Die fetten Jahre sind unwiderruflich vorbei

Unger: "Die IT bleibt auf dem Prüfstand"

01.08.2003
MÜNCHEN (CW) - Die IT ist nicht nur bloßer Kostenfaktor, sondern muss sich heute für das Überleben in den Märkten von morgen wappnen. Diese These war zentrale Botschaft eines von Euroforum und der "Wirtschaftswoche" ausgerichteten IT-Kongresses in München. Was das für den CIO bedeutet, schilderte unter anderem Sue Unger, IT-Chefin der Daimler-Chrysler AG.

Umsatzeinbrüche, Massenentlassungen, Insolvenzen, Budgetzwänge, Return on Investment (RoI), Konsolidierung: Die Schlagworte und Schlagzeilen in der IT-Industrie sind seit mindestens zwei Jahren dieselben. Von Optimismus, gar Innovationen keine Spur! Die Veranstalter des Münchner Events hatten deshalb nicht ohne Grund den Slogan "IT 2003 - eine Branche geht in die Offensive" gewählt. Doch ganz so mutig, wie der Titel es suggeriert, hörten sich die zentralen Vorträge dann doch nicht an.

Vor einem Paradigmenwechsel

Insbesondere Sue Unger, Chief Information Officer der Daimler-Chrysler AG, schenkte den rund 120 anwesenden IT-Managern sowie Vertretern der Industrie reinen Wein ein. Die Tatsache, dass die Marktforscher inzwischen unisono für das laufende und das kommende Jahr wieder steigende IT-Budgets prognostizieren, sei zwar ein Indiz für das Ende der akuten Krise, bedeute aber keine Rückkehr zu den guten alten Zeiten. Vielmehr befänden sich Anbieter wie Anwender vor einer Art "Paradigmenwechsel". Die gute Nachricht dabei sei, dass man die Chance zu einem Neuanfang habe; die schlechte, dass die IT auch in den kommenden Jahren in vielfacher Hinsicht auf dem Prüfstand stehe.

Die Daimler-Chrysler-Managerin, die weltweit einen der größten IT-Etats verwaltet, versuchte diese Aussage an der aktuellen IT-Strategie ihrer Company festzumachen. Der Konzern habe sich in Sachen IT längst vom "first mover" zum "smart mover" gewandelt, betonte Unger. Nicht mehr der möglichst schnelle Einsatz avantgardistischer Technologien, sondern sorgfältigere Produktauswahl, die erkennbare Verbesserung der Produktivität sowie die schnelle Implementierung von Lösungen ständen im Vordergrund. "IT muss Mehrwert liefern", schrieb die IT-Managerin sich und der Industrie ins Stammbuch.

Unger forderte in diesem Zusammenhang von den IT-Herstellern mehr Flexibilität und stärkeres Eingehen auf die Bedürfnisse ihrer Kundschaft. Ähnlich wie bei seinen Zulieferern strebe Daimler-Chrysler in Zukunft auch mit seinen IT-Partnern eine enge partnerschaftliche Kooperation an, um "gemeinsam Sinnvolles" zu erarbeiten. Als Gegenleistung "für mehr Offenheit und die Bereitschaft, das Know-how von immer mehr Geschäftsabläufen zu teilen", erwarte der Konzern jedoch von den IT-Lieferanten mehr Verständnis für das konkrete Business, kreative Lösungen, um die Qualität sowie den "Business Value" zu erhöhen, und selbstverständlich eine funktionierende IT-Umgebung rund um die Uhr. Der Einsatz neuer Hard- und Software müsse, so Unger, für ein Unternehmen stets einen erkennbaren Mehrwert schaffen: "Wir betreiben IT nicht um der IT willen."

Dem IT-Management, das momentan in der viel zitierten Kostenfalle sitzt, empfahl die Daimler-Chrysler-Managerin allerdings einen eher behutsamen Gebrauch des Rotstifts. Es gebe keinen Sinn, grundsätzlich alle IT-Investitionen zu stoppen oder flächendeckend zu kürzen. Wichtig sei aber, IT-Projekte daraufhin zu überprüfen, ob sie die Erwartungen tatsächlich erfüllen können. "Achten Sie auf den Return on Investment, bringen Sie Mehrwert in die Geschäftsabläufe und unterstützen Sie damit die strategischen Geschäftsziele Ihres Unternehmens", lautete ihre Empfehlung.

Dass sie selbst in Zeiten wie diesen noch konkrete Visionen hat, unterstrich Unger mit der Ankündigung, bis spätestens 2010 die "vollkommen digitale Fabrik" zu etablieren. Dabei sollen sich mit Hilfe entsprechender IT-Komponenten die Entwicklung, Vorproduktion und Fertigung so weit simulieren lassen, dass die Zeitspanne von der ersten Reißbrett- respektive CAD-Skizze eines Modells bis zum Serienanlauf auf ein Jahr schrumpft.

Neue Aufgaben auf der Agenda

Auch Gartner-Analyst Peter Sondergaard sprach von einer Zäsur, vor der die gesamte IT-Branche stehe, und warnte die IT-Manager angesichts der momentanen Krise vor falschen Schlussfolgerungen. Nur die IT-Kosten zu reduzieren, den Mehrwert der IT für Geschäftsabläufe zu rechtfertigen und damit vor allem das eigene Standing beim Vorstand zu untermauern greife zu kurz. Gleiches gelte für eine Reihe von Prozessen, die sich vor diesem Hintergrund in den beiden vergangenen Jahren etabliert hätten - etwa die "zu einseitige" RoI-Debatte oder die "zu schnelle und oberflächliche" Kosten-Nutzen-Analyse einzelner Projekte. Vielfach sei dabei, so der Branchenkenner, vergessen worden, dass sich eine IT-Lösung nur in Bezug auf ihren gesamten Lebenszyklus realitätsnah benchmarken lasse und dass die IT-Kosten aufgrund sich ständig ändernder Geschäftsabläufe und -strategien ohnehin ein "bewegliches Ziel" seien.

Schon ab 2004 dürften, wie Sondergaard weiter ausführte, "zum Teil völlig neue Aufgaben" auf der Agenda des IT-Managements stehen. Unternehmen würden statt Kostenreduktion und Mitarbeiterabbau wieder stärker die Themen Marktanteilsgewinnung und Marktführerschaft ins Auge fassen. Dabei gehe es mehr denn je um die Ausweitung der Beziehungen zu Kunden und Geschäftspartnern. Bezogen auf die IT-Infrastruktur bedeute dies "größtmögliche Offenheit und Flexibilität". Mit anderen Worten: Die schon geläufige Gartner-Vision vom "Real Time Enterprise" komme hier zum Tragen.

Jetzt die Weichen stellen

Sondergaard lieferte seinen Zuhörern aber nicht nur Visionen, sondern auch konkrete Handlungsanleitungen. Trotz aller Budgetzwänge müsse das IT-Management jetzt in Grundsatzfragen wie Softwarearchitektur, Infrastruktur/Middleware sowie Business-Applikationen die Weichen für die kommenden Jahre stellen. Um auch den notwendigen finanziellen Spielraum für solche Entscheidungen zu haben, empfahl der Gartner-Analyst, zehn Prozent der für das laufende Jahr veranschlagten IT-Ausgaben in entsprechende Ausschreibungen und Produktevaluierungen umzuschichten. Sondergaard: "Im Zweifel muss man auch ein Portal vom Server nehmen, das erst im vergangenen Jahr implementiert wurde, dessen Business Case aber fragwürdig erscheint."

Skeptisch zeigte sich der Gartner-Analyst, was die von Daimler-Chrysler-CIO Unger angemahnte Lernfähigkeit der IT-Industrie angeht. Seiner Ansicht nach werden spätestens ab dem Jahr 2005 diejenigen Supplier, die die momentane Marktkonsolidierung überleben, wieder kräftig an der Preisschraube drehen und ihren Kunden auch nicht unbedingt mit herstellerübergreifenden Lösungen das tägliche Leben einfacher machen.

Sondergaard sprach sich deshalb für eine "zukunftsorientierte Herstellerauswahl" seitens der Anwender aus - vor allem im Softwaresektor, wo Gartner mit einem besonders kräftigen Shakeout innerhalb der Anbieterszene rechnet. Investitionsschutz, Skalierbarkeit der Lösungen sowie Partnering seien die Kriterien, auf die es ankomme. Was das Thema Lizenzkosten angeht, riet Sondergaard den IT-Managern unverblümt dazu, "jetzt bessere Verträge auszuhandeln, denn in einem Jahr haben Sie nicht mehr die Verhandlungsposition wie heute". (gh)