GUUG-Jahrestagung als Forum für Anwenderschelte:

Unix-Gremien ziehen nicht an einem Strang

09.10.1987

KARLSRUHE - Ärger über die Uneinigkeit in der Unix-Szene: Die Grabenkämpfe zwischen den einzelnen Normungsgremien blockieren nach Ansicht vieler Anwender den Fortschritt bei der Standardisierung von Schnittstellen. Dies wurde auf der Jahrestagung der deutschen Unix-Benutzervereinigung GUUG In Karlsruhe deutlich.

Für die Anwender - egal ob kommerziell oder technisch-wissenschaftlich orientiert - steht in jedem Fall die Sicherung der Investition sowohl im Software- als auch im Personalbereich an vorderster Stelle. Sie könne letztlich, insbesondere im Personalbereich bei den Ausbildungsmaßnahmen, nur durch umfassende Standardisierung gesichert werden.

Hier meldeten viele GUUG-Teilnehmer mehr oder minder offen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der X/Open-Members an. Sicherlich, so konstatierte auch Peter Schnupp, Geschäftsführer der InterFace GmbH, München, versuchten die Hersteller, den Anwender auch unter Unix an sich zu binden. Insbesondere gelte dies auf dem Gebiet der inneren Gestaltung von Utilities.

Ein wichtiges Problem, mit dem sich die Unix-Standardisierer der X/ Open-Group bei ihrer Arbeit konfrontiert sehen, liegt nach Aussage von Hans Strack-Zimmermann, Technical Manager der X/Open-Gruppe und Mitarbeiter der Münchner Siemens AG, in den vielen Gremien, die sich außer der X/Open-Gruppe mit Unix-Schnittstellen auseinandersetzen. In der Priorität liege die Standardisierungs-Hoheit bei dem Unix-Entwickler AT&T, der eine eigene Schnittstellenpolitik verfolgt, und diese nach außen hin durch die sogenannte System V Interface Definition (SVID) in die anderen Normungsgremien abstrahlen läßt.

Seit AT&T aber eine Mitgliedschaft in der X/Open-Gruppe erworben habe, zeichne sich nach Aussage des Referenten nunmehr eine deutlich stärkere Zusammenarbeit insbesondere bei den Schnittstellen-Thematiken ab. Es werde natürlich notwendig sein, so Strack-Zimmermann, an der einen oder anderen Stelle, wo AT&T an der System V Interface Definition Modifikationen vornehme, Anpassungen durchzufahren.

Hieraus ergäben sich allerdings keine großen Probleme, da in den meisten Fällen bei den Definitionen der Unix-Schnittstellen von den entsprechenden Originaldokumentationen ausgegangen worden sei. Stärker werde die Arbeit der X/Open durch die parallel stattfindenden Aktivitäten des IEEE beeinflußt. Hier wurde völlig unabhängig von X/ Open und auch AT&T das portable Schnittstellen-Subset "Posix" als Grundlage einer internationalen Normung erarbeitet.

Dieses Werk des IEEE wurde mitgetragen von dem Gedanken, daß die Portabilität auch von anderen Betriebssystemen ausgehen könnte. Zur Zeit finde ein intensiver Dialog zwischen den beiden Gremien statt, so Strack-Zimmermann, um den Markt nicht der Gefahr einer Aufspaltung preiszugeben. Neben den Arbeiten an den Betriebssystemschnittstellen seien insbesondere für Softwarehäuser die Vereinbarungen über die Internationalisierung des Character-Sets im fünfbändigen Portability Guide für ihre Anwendungsentwicklungen wichtig. Durch die Festlegung dieser Verfahren soll es möglich werden, eine Anwendung auf einem Rechnersystem in unterschiedlichen nationalen Zeichensätzen problemlos fahren zu können.

Zu den größten Problemen bei Unix zählen immer noch die Programm-Schnittstellen. Bis heute gibt es keine brauchbaren Interfaces, um Applikationen in Netzwerken unter Unix anzusprechen. Die Techniker in der X/Open-Gruppe haben sich mit der Erarbeitung einer Transportschnittstelle (XTI) befaßt und ein sogenanntes "White Paper" erstellt; diese Arbeiten sollen in Kürze abgeschlossen sein.

Für die Fernverarbeitung von Unix-Applikationen laufen Arbeiten an einem Generalized-Event-Mechanismus (XEM), der Signale für ein anderes Programm aufbaut. Zusätzlich wird für den Datenverkehr zwischen Unix-Rechnern verschiedener Hersteller intensiv an einem sogenannten "Applications-Applications"-Programminterface gearbeitet.

Für diese Arbeiten haben sich die X/Open-Techniker sehr genau mit IBMs "Advanced Program-to-Program Communication" (APPC) auseinandergesetzt. Die Anforderungen auf dieser Ebene sind so definiert, daß es möglich sein wird, zwischen Unix-Systemen und anderen Rechnern, die über OSI oder SNA verbunden sind, eine Kommunikation aufzubauen. Die X/Open-interne Bezeichnung für dieses Projekt heißt XPPC; Anfang nächsten Jahres soll hierfür ein "White Paper" vorgelegt werden.

Bislang zu kurz gekommen sind nach allgemeiner Ansicht auch Fragen der User-Interfaces. Hier sollen nun möglichst frühzeitig Standards gesetzt werden, bei denen vor allem auch das "Networked Windowing" ermöglicht werden soll. Bezüglich der Realisierung sind die Anwender eher skeptisch, wie auf der Tagung offen formuliert wurde. Die "Herstellerunabhängigkeit" werde, so die Anwenderschelte, von den Herstellern und X/Open -Mitgliedern wohl mehr als eine "lästige Begleiterscheinung" in Kauf genommen.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier DV-Fachjournalist in München