Hat der PC-Softwaremonopolist die Konkurrenz benachteiligt?

Undokumentierte Calls bringen die Politik von Microsoft in Verruf

18.09.1992

SAN MATEO (IDG) - Die Microsoft Corp. beeilt sich, Vorwürfe aus dem Weg zu räumen, ihre Applikationen würden undokumentierte Calls in Windows nutzen. Denn dies würde die US-Handelskammer wieder auf den Plan rufen, bei der ein Verfahren wegen unerlaubter Benachteiligung des Wettbewerbs durch Microsoft in der Schwebe ist.

Ein Buch unter dem Titel "Undocumented Windows" hatte die Aufregung verursacht. Darin behaupten die Autoren Andrew Shulman, David Maxey und Mat Pietreki, daß verschiedene Anwendungsprogramme von Microsoft undokumentierte Calls in Windows nutzen. Obwohl die Autoren ausführen, daß solche Systemaufrufe aus verschiedenen Gründen existieren können, die außerhalb der Verantwortung von Microsoft liegen, und auch Wettbewerber diese Methode nutzen, war das Ansehen von Microsoft augenblicklich lädiert.

"Microsoft sollte aufgrund der monopolartigen Position über jeden Verdacht erhaben sein", rügte Fred Gibbons, CEO der Software Publishing Group. Weil das Unternehmen zuvor behauptet habe, keine undokumentierten Calls zu verwenden, sei das Vertrauen der Software-Industrie in die Gates-Company geschädigt. Ein ehemaliger Microsoft-Angestellter und heutiger Mitarbeiter bei einem Wettbewerber gab das Stichwort: "Ich hoffe, das weckt die Handelskammer auf."

Microsoft reagierte unverzüglich. Das Unternehmen veröffentlichte ein technisches Papier, in dem es 16, aber bei weitem nicht alle der in dem Buch aufgeführten versteckten Systemaufrufe erläutert - nämlich solche, die in den Programmen Word und Excel nachgewiesen wurden. Vier von ihnen seien in Wirklichkeit dokumentiert, fünf hätten dokumentierte Entsprechungen, sechs seien inzwischen überholt, und ein Call sei "einfach nutzlos".

Paul Maritz, Senior Vice-President von Microsoft, erklärte, das Unternehmen habe nicht vor, über das vorgelegte Papier hinaus alle undokumentierten Windows-Calls zu veröffentlichen. "Was wir dokumentieren, sind Schnittstellen, die technisch bedeutungsvoll sind und über eine gewisse Zeit stabil sein werden", ergänzte er. "Es gibt hier keine Absicht, Entwickler systematisch zu benachteiligen."

Das Unternehmen wies darauf hin, daß die Verwendung undokumentierter Systemaufrufe durch Applikationsprogrammierer hausinterne Regeln von Microsoft verletze. Schon früher hätten unabhängige Entwickler von Windows-Programmen solche Calls verwendet. Durch dieses Verfahren habe Microsoft bei der Entwicklung von Applikationen keine Vorteile gegenüber unabhängigen Softwarehäusern erhalten.

Gleichwohl scheint Mißtrauen nun gesät: "Die Calls jetzt zu veröffentlichen klingt wie ein Schuldbekenntnis", meinte Steve Grady, ein Sprecher von Borland. Dabei wird auch Borland von den Buchautoren die Nutzung undokumentierter Calls, vorgeworfen. Der Microsoft-Fall könnte unangenehme Folgen für die Software-Industrie nach sich ziehen. Bryan Simmons, ein Sprecher von Lotus, meinte "Es scheint in der Entwicklergemeinde eine Menge Verwirrung und Bedenken über diese Calls zu geben. Und es ist für die Microsoft Corp. gut, daß sie die Angelegenheit zu klären versucht."