Unheimliche Begegnung mit der "dritten Ableitung"

19.01.1979

Unheimliche Begegnung mit der "dritten Ableitung": James Martin, IBM-Fellow und Star-Referent des Savant Institute, sprach im Münchner Hilton über "Design of Logical Data Bases" (vgl. Seite 1). Martins verbaler Exkurs in die Datenbank-Zukunft hatte die Zeitbombenwirkung eines Kriminalstückes: Stieß die vorgetragene Datenbank-"Mathematik" ("dritte Ableitung", "kanonische Strukturen") zunächst noch auf Verständigungsgrenzen, so ließen dosiert verabreichte Detail-Informationen über IBM's Datenbank-Pläne die "Learning-Curve" bei den Teilnehmern hochschnellen.

Kunststück: Wer - außerhalb der Research Center des Marktführers - kennt die DB/DC-Entwicklungen IBMs besser als Martin. Daß beim Branchenleader ein Datenbank-Managementsystem entsteht, das "neue Anwendungsformen erlaubt", wußte man. Des weiteren, daß dieses DB-Paket ein "relationales" ist, das ausschließlich die logische Beziehung zwischen Datenbank-Segmenten berücksichtigt.

Dergleichen gehört seit geraumer Zeit zum Standard-

Repertoire eines jeden Sonntags-Redners auf der Teachware-Szene - freilich bislang immer mit einem Beiklang von Zukunftsmusik.

Doch Martins Ausführungen machten wohl jedem klar: Die Relationen-Datenbank Coddscher Provenienz hat nichts Futurologisches mehr an sich. Sie ist -in den IBM-Software-Labors - bereits Realität.

Ob sie allerdings als funktionaler, maschinenintegrierter Bestand der E-Serien-Software zusammen mit der Hardware der 370-Nachfolger angekündigt wird, ließ Martin offen.

Verständlich: Was unmittelbar bevorsteht, ist für einen Langfrist-Strategen schon wieder Plusquamperfekt. Um so mehr hat das aber die Anwender zu interessieren, die mit IMS ihre Zukunft zu gestalten versuch(t)en. Denn daran ließ der DV-Prophet keinen Zweifel: Die "Relationen-Datenbank" (RDB) wird ohne Brücken-Software zu IMS kommen.

Dies bedeutet aber nicht, daß bestehende IMS-Datenbanken im Relationen-Zeitalter nicht mehr weiterleben. Denn sonst bekäme IBM die Macht von rund tausend IMS-Großanwendern zu spüren. Typisch IBM, die drohende Zweigleisigkeit zu beseitigen: DL/1 käme - so Martin - als "harte DB/DC-Schnittstelle" (in Mikrocode) zu neuen Ehren. Dieses Nebeneinander von IMS und BDB erfordert zwar zusätzlich gewaltige Speicherkapazität - doch bei der CPU-Dimension war IBM ja noch nie kleinlich.