Neben Dienstleistungen gehören Server und PCs zum Portfolio

Unisys übt den Spagat als Komplettanbieter

04.06.1999
MADRID (wh) - Die einstige Mainframe-Schmiede Unisys übt den Spagat: Einerseits werden die proprietären Großrechner weitergepflegt, andererseits bewegt man sich stärker in Richtung Intel und Microsoft. Um den Nimbus des Komplettanbieters zu wahren, sollen neben Dienstleistungen und Servern weiterhin PCs zum Portfolio gehören.

Fred Ruessli besteht darauf: "Wir sind immer noch ein Computerunternehmen." Mit dem Wachstum des Hardwaregeschäfts sei man sehr zufrieden, sagt der Marketing-Verantwortliche für Unisys'' Computer-Systems-Division. "Das ist immer noch ein wichtiges Fundament für uns." Auf der jährlich abgehaltenen Konferenz der Benutzergruppe Unisys Users Association (siehe Kasten) rückte der Her- steller denn auch seine neuen High-end-Server-Produkte in den Mittelpunkt (siehe Kasten Seite 42).

Der Blick auf die jüngeren Geschäftszahlen der 1986 aus der Fusion von Sperry und Burroughs hervorgegangenen Unisys Corp. ergibt ein anderes Bild: Rund zwei Drittel der Einnahmen im Jahr 1998 entfielen auf das Dienstleistungssegment. Bis zum Jahr 2000 soll dieser Wert auf 75 Prozent steigen. Ruessli kann sich dennoch nicht vorstellen, eines Tages nur noch als Service-Unternehmen am Markt zu agieren: "Das ist nicht denkbar."

Mit den "Clearpath"-Mainframes habe sein Unternehmen 1997 und 1998 jeweils zweistellige Umsatzzuwächse verbuchen können, so der Manager. In diesen Servern lassen sich Legacy-Anwendungen unter den Mainframe-Betriebssystemen " OS 2200" und "MCP" über eine eigenentwickelte Middleware mit den Betriebssystemen Unix und NT verbinden (siehe CW 21/99, Seite 5). Nach der Lesart von Unisys benötigen Kunden diese Kombination, wenn sie ihre Altanwendungen weiterverwenden wollen, gleichzeitig aber neue Web-basierte Applikationen für E-Commerce-Projekte einführen möchten. Zur Klientel von Unisys zählen traditionell vor allem Banken und Versicherungen.

Rund 17 Prozent der Einnahmen aus dem Clearpath-Geschäft stammen von Neukunden, behauptet Ruessli. Insbesondere im Bankensektor könne man Erfolge vorweisen. Als Beleg führt er die Fusion der Schweizer Bankgesellschaft mit dem Schweizerischen Bankverein zur Union Bank of Switzerland (UBS) an. Dabei seien Anwendungen in großem Umfang von IBM-Mainframes auf Unisys-Rechner verlagert worden. "Alle zehn Tage lösen wir im Bankenmarkt einen IBM-Großrechner ab", rührt der Marketier die Werbetrommel. Barry Graham, unabhängiger Analyst für Großsysteme in England, hält diese Angaben für übertrieben: "Es werden sicher genauso viele Unisys-Systeme durch IBM-Rechner abgelöst wie umgekehrt." Für Graham ist Unisys eine Miniaturausgabe der IBM, die ebenfalls einen großen Teil ihrer Einnahmen mit Services erziele. Trotzdem gehörten Hardwareprodukte weiter zum Stammgeschäft.

Wie viele der altehrwürdigen Mainframe-Bauer kämpft auch Unisys noch mit proprietären Altlasten. So kommen in den High-end-Modellen der Clearpath-Rechner noch immer die nach eigenen Designvorgaben von IBM gefertigten CMOS-Prozessoren zum Einsatz. In den Mittelklasse- und den kleineren Servern unter dem ehemaligen Burroughs-Betriebssystem MCP setzt der Hersteller bereits ausschließlich auf Intel-CPUs. Nach der Verfügbarkeit von Intels erster IA-64-Implementation "Merced" sollen alle MCP-Rechner nur noch mit den neuen Prozessoren arbeiten.

Etwas länger wird die Umstellung der Rechner unter "OS 2200" auf Intel-Technik dauern. OS 2200 ist das zweite Main- frame-Betriebssystem, das Unisys pflegt. Nach Herstellerangaben ist es speziell für hohe Transak- tionsvolumina ausgelegt. So arbeitet etwa das Flugreservierungssystem Amadeus mit einem Unisys-Mainframe unter MCP. Die Rechenleistung von Standardprozessoren reiche für Anwendungen dieser Dimension noch nicht aus. Auf einen Zeitpunkt für die Ausmusterung der proprietären CMOS-CPUs will sich Ruessli aber nicht festlegen lassen. "Wir möchten so schnell wie möglich auf Intel wechseln."

Große Hoffnungen setzt der Hersteller in die vor etwa einem Jahr vorgestellte Multiprozessorarchitektur "Cellular Multiprocessing" (CMP). Im zweiten Quartal 2000 soll ein CMP-Server mit 32 Intel-CPUs auf den Markt kommen, in dem gemischte Rechnerknoten unter Unixware und verschiedenen NT-Versionen über Crossbar-Switches verbunden sind. Eines der herausragenden Merkmale von CMP ist den Angaben zufolge die Fähigkeit zur dynamischen Partitionierung. Damit lassen sich etwa bei laufendem Betrieb CPU-Ressourcen bestimmten Anwendungen oder Anwendungsgruppen zuteilen. Nach der Argumentation der Unisys-Strategen prädestiniert vor allem diese Eigenschaft die CMP-Server als Konsolidierungsplattform.

Weniger Altlast als kostenträchtiges Sorgenkind war in der Vergangenheit die PC-Sparte von Unisys. Nach der Auslagerung der PC-Fertigung an Hewlett-Packard (HP) im vergangenen Jahr scheint sich das geändert zu haben. HP liefert Einzelplatz-PCs und Server bis maximal zwei Prozessoren, die Unisys unter eigenem Label vermarktet. Größere PC-Server entwickelt und produziert der Anbieter selbst.

Andererseits übernimmt Unisys im Rahmen eines Abkommens mit Dell Service- und Support-Dienstleistungen für die PCs des texanischen Direktanbieters. "Ein Unternehmen ist heute ein guter Servicelieferant, wenn es heterogene Umgebungen unterstützen kann", rechtfertigt Ruessli diese Doppelstrategie. "Wir sind daran interessiert, Serviceverträge mit allen großen PC-Lieferanten zu bekommen." Kunden, die einen High-end-Server von Unisys kauften, wollten aber möglichst auch die PCs vom gleichen Lieferanten beziehen. Deshalb sei die Weiterführung einer eigenen PC-Marke sinnvoll.

Analyst Graham kann diese Argumentation nachvollziehen. Als Mainframe-Hersteller, der als Komplettanbieter auftreten wolle, sei Unisys gezwungen, auch PCs im Programm zu haben. Andernfalls könnten mächtige Anbieter wie Compaq über kurz oder lang in die Kundenbasis einbrechen. Profitabel sei das PC-Geschäft aber sicher nicht für Unisys, meint Graham. "Selbst IBM hat ja zugegeben, mit PCs eine Milliarde Dollar Verlust zu machen." Ruessli spricht demgegenüber zwar von einem "kleinen Gewinn" mit PCs, räumt aber ein: "Es lohnt sich für uns nicht, in PCs zu investieren. Wir sind kein Volumenanbieter. Das PC-Geschäft ist nur ein Add-on. Ob es wächst oder nicht, kümmert uns nicht."

Trotz aller Schwierigkeiten beurteilt Graham die Situation von Unisys insgesamt optimistisch. "Vor einigen Jahren hätte niemand mehr einen Pfennig auf Unisys gewettet. Aber das Blatt hat sich gewendet." Unter dem CEO Lawrence Weinbach konnte das Unternehmen 1998 den Schuldenberg von insgesamt 2,3 Milliarden Dollar um eine weitere Milliarde Dollar reduzieren. Darüber hinaus wurden respektable Quartalsgewinne eingefahren. Angesichts der stabilisierten wirtschaftlichen Lage gibt es in der Branche immer wieder Gerüchte, Unisys sei nun vor allem ein attraktiver Partner oder gar ein Übernahmekandidat geworden. Ruessli gibt sich angesichts solcher Spekulationen gelassen: "Ich kann mir vieles vorstellen." Unisys verfüge über ausreichend Barreserven, um von sich aus Partnerschaften einzugehen.

Neue Server von Unisys

Unisys stellte mit dem Server "IX 6800" das neue Spitzenmodell seiner "Clearpath"-Mainframes vor.

Das System soll im Vergleich zum Vorgänger unter anderem 60 Prozent mehr Rechenleistung bieten. Der durchschnittliche Preis pro MIPS sinke von zirka 8000 Dollar auf 3000 bis 5000 Dollar. Gegenüber dem Konkurrenten IBM mit seinen S/390-Main- frames grenze man sich insbesondere durch ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis und niedrigere Betriebskosten ab, so die Angaben.

Das künftig Flaggschiff unter den NT-Servern ist der "Aquanta ES5085", der sich mit maximal acht Pentium-III-Prozessoren (500 Megahertz) bestücken läßt. Abhängig von der jeweiligen Anwendung verspricht Unisys gegenüber dem Vier-Wege-Modell einen Leistungszuwachs zwischen 40 und 90 Prozent. Von den Konkurrenten aus dem PC-Lager will man sich durch Mission-critical-Merkmale unterscheiden.

Im unteren Leistungsbereich erweiterte Unisys sein Portfolio um den Zwei-Wege-Server "ES2023", der zu Preisen ab etwa 2500 Dollar verkauft werden soll.

Unisys Users Association (UUA)

Die Unisys Users Association (www.uuae.org) ist eine paneuropäische Vereinigung von Unisys-Anwendern. Weltweit existieren drei weitere Benutzergruppen, die wiederum der Dachorganisation ICU2 angehören. Nach Angaben von Klaus Witzel, Marketing-Direktor der UUA, sind weltweit zirka 700 Mitglieder eingetragen.

Im deutschsprachigen Raum ist die UUA schwach vertreten. Die entsprechende Benutzergruppe (Deutschland, Österreich und ein Teil der Schweiz) besteht aus lediglich 34 Mitgliedern. Hinzu kommen weitere 39 Angehörige aus einer bislang noch getrennten schweizerischen Vereinigung.

Die UUA finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und kostenpflichtigen Konferenzen, die auch nicht-organisierten Anwendern offenstehen. Laut Veranstalter besuchten 925 Delegierte aus 35 Ländern die Jahreskonferenz UUA ''99 in Madrid vom 17. bis 20. Mai.

Die UUA arbeitet vor allem über sogenannte Requirements-Komitees mit dem Hersteller Unisys zusammen. Laut Witzel bilden diese "eine der stärksten Waffen aus Benutzersicht".

Ähnlich wie in anderen User Groups bringen die Mitglieder hier Forderungen ein, die dann von der UUA geprüft und an den Hersteller weitergeleitet wer- den. So habe die UUA bereits 1992 eine Stellungnahme zum Jahrtausendwechsel gefordert, berichtet Witzel. Seit 1995 lägen konkrete Pläne für die Umstellungsarbeiten vor. Den Herstellerangaben zufolge sollen alle Unisys-Systeme inzwischen Jahr-2000-tauglich sein.

Von Unisys fordern die UUA-Vertreter derzeit insbesondere mehr Preistransparenz über Ländergrenzen hinweg. Für in Europa tätige Unternehmen mit verteilten Standorten sei dies ein wichtiger Faktor. Darüber hinaus verlangt die User Group eine stärkere Unterstützung von seiten des Herstellers, beispielsweise durch die Bereitstellung von Kundendaten.