Politische Antworten auf technische Fragen:

Unix: "Haust Du mein Derivat, haue ich Deines"

25.01.1985

Bundesdeutsche DV-Hersteller und Softwarehäuser haben ihre Aktivitäten für Unix verstärkt. Das "verkannte" Betriebssystem wird nicht mehr hinter vorgehaltener Hand gepriesen, sondern offen als Wunderwaffe propagiert. Das Insider-Magazin "Unix Mail" der Interface GmbH, München, hat CW-Chefredakteur Dieter Eckbauer zum Thema Unix befragt. Hier der Nachdruck des Interviews:

UNIX MAIL: Herr Eckbauer, sowohl Ihre Kommentare in der COMPUTERWOCHE als auch einige Ihrer Aussagen auf der Compas '84 erwekken den Anschein daß Sie Unix nur eine Zukunft unter Außenseitern einräumen.

ECKBAUER: Wenn Digital Research gewußt hätte, wie schnell die 16-Bit-Mikros kommen, dann wäre vielleicht nicht mehr so viel in CP/M investiert worden. Will sagen: Prognosen gestalten sich deshalb so schwierig, weil sie in die Zukunft gerichtet sind. In bezug auf Unix haben wir uns nie festgelegt, wohl sinngemäß gefragt wer letztlich von einem Trend profitieren würde, der in Richtung Portabilität von Software geht.

Die Antwort ist klar: der Anwender. Und jetzt wird's interessant: Die IBM hat es bekanntlich stets verstanden, ihre Kunden in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken - mit Zuckerbrot (vermeintlich besseres Preis/Leistungs-Verhältnis) und Peitsche (IBM-eigene Betriebssysteme). Warum sollte Big Blue die Peitsche freiwillig aus der Hand geben?

Nein, der Mainframe-Marktführer wird an MVS und VM als softwarestrategischen Waffen festhalten. Damit wären wir bei Ihrer eigentlichen Frage. Mit ihrem Engagement für das Bell-Betriebssystem stehen die Unix-Anbieter in Opposition zur IBM-Welt - und da ist es wohl bei den bestehenden Mehrheitsverhältnissen zulässig, von Außenseitern zu sprechen.

UNIX MAIL: Viele der Aufsätze in Ihren Blättern lassen den Eindruck aufkommen, als sei Unix ein Betriebssystem, das ein paar kleinere Firmen nur für einige Freaks anbieten. Wie verträgt sich diese Einschätzung mit den aktuellen Entwicklungen bei Nixdorf, Siemens und IBM?

ECKBAUER: Uns ist bekannt, daß die IBM in Europa eine Unix-Gruppe zusammengestellt hat, sechs Mann soll die umfassen. Nein, was Unix betrifft, ist bei IBM Sense, darüber können auch die diversen kleineren Aktivitäten (PC/IX, Xenix für den PC AT) nicht hinwegtäuschen. Vieles deutet vielmehr darauf hin, daß die IBM den Workstation-Markt mit

"Proprietary-Software" unter VM abschotten will - das hieße Abkehr vom "offenen" System (MS-DOS beziehungsweise PC-DOS).

Nixdorf und Siemens halten sich in der Unix-Frage vorerst noch bedeckt, können sich offenbar nicht entscheiden, auf welches Pferd sie setzen sollen. Irgendwie verständlich: Während Big Blue zumindest so tun kann, als gäbe es die Unix-Welt gar nicht, müssen sowohl die Paderborner als auch die Münchner die IBM-Welt mit im Kalkül haben. Wohin eine Schaukelpolitik der Nicht-lBM-Anbieter führen könnte, danach haben Sie nicht gefragt. Im übrigen gilt das zu Frage eins Gesagte.

UNIX MAIL: Welche technischen Gründe sprechen Ihrer Meinung nach für MS-DOS und welche sprechen gegen Unix?

ECKBAUER: Um die Technik geht es unserer Meinung nach am allerwenigsten. Microsofts MS-DOS wurde von der IBM als taktisches Vehikel benutzt, um auf vorhandene Mikro-Software verweisen zu können - ein im PC-Geschäft eminent wichtiges Verkaufsargument. Die Rechnung ging auf, wie wir mittlerweile wissen.

Nun scheint es die IBM darauf anzulegen, sich das lukrative Softwaregeschäft auch im PC-Bereich unter den Nagel zu reißen.

Um es aus der Perspektive des potentiellen PC-Anwenders zu sehen: Was hat ein IBM-Produkt wie die neue Benutzeroberfläche "Topview" noch mit Microsofts Window-Software gemeinsam?

Dankbarkeit gegenüber den Steigbügelhaltern wird man von dem Mainframe-Elefanten nicht erwarten dürfen - Pech für Microsoft und die anderen. Ja, die gesamte Third-Party-Branche wird noch ihr "blaues" Wunder erleben.

Was nun Argumente gegen Unix betrifft, um zum zweiten Teil Ihrer Fragen zu kommen, so müssen wir Sie enttäuschen. Auch wenn uns einige schicke Floskeln einfielen, wir würden sie nicht verwenden. Worum geht es denn? Einseitige "Parteinahme" für Big Blue, sei es als Anbieter sogenannter "Look-alikes" oder als PC-DOS-Softwerker, zahlt sich letztlich nicht aus. Der Markt braucht Alternativen.

Unstrittig ist, daß Unix eine solche Alternative sein könnte. Nur: Den Anwender interessiert das, was sich unterhalb der Anwendungsebene abspielt, in der Maschine, immer weniger. Betriebssysteme liegen für ihn im "toten" Bereich, ihm geht es um Portabilität, daß nämlich seine Programme auf möglichst vielen Rechnern reibungslos laufen können. Das ist doch das Mindeste, was er verlangen kann.

Nur sieht die Wirklichkeit leider anders aus. Da wird die Unix-Diskussion unter den Entwicklern und Hardware-Herstellern verbissen in aller Öffentlichkeit ausgetragen: Haust Du mein Derivat, haue ich Deines! Das bringt uns doch keinen Schritt weiter.

Der Portabilitätsgedanke ist gut und richtig. Er erfüllt sich freilich erst, so paradox das klingt, wenn sich die Hackelei um Unix überlebt hat - wenn Unix als "Zustand", wir bitten das zu beachten, existiert, gleichzeitig aber nicht mehr über Kompatibilitätslücken gesprochen werden muß.

Fazit: Unix sollte aus dem Bewußtsein der eigentlichen Anwender verdrängt sein, um aufblühen zu können. Das muß man erst mal jemandem klar machen.

Andererseits darf eine Gefahr nicht verharmlost werden: Wenn es der IBM gelingt, über ihre eigenen Betriebssysteme weiterhin Migrationsdruck auf die Anwender auszuüben, dann wäre die ganze Unix-Anstrengung, wie gesagt, für die Katz. Dann wären indes auch die Anwender nicht die Gewinner. Aber kann man, zynisch gefragt, der IBM überhaupt krumm nehmen, daß sie zuerst an ihren eigenen Profit denkt - und damit durchkommt? In diesem Sinne hatten wir uns des öfteren geäußert. Wir stehen weiter dazu.

UNIX MAIL: Was für Gründe hat Microsoft Ihrer Meinung nach dazu bewogen, sein MS-DOS immer stärker "Xenix-kompatibel" zu machen und dafür zu sorargen, daß man zumindest einfachere Anwendungsprogramme problemlos zwischen MS-DOS und Unix portieren kann?

ECKBAUER: Das müßten Sie Bill Gates fragen. Ich sehe darin eine Schaukelpolitik, in Reaktion auf das erwähnte IBM-Verhalten, eine Politik freilich, mit der sich Microsoft zwischen sämtliche Stühle setzen könnte. Man wäre da allerdings in guter Gesellschaft - siehe Nixdorf, siehe Siemens.

UNIX MAIL: Einem Unternehmen, das heute beispielsweise eine Arbeitsplatzzechner-Umgebung installieren läßt, kann es passieren, daß dieselbe Anwendung auf Einplatzsystemen unter MS-DOS und auf Mehrplatzsystemen unter Unix installiert wird. Würde Sie das als Unternehmer stören?

ECKBAUER: Als Unternehmer lese ich weder MS-DOS- noch Unix-Handbücher. Von meinem Spezialisten würde ich selbstverständlich erwarten, daß er kein Auto kauft, das man nur mit einer bestimmten Benzinmarke betanken kann, die sich wiederum nur von dem Hersteller dieses Autotyps beziehen läßt, weil ihm nahezu alle Tankstellen gehören.

Als Besitzer einer freien Tankstelle würde ich mich mit gleichgesinnten Kollegen gegen den großen Autound Ölmulti zusammentun und an den mündigen Autofahrer und Verbraucher appellieren, für den der geschilderte Zustand zweifellos unbefriedigend wäre. Genug geträumt: Ich bin ja weder Unternehmer noch Tankstellenbesitzer.

UNIX MAIL: Wird CW auch im kommenden Jahr darauf verzichten, Seminare für Unix zu veranstalten oder gibt es bereits konkrete Pläne für solche Seminare?

ECKBAUER: Ich bin auch kein Seminar-Veranstalter, wünschte mir allerdings, daß das Thema endlich aus der "Für-nix-und-wieder-nix"-Ecke herauskäme (Xenix, Sinix, Munix, etc.) und - für den Anwender verständlich - aufgearbeitet würde. Die Spezialisten, fürchte ich, wollen den IBM-Zustand zementieren - über die Köpfe der Anwender hinweg. Welch eine Vorstellung: Big Blue als Alleinunterhalter - die COMPUTERWOCHE als Branchen-PRAWDA.