Unix-Anwender lassen sich nicht mehr verunsichern

24.06.1988

Zwiespältig reagieren die Anwender auf die Gründung der Open Software Foundation (OSF) und die Nachricht vom IBM-Antrag an die X/Open-Adresse: Begrüßen die einen freudig das langerwartete Unixengagement des DV-Riesen und erhoffen sich davon einen Katalysator-Effekt auf die Standardisierungsbemühungen, befürchten andere im Gegenteil, daß die Konfrontation der verschiedenen Herstellergruppierungen hier zu Verzögerungen führen wird. Einig sind sich die meisten Unix-Benutzer jedoch insofern, als ihre eigenen Investitionsentscheidungen von den Grabenkämpfen der Hersteller relativ unberührt bleiben: Sie setzen mehrheitlich auf die X/Open-Spezifikationen und schaffen damit Tatsachen, an denen die Anbieter wohl kaum noch vorbeikommen dürften.

Prof. Dr, Martin Polke Leiter Ingenieurbereich Prozeßleittechnik, Bayer AG, Leverkusen

Es ist zu befürchten, daß der Anwender im Kampf der Computerriesen um Marktanteile wieder einmal das Nachsehen haben wird. Zu hoffen bleibt jedoch, daß die geballte Macht von OSF, X/Open sowie den neugegründeten Anwender- und Softwarehersteller- Beiräten einseitige Interessen einzelner Mitglieder relativieren wird.

Wünschenswert ist, daß sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und ein einheitliches Unix einschließlich Benutzeroberfläche schaffen. Im Sinne des Anwenders wäre die beste Idee ein Wettstreit um die Realisierung und Standardisierung - und nicht das Ausgrenzen, Abgrenzen und Durchsetzen singulärer Interessen. Tatsächlich dürfte die Standardisierung zunächst verzögert werden, bis sich die neue Gruppierung zu der einen oder anderen Frage geäußert hat.

Die künftige Systemstrategie in unserem Hause läßt sich aus den zur Zeit vorliegenden Absichtserklärungen noch nicht ableiten. Wir setzen auf Unix und fordern die volle Portabilität über alle Rechner hinweg. Dies muß sich auch auf notwendige Erweiterungen - insbesondere in Richtung Benutzeroberfläche - beziehen.

Da viele Computerhersteller bereits zusammenarbeiten und die Benutzer endlich auch ein Sprachrohr haben, sollte es uns eigentlich gelingen, die Konfrontation OSF auf der einen und AT&T/Sun auf der anderen Seite aufzubrechen. Diese Konfrontation macht

deutlich, daß die Gefahr, in alte Zeiten des sich gegenseitig Ab- und Ausgrenzens zurückzufallen, noch nicht endgültig abgewendet ist.

IBM und DEC waren bisher nicht gerade Freunde des Unix-Gedankens. Es scheint in diesen Firmen gleichwohl die Einsicht zu reifen, daß sie daran nicht mehr vorbeikommen. Unklar bleibt, ob das neuerliche Engagement tatsächlich von der Überzeugung getragen wird, einen Hardware-unabhängigen Standard zu küren, oder ob nicht doch die Absicht dahinter steht, den einen oder anderen Partner über den Tisch zu ziehen.

Thomas Kahlhardt Hauptabteilungsleiter Organisation, Gerilng-Konzern, Köln

Ich sehe die OSF als Ergänzung zu X/Open, da sie auf derselben Basis arbeitet, denn ich habe die Presseerklärung, so verstanden, daß die OSF auf X/Open und damit auch auf Posix aufbaut. Die Erfolge von Unix gerade im öffentlichen Bereich sind derart, daß IBM gar nicht mehr daran vorbei kann. Nun besteht natürlich immer die Gefahr, daß IBM als Bremser fungiert. Aber es sind eine ganze Reihe von anderen Herstellern in dieser "Stiftung", und die werden sicherlich dagegen arbeiten, daß IBM dort die Führung übernimmt.

Wir setzen auf Unix - vom Einplatzsystem bis zur Großanlage; und OSF bestärkt uns eigentlich nur in unserer Strategie. Ich würde jedoch empfehlen, daß dieser Gesellschaft auch Anwender beitreten, um dort ihre Interessen zu vertreten - ähnlich, wie das bei X/ Open geschieht. Man sollte die Hersteller nicht unter sich lassen; und die könnten und würden sich wohl kaum dagegen wehren.

Ich glaube nicht, daß AT&T und Sun sich gegen diese Zusammenschluß von potenten Herstellern durchsetzen können. Über kurz oder lang wird sich auch AT&T auf die Seite der Stärkeren schlagen müssen.

Für den Anwender kann es nur positiv sein, wenn IBM sich zu Unix bekennt und dort tatsächlich auch tätig wird, Denn viele orientieren sich ja daran, was IBM macht. Wenn IBM hier auf ein bewährtes Pferd aufspringt und ihm die Sporen gibt, dann kann man das durchaus als positiv betrachten. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich diese Sache entwickelt.

Ich habe die Ankündigung so verstanden, daß X/Open die Standards setzt und OSF sie umsetzt. Andernfalls hätte man hier zwei Unternehmen, die miteinander konkurrieren, und das kann nicht sinnvoll sein. Ich muß leider sagen, daß die bisherigen Aktivitäten der X/Open nur nicht ausreichten. Da steckte nicht genug Power drin, und spürbare Ergebnisse fehlten.

Herbert Fuchs Projektleiter Bürokommunikation, GEW Werke Köln AG

Diese "OSF-Aktion" beeindruckt mich im Grunde wenig. Die Basis für Standardisierungen ist in jedem Fall Posix; sie kann weder System V noch AIX sein, wenn es für den Anwender keinen Rückschritt geben soll. Und diesen Zug aufzuhalten, sollte kein Hersteller mehr versuchen. Die Anbieter müssen begreifen, daß es mündige Benutzer gibt, die sich 'nicht mehr so einfach verunsichern lassen.

Ich habe das Gefühl, IBM und DEC haben endlich gemerkt, daß sie an Unix als Native-Lösung nicht mehr vorbeikommen. Über die Open Systems Foundation hat IBM jetzt auf elegante Weise einen Fuß in der Tür und kann offiziell im Unix-Bereich mitmischen.

Das Ziel dieser OSF ist meiner Ansicht nach ganz klar: Hier wird eine Front gegen AT&T aufgebaut - hoffentlich zum Vorteil der Anwender. AT&T hat sich diese Situation durch sein ungeschicktes Verhalten in bezug auf Lizenzpolitik und Unternehmensstrategie selbst zuzuschreiben.

Was ist das Ergebnis für den Anwender? Er hat es in Zukunft mit den Gruppierungen X/Open, OSF und System V.4 zu tun; die Verwirrung ist wieder komplett. Nun belebt Konkurrenz zwar das Geschäft; aber möglicherweise heißt das Ziel auch: "Divide et impera!" (Teile und herrsche!). Vielleicht soll aber auch die Undurchsichtigkeit des Marktes bewußt wiederhergestellt werden.

Unbestritten ist für mich, daß die Gründung der OSF für den Fortschritt der Unix-Idee erst einmal wieder eine gewisse Verzögerung bedeutet, die den Herstellern zugute

kommt, die erst jetzt auf den offiziellen Unix-Zug aufgesprungen sind, Die OSF muß erst noch beweisen, was sie wirklich für den Anwender er. reichen will.

Unix ist für mich ein Einsatz ohne Risiko. Wenn das System, in das ich investiert habe, ein Standard wird - großartig! Wenn nicht, dann habe ich nur ein weiteres Betriebssystem, aber ein sehr mächtiges; außerdem befinde ich mich da. mit in guter Gesellschaft.

Herstellerunabhängigkeit ist für den Anwender gleichbedeutend mit wirtschaftlichen Lösungen. Zu Unix gibt es derzeit keine Alternative.

Wir Anwender brauchen offene Standards. Die Einsatzbedingungen für seine Systeme .muß der Benutzer selbst benommen. Die Hersteller-Story "X/Open, OSF und System V.4" zeigt vor allem eins: Der Anwender muß noch viel mündiger werden!

Dr. Uwe Hartmann Abteilungsdirektor Planung, Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnik, Daimler-Benz AG, Stuttgart

Zweifellos hat uns die Nachricht von der OSF-Gründung überrascht. Eine erste Analyse von Zielsetzung und Programm führte uns jedoch zu einer grundsätzlich positiven Einschätzung der neuen Herstellergruppierung. Unserer Auffassung nach wird man den Perspektiven der OSF-Gründung nicht gerecht, wenn man sie allein unter taktischen Aspekten bewertet (Allianz gegen AT&T/Sun, IBM/DEC-Manöver gegen Unix-Standard).

Die wesentlichen Chancen der OSF-Gründung scheinen uns darin zu liegen, daß sich erstmalig in der Geschichte der Datenverarbeitung - führende Hersteller darauf verständigt haben, nicht nur gemeinsame Standards zu unter. stützen, sondern auch eine darauf basierende Entwicklungs- und Betriebsumgebung zu schaffen und auf ihren Rechnern zu implementieren. Das würde uns dem Ziel einer flexiblen Anwendungsverfügbarkeit auf beliebiger Hardware-Umgebung deutlich näherbringen.

Unter diesem Blickwinkel erscheint die OSF-Gründung als Meilenstein auf dem Weg zu offenen Systemen und portablen Anwendungen - in anderen Worten: als Phasensprung im langwierigen Evolutionsprozeß der Standardisierung.

Natürlich stellen sich durchaus noch eine Reihe von Fragen, so die nach der reibungslosen Zusammenarbeit innerhalb der OSF sowie nach dem künftigen Zusammenwirkens von OSF und X/Open. Von großem Interesse für die Großanwender ist auch, ob die Teilnahme von IBM bei OSF zu einer Konvergenz von SAA- und OSF-Environment führen wird - insbesondere in den Bereichen Transaktions-Management-Interface, Präsentations-Management oder Program-to-Program-Kommunikation, wo abschließende Festlegungen noch nicht auf jeder Seite erfolgt sind.

Für die längerfistigen Perspektiven ist auch wichtig, inwieweit das "neue OSF-Betriebssystem auf Basis zukünftiger AIX-Version" über den heutigen Unix- beziehungsweise Posix-Standard hinauswachsen wird. Wir stellen derzeit verstärkt Überlegungen an, Unix in bestimmten Einsatzbereichen generell zu positionieren. Zur langfristigen Absicherung der Software-Investitionen werden wir uns hierbei konsequent auf X/Open-Standards stützen, denn wir gehen davon aus, daß auf dieser Standardisierungsebene auf jeden Fall eine Portabilität zum kommenden OSF-Environment gewährleistet sein wird.

Dr, Alex Schumacher Dezernent, Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, Düsseldorf

Die Nachricht von der OSF-Gründung kam für uns völlig überraschend. Uns lagen vorher keinerlei Informationen oder Gerüchte über eine 1 solche Entwicklung vor, aber @