Uni Karlsruhe peilt campusweites, heterogenes Hochgeschwindigkeits-LAN an: Hybrid-Ring nutzt Kupfer- und LWL-Strecke

10.04.1987

Seit längerem bereits arbeitet die Universität Karlsruhe an einer Prototyp-Entwicklung für ein campusweites, heterogenes Rechnerverbundsystem, das Großrechner, Fakultätsrechner und Personal Computer über ein schnelles AN miteinander verbindet, Zugang zu nationalen und internationalen Rechnernetzen wie DFB, Erahn und Bitten bietet und schließlich die Ankopplung an öffentliche Netze wie Datex-L/-P und ISDN sowie die Nutzung ihrer Dienste ermöglicht. Martin Zieher und Oswald Drobnik* beschreiben das zugrundeliegende Netzkonzept, den hybriden Kupfer-/ Glasfaser-Token-Ring.

Die aktuelle Struktur des heterogenen Rechnernetzprototyps ist mit Komponenten der beiden Computerhersteller IBM und DEC aufgebaut (siehe Bild). Die Kopplung der daran beteiligten DEC-Rechner (8600, 2 x 8300, mehrere Mikro-VAX) in Gebäude G 1 ist mit einem Ethernet-System realisiert. Die Verbindung der über drei Gebäude verteilten IBM-Rechner (2 x 4361, 4381, viele PCs) erfolgt mit dem im folgenden behandelten Kupfer-/Glasfaser-Token-Ring. Beide LAN-Typen sind von strategischer Bedeutung in den Netzwerkkonzepten der zwei Herstellerwelten.

Der Token-Ring hat hier eine große räumliche Ausdehnung von mehreren Kilometern. Innerhalb einzelner Gebäude ist er mit Kupferkabeln des IBM-Verkabelungssystems (Indoor: Typ 2, Typ 6) realisiert. Zur Verbindung der drei bis zu 1000 Meter voneinander entfernten Gebäude werden Lichtwellenleiter (50/125 Mikrometer Gradientenfaser) verwendet. Für Versuchszwecke ist auch noch ein 300 Meter langes Kupfer-Außenkabel des IBM-Verkabelungssystems (Typ 1) zwischen Gebäude G 1 und G2 verlegt worden. Die Kopplung der verschiedenartigen LANs Token Ring und Ethernet untereinander sowie ihre Ankopplung an öffentliche Datennetze (Datex-L/-PL) erfolgt mit IBM-PC-basierten, dedizierten Gateway-Rechnern.

Beim Projektstart 1984 war nur prototypisches Equipment des im IBM-Forschungslabor Zürich entwickelten Z-Rings vorhanden, der den Token-Ring-Standard IEEE 802.5 stark geprägt hat und im wesentlichen dem heutigen IBM-Token-Ring entspricht. Der Z-Ring (und auch der heutige IBM-Token-Ring) ist für die Übertragung mit Kupferleitern und Distanzen von weniger als einem Kilometer (weniger als 400 Meter) zwischen zwei aktiven Ringstationen ausgelegt. Dies reichte nicht aus, um die im Prototyp auftretenden Streckenlängen von mehreren Kilometern zu überbrücken, was zur Entwicklung und Realisierung eines hybriden Kupfer-/Glasfaser-LAN-Konzeptes mit folgender Zielsetzung geführt hat:

- Wahl des Übertragungsmediums entsprechend den Anforderungen an die Datenübertragungsabschnitte (Bandbreite, Distanz, Potentialfreiheit, Blitzschutz, Störsicherheit, Abhörsicherheit, Installationsbedingungen);

- Nutzung bereits vorhandener (bisher meist kupferbasierter) Verkabelungen, sofern sie obigen Anforderungen genügen;

- Integration neu verlegter Strecken (zukünftig zumeist Glasfaser) in bereits bestehendes Netz;

- stufenweiser, dem Fortschritt der Technik und Wirtschaftlichkeitsaspekten angepaßter Übergang vom Kupfer zum übertragungstechnisch vorteilhafteren Zukunftsmedium Glasfaser.

Die Verfolgung dieser Zielsetzung bei Verwendung der verfügbaren prototypischen Hardware (Ringadapter, Ringleitungsverteiler und Kupferkabel des IBM-Verkabelungssystems) hat zum in /1/ ausführlich beschriebenen hybriden Token-Ring in Karlsruhe mit folgender Charakteristik geführt:

- Ring-/Stern-Topologie mit passiven Ringleitungsverteilern (RLV);

- Kupferkabel zwischen Ringstationen und RLVs;

- Kupferkabel zwischen RLVs innerhalb von Gebäuden;

- Glasfaserkabel zwischen RLVs in voneinander entfernten Gebäuden.

Gemischte Topologie erhöht Fehlertoleranz

Die Ring-/Stern-Topologie und der Einsatz von mit Bypass-Mechanismen versehenen passiven Ringleitungsverteilern (Bild) ist vorteilhaft hinsichtlich Flexibilität und Erweiterbarkeit des Ringes im laufenden Betrieb als auch in bezug auf die Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit gegenüber Störungen und Ausfällen von Ringstationen und ihren Anschlußleitungen (Fehlertoleranz).

Die Verbindung der Ringstationen mit den Ringleitungsverteilern erfolgt mit Kupferleitern, da die elektrische Verbindungstechnik gegenüber der optischen im Endgeräte-Anschlußbereich zur Zeit noch deutliche Vorteile aufweist (Preis, technische Einfachheit, Ausgereiftheit und Robustheit bei Handhabung und Wartung).

Geht man bei einer Gebäudeverkabelung davon aus, daß die Ringleitungsverteiler als horizontale Konzentratoren auf Stockwerksebene wirken und durch die Hauptringleitung vertikal miteinander verbunden sind, so ergeben sich minimale Distanzen im 100-Meter-Bereich zwischen ihnen, die ohne Zwischenverstärkung elektrisch problemlos überbrückt werden können (sofern keine außerordentlichen übertragungstechnischen Anforderungen wie beim Durchlaufen einer industriellen Prozeßumgebung vorliegen).

Vorteile der Glasfaser kommen voll zum Tragen

Die Verbindung von insbesondere weit voneinander entfernten Gebäuden erfolgt mit transparent in den elektrischen Ring eingefügten optischen Übertragungsstrecken mittels Glasfaser. Diese für die digitale Datenübertragung völlig transparenten optischen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen enthalten aktive Komponenten zur elektro-optischen Signalwandlung und wirken damit einfach als signalregenerierende Elemente (Repeater) im elektrischen Ring. Dies erlaubt maximale "elektrische" Distanzen innerhalb einzelner Gebäude (begrenzt durch die Leistungsfähigkeit der Leitungstreiber in den Ringadaptern) und beliebige "optische" Distanzen (begrenzt durch die Leistungsbilanz der ausgewählten Glasfaser-Strecken). Insbesondere hier kommen die Vorteile der optischen Übertragungstechnik voll zum Tragen:

- Große Verstärkerfeldlänge aufgrund der geringen Faserdämpfung,

- völlige Potentialtrennung durch elektro-optische Signalwandelung,

- große Stör- und Abhörsicherheit, - keinerlei Blitzschutzeinrichtungen.

Bei Ausfall zwei betriebsfähige Teilringe

Zur Verbesserung der Fehlertoleranz werden die aktiven optischen Übertragungsstrecken in Karlsruhe wie aktive Stationen über Bypass-Relais am RLV in den Ring eingekuppelt, so daß der Gesamtring bei Ausfall einer optischen Verbindung automatisch in zwei weiterhin betriebsfähige Teilringe zerfällt. Fallen beide Glasfaserstrecken gleichzeitig aus, zerfällt der Gesamtring in einzelne Gebäudeinseln. Eine weitere Verbesserung der Fehlertoleranz ließe sich mit redundanten Glasfaserstrecken erreichen, auf die im Fehlerfalle umgeschaltet würde, wie es auch seit kurzem beim IBM Token-Ring mit redundanten Fiber-Optical-Repeatern möglich ist.

Gradientenfaser-Einsatz wie im künftigen ISDN

Die hier verwendete Glasfaser ist eine 50/125-Mikrometer-Gradientenfaser gemäß CCITT-Spezifikation, wie sie von den europäischen Postverwaltungen im zukünftigen ISDN eingesetzt wird.

Bei lokalen Netzen mit begrenzter räumlicher Ausdehnung (Punkt-zu-Punkt-Strecken von wenigen Kilometern) und einer Bandbreite von weniger als 100 Megahertz ergeben sich rein technisch gesehen Vorteile beim Einsatz von Fasern mit dickerem lichtleitendem Kern wie etwa der 100/140 Mikrometer-Gradientenfaser. Daher empfehlen viele LAN-Hersteller (IBM, DEC, Ungermann & Bass, HP) den Einsatz der 100/140-Mikrometer-Faser für ihre Netze.

Die Betrachtung der marktpolitischen Situation ergibt dagegen andere Ergebnisse. Die europäischen Postverwaltungen sind die größten Faserabnehmer und prägen hier die Standards, die Verfügbarkeit und den Preis der auf dem Markt erhältlichen Fasern. Deshalb ist die 50/125-Mikrometer-Faser auch auf postspezifische Belange (größere Verstärkerfeldlänge für den Einsatz im Ortsnetzbereich) ausgelegt und nicht für LAN optimiert. Hinzu kommt, daß sich in Europa der Endgerätemarkt an diesem Faserstandard orientiert.

Diese marktpolitischen Gesichtspunkte haben die Universität 1984 bewogen, sich bei der als langfristige Infrastrukturmaßnahme angesehenen Glasfaserverkabelung des Campus für den "Post"-Standard zu entscheiden. Angesichts der Fortschritte bei der Entwicklung optischer Hochgeschwindigkeitsnetze (Backbones), wie beispielsweise der optische FDDI-100-MBit/s-Token-Ring gemäß ANSI X3T9.5, der sich gegenwärtig in der Standardisierung befindet, erscheint diese Entscheidung aus heutiger Sicht aufgrund der hohen Bandbreitereserven dieser Faser und den stetig leistungsfähiger werdenden Sendeelementen voll gerechtfertigt.

Die elektro-optischen Signalwandler sind mit kompletten, am Markt verfügbaren Sende- und Empfangsbausteinen (OSD/OSE 202 der Firma Hirschmann, Esslingen) realisiert worden. Sofern keine zusätzlichen Dämpfungsverluste durch Steck- und Spleißverbindungen entlang der Faserstrecke auftreten, lassen sich damit Distanzen von mehr als fünf Kilometern überwinden.

Verbindungstechnik gilt besonderes Augenmerk

Ein Teilziel dieses Projektes war es, die für den Anwender anfallenden Probleme beim praktischen Einsatz der LWL-Technologie zu untersuchen. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Verbindungstechnik gefallen, da es für die Betreiber solcher Systeme wichtig ist, ob diesbezügliche Tätigkeiten für Netzerweiterungen, Wartung und Reparaturen von speziell geschultem Fremdpersonal mit teuren Spezialgeräten oder auch von eigenem Personal mit vertretbarem Einweisungs- und Geräteaufwand durchgeführt werden können.

Diese Studie der Verbindungstechnik hat dazu geführt, alle festinstallierten, als Infrastrukturmaßnahme angesehenen Glasfaserstrecken zwischen den Campusgebäuden zur Minimierung von Dämpfungsverlusten mit "Pigtails" (mit kurzen Faserstücken vorkonfektionierte Stecker) zu versehen. Zumeist temporäre Faserverlängerungen innerhalb von Gebäuden unterliegen dagegen der Regie der jeweiligen Faserbetreiber und erfolgen beim Token-Ring mit selbstkonfektionierten LWL-Kabeln.

Bei der Vermessung einzelner Faserstrecken und der Ortung von Dämpfungsverlusten liegt eine ähnliche Situation vor. Optische Multimeter zur Messung der Gesamtdämpfung einer LWL-Strecke sind ebenfalls problemlos für den Betreiber handhabbar und liegen preislich zwischen 2000 und 5000 Mark. Zur genauen Ortung von Dämpfungsverlusten entlang einer LWL-Strecke mittels Rückstreumessung sind wiederum teure Spezialgeräte und geschultes Personal erforderlich, was zumeist wieder einen Fremdfirmeneinsatz erfordert.

Installations- und Betriebserfahrung

Die erste Stufe der Campusverkabelung erfolgte im Februar 1985 durch Siemens mit bis zu 40 Fasern umfassenden LWL-Kabeln. Bereits hier haben sich die installations- und übertragungstechnischen Vorteile des Glasfaserkabels äußerst positiv ausgewirkt. Aufgrund seines kleinen Querschnitts und geringen Gewichts sowie seiner Stör- und Abstrahlsicherheit war es weitgehend möglich, vorhandene, aber bereits stark belegte Kabelkanäle auf dem Campus zu nutzen, was mit entsprechenden Kupferkabeln nicht mehr machbar gewesen wäre. Damit konnten teure und zeitaufwendige, die eigentlichen Kabel- und Zieharbeiten kostenmäßig bei weitem übersteigenden Erdarbeiten eingespart werden. /2/

Schon einen Monat später wurde ein betriebsbereiter hybrider Token-Ring (IBM-Z-Ring mit eingefügt en Glasfaser-Übertragungsstrecken) mit einer optischen Pfadlänge von 2,6 Kilometern und einer elektrischen von einigen 100 Metern auf der GI-Tagung "Kommunikation in verteilten Systemen" in Karlsruhe erfolgreich demonstriert. Im Frühjahr 1986 erfolgte der Übergang auf die bereits im Herbst 1985 angekündigten Komponenten des IBM-Token-Rings (Ringadapter und Ringleitungsverteiler). Die Umstellung gestaltete sich problemlos.

Im nunmehr zweijährigen Betrieb haben sich die optischen Übertragungsstrecken als extrem stabil erwiesen. Bis heute sind keinerlei Störungen oder Defekte an Komponenten der LWL-Strecken oder Verschlechterungen ihrer übertragungstechnischen Kenngrößen registriert worden. Auch die seit einem Jahr eingesetzten Token-Ring-Komponenten haben ihre Robustheit gezeigt. Bisher sind keine Fehler oder Ausfälle aufgetreten.

Kostenvergleiche unterschiedlicher Kabel

Bei der Verbindung entfernter Gebäude durch Kupfer- oder Glasfaserkabel ist neben der Qualität und Sicherheit der Übertragung auch eine Kostenbetrachtung von Interesse. Die Kosten eines mehrere Fasern umfassenden LWL-Kabels lagen 1985 bei etwa drei Mark pro Faser und Meter sowie festen Kabelkosten von sieben Mark pro Meter, wobei die Faserpreise mittlerweile noch gesunken sind. Die Kosten für ein hochwertiges Kupferkabel liegen deutlich höher (IBM-Daten-Außenkabel zirka 7,50 Mark pro Meter, Ethernet-Koaxialkabel rund zehn Mark pro Meter).

Ein für das IBM-Daten-Außenkabel erforderlicher Blitzschutz wird zur Zeit für etwa 10 000 Mark angeboten. Die im Herbst 1986 von IBM angekündigten Fiber-Optic-Repeater für den IBM-Token-Ring sollen ungefähr dasselbe kosten. Ein Kostenvergleich zeigt bereits jetzt die preisliche Attraktivität der optischen Übertragungsstrecken. Bezieht man in diese Bilanz noch installationstechnische Einsparungen wie bereits aufgeführt mit ein, so ergeben sich neben der überlegenen Qualität und Sicherheit der optischen Übertragungsstrecke auch noch erhebliche kostenmäßige Vorteile.

Neben der Erprobung der einzelnen LAN-Typen in diesem prototypischen Rechnernetz werden insbesondere auch die Kopplung verschiedenartiger LANs sowie ihre Ankopplung an öffentliche Netze untersucht. Hierzu ist bereits ein IBM-PC-AT-basiertes Gateway zur Kopplung von Ethernet und Token Ring unter Verwendung des OSI-Internetzprotokolls (DIS 8473) implementiert worden. Die Ankopplung an öffentliche Netze (Datex-L/-P) befindet sich gegenwärtig in der Realisierung.

Zur Funktions- und Leistungsbewertung des heterogenen Rechnernetzes erfolgt parallel zu seiner Implementierung die Entwicklung eines simultanen Modellierungssystems und eines verteilten Monitorsystems zur Vermessung des realen Systems. Erste Ergebnisse hierzu sind in /3/ bereits veröffentlicht.

Hinzu kommen Studien und Planung für ein optisches Hochgeschwindigkeitsnetz zur Kopplung von auf dem Campus verteilten IEEE-802.x-LANs (Front-End/Backbone-Konfiguration). Es ist hier an den Einsatz des optischen FDDI-100-MBit/s-Token-Ring gedacht, der sich gegenwärtig an der Standardisierung durch ANSI X3T9.5 befindet und in absehbarer Zeit am Markt verfügbar sein wird (Ankündigung von Fibronics). Bisherige Ergebnisse einer simulativen Studie zur Leistungsbewertung des FDDI-Ring sind in /4/ ebenfalls publiziert.