Unix-Gremium umwirbt europäische Softwareschmieden:OSF veranlaßt XOpen zu Frontbegradigung

08.07.1988

BRÜSSEL (CW) - Im Wettstreit der Unix-Standardisierungsgremien versucht X/Open jetzt mit Marktmacht gegen OSF anzugehen. Auf einer "wichtigen Strategiekonferenz" (Pressetext) drängte die Gruppe massiv die vertretenen europäischen Softwarehäuser, ihre (Unix) Produkte nach X/Open-Richtlinien auszulegen.

Änderungen des Sprachgebrauchs während dieser Veranstaltung, die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zusammen mit X/Open ausgerichtet wurde, waren für die teilnehmenden Vertreter von rund 150 Softwarehäusern erster Hinweis auf die Einschätzung der aktuellen Situation. Standen bislang Schlagworte wie "Portability Guide", "AT&T" und "Posix" im Zusammenhang mit dem Betriebssystem "Unix" an vorderster Stelle, so einigten sich die X/Open-Offiziellen bei dieser Promotion-Aktion auf den Ausdruck "Offene Systeme" - und versuchten, über die Inhaltsschiene "Europa 1992" Softwarehäuser auf ihre Seite zu ziehen.

Dazu Geoff Morris, Präsident der X/Open: "Bis 1992 werden offene Systeme vermutlich 20 Prozent des gesamten Computermarktes einnehmen." Die Führungskräfte der anwesenden Softwarehäuser mahnte Morris, sich auf den wachsenden Bedarf an "offenen Systemen" vorzubereiten, und bot Einsteigern und Teilnehmern des Software-Partnerprogrammes massive Marketinghilfe an. Produkte, die den Richtlinien von X/Open entsprechen, können mit dem X/Open-Logo ausgezeichnet werden und so dem Käufer einen Hinweis auf die Übereinstimmung mit dem entsprechenden "Portability Guide" geben.

Nur vereinzelt wurden Hinweise auf die Einschätzung der Lage für Unix-Standards nach der Gründung der Open Systems Foundation (OSF) gegeben - mit dem Touch abwartender Haltung und taktischer Annäherung: Die "Open Software Foundation macht IBM und Digital Equipments Bereitschaft zu offenen Systemumgebungen deutlich", heißt es zum Beispiel in einer Vortragsfolie von Mike Southon, Director Technology Development von X/Open. Und weiter: "OSF benutzt X/Open in der Level-0-Spezifikation."

Vorsicht ließen die Verantwortlichen auch bei Schilderungen des Verhältnisses von Computerherstellern zu "Offenen Systemen" walten. Ebenfalls bei Southon heißt es: "Alle Unix-Variationen sind jetzt auf ein (oder zwei) reduziert worden..., selbst bei zwei konkurrierenden Unix-Implementationen werden die Anwendungen portabel sein."

OSF ist, so wurde während der Veranstaltung deutlich, den X/Open-Verantwortlichen ein Stachel im Fleisch - mit dem allerdings zu leben sein wird, wenn die Mitgliederbasis stimmt. Das Beitrittsbegehren der IBM zu X/Open wurde in Gesprächen zwar bestätigt, eine offizielle Stellungnahme aber war nicht zu erhalten. Dennoch ist Beobachtern klar, daß einer Mitgliedschaft nicht viel im Wege steht.

Die Tatsache, daß sich mehrere Unternehmen - unter ihnen Siemens, Nixdorf, HP und andere - zu einer Doppelmitgliedschaft sowohl in X/Open als auch in OSF entschlossen haben, scheint zu einer taktischen Frontbereinigung veranlaßt zu haben. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand machte folgender Slogan die Runde: "X/Open macht die Standards, OSF die Produkte" (siehe auch untenstehenden Auszug).

Dazu heißt es, zu koalieren - bislang arbeiten mehr als 100 Softwareanbieter an der Entwicklung X/Open-kompatibler Programme. Zu ihnen zählen Häuser wie Microsoft, Cullinet, Lotus oder Informix. Mit dem Anreiz, sich an das weltweite Marketingprogramm von X/Open anklinken zu können, soll diese intellektuelle Basis verstärkt werden. Der Einstieg wird Newcomern schmackhaft gemacht: Der Preis für einen Portability Guide liegt bei unter 200 Dollar, das Commitment eines Softwarehauses mit sämtlichen Vorteilen kostet 300 Dollar.