen. Wie von seiten der OMG bestätigt wurde, haben die beiden Organisationen bereits ein Kooperationsabkommen geschlossen, wonach die Object Management Group der Ul ihre Arbeitsergebnisse zur Verfügung stellen wird. An den Stellen, wo sich die Bemühungen der OMG mit denen der Ul überschneiden, ist eine Zusammenarbeit vorgesehen.

Bei der Object Management Group handelt es sich um eine Vereinigung von weit über hundert Anbietern aus der Hardware- und der Datenbank-Software-Branche, die mit der Absicht gegründet wurde, einheitliche Technologien auf dem Gebiet des Objektmanagements zu schaffen (siehe auch CW Nr.12 vom 22. März 1991, Seite 6: OMG etabliert sich als Standardisierungsgruppe").

OMG sichtet Vorschläge zur Objektkommunikation

Derzeit ist die OMG damit beschäftigt, die auf die Ausschreibung für einen Object Request Broker (ORB) eingereichten Lösungen zu evaluieren. Unter dem Schlagwort ORB versteht das Gremium einen zentralen Mechanismus, der die Kommunikation von Objekten - unabhängig von der Hardware-Architekturen, vom Betriebssystem und von den Netzprotokollen - ermöglichen soll. Fünf Vorschläge sind noch im Rennen, darunter das Gemeinschaftsprojekt von Hewlett-Packard und Sun Microsystems (siehe CW Nr. 10 vom 8. März 1991-, Seite 1).

Auch die OSF legt offenbar Wert auf die Feststellung, sie pflege den Kontakt zur OMG; allerdings hält sie sich mit Absichtserklärungen zum Thema Objektorientierung zurück. Wie Kathryn Birkbeck, DME Technology Manager in der Münchner OSF-Niederlassung, erläutert, zieht die Foundation für ihre Distributed Management Environment sowohl objektorientierte als auch prozedurale Techniken in Betracht.

Unter 27 Bewerbungen um die DME-Ausschreibung befindet sich eine als objektorientiert klassifizierte Lösung, die von der Tivoli Systems Inc. mit Sitz in Austin/Texas eingereicht wurde. Das texanische Software-Unternehmen ist nicht nur OSF-Mitglied, sondern auch maßgeblich in die Entwicklung der Ul-Architektur involviert, was wieder einmal Anlaß zu Gerüchten um eine mögliche Kooperation zwischen den immer noch rivalisierenden Open-Systems-Organisationen gab. Einer Meldung des britischen Informationsdienstes "Computergram" zufolge hat die UI der OSF die Zusammenarbeit an einem Rahmenmodell für das Systemmanagement angetragen. Von seiten der OSF wurde dies jedoch nicht bestätigt.