Wie der MDR sein Online-Portal mit Inhalten füllt

Unbürokratisch zum Content-Management

31.01.2003
LEIPZIG (qua) - Die Einführung eines Content-Management-Systems (CMS) gilt als extrem zeitaufwändig - vor allem, wenn der Betreiber eine individuelle Lösung wünscht. Das System des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) war in einem knappen Dreivierteljahr lauffähig.

Dass CMS-Projekte den sprichwörtlichen Bach hinuntergehen, ist keine Seltenheit. Entscheidend für den Erfolg sind - vielleicht mehr noch als die Qualität der Produkte und die Kompetenz der internen oder externen Dienstleister - klare Vorgaben des Auftraggebers. "Ich habe noch nie ein Projekt erlebt, das vom Kunden derart lösungsorientiert angegangen wurde", lobt Florian Riedl, Managing Director der Tallence GmbH, Regensburg. Das kleine Dienstleistungsunternehmen erhielt - mit Cap Gemini Telecom Media & Networks als Generalunternehmer - den Zuschlag, als der MDR vor etwas mehr als zwei Jahren die Einführung eines neuen Content-Management-Systems ausschrieb.

Online ist die für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zuständige ARD-Sendeanstalt seit dem 13. Mai 1996. Zunächst wurde der Internet-Auftritt jedoch von der technischen Seite vorangetrieben und dezentral umgesetzt, erinnert sich Georg Maas, Hauptabteilungsleiter Neue Medien beim MDR. Anfang 1998 startete auf Beschluss des Direktoriums der Aufbau eines einheitlichen Online-Auftritts, der vor allem inhaltlichen Kriterien Rechnung trug. Ein zweiter Relaunch etwa ein Jahr später galt dem Seitenaufbau: Ein durchgängiger Styleguide mit Dach-Frame und vererbten Darstellungsmerkmalen sollte den Nutzern die Navigation erleichtern.

Der Startschuss für die Einrichtung eines gemeinsamen Internet-Portals unter der Dachmarke "mdr.de" und für die Neugestaltung des Content-Managements fiel im Frühjahr 2000 nach der Veröffentlichung des "4. Rundfunkänderungsstaatsvertrags". Damit war die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit programmbezogener Zusatzdienste in öffentlich-rechtlichen Sendern amtlich besiegelt. Rund ein Prozent seines Gesamtetats gibt der MDR heute für seinen Online-Auftritt aus. "Wenn wir unseren Grundversorgungsauftrag ernst nehmen, dann müssen wir vernünftig im Internet vertreten sein", begründet Maas diese Investitionen. In die Mitte des Jahres 2000 fällt denn auch die Geburt seiner Hauptabteilung.

Wie Maas einräumt, wurde der Online-Ehrgeiz des MDR auch durch die Aktivitäten anderer ARD-Anstalten wie des Bayerischen Rundfunks angestachelt (siehe CW 9/98, Seite 31: "Prinz Internet weckt das Radio-Dornröschen"). Als Ziele der Neugestaltung nennt der MDR-Manager ein einheitliches Internet-Angebot, das dennoch individuell anpassbar ist, sowie reichhaltige Verknüpfungen von Themen und Programmen. Die Altsysteme sollten nach und nach abgeschaltet werden.

Ein rudimentäres Content-Management hatte es schließlich auch vorher gegeben: Die von einer Tochterfirma des MDR erstellte "Produktionsdatenbank" war allerdings nur in der Lage, komplette HTML-Seiten abzulegen, und damit wenig flexibel. Maas hatte andere Ideen: Um so aktuell wie möglich zu sein, sollten die Seiten erst beim Aufruf aus ihren unterschiedlichen Bestandteilen zusammengefügt werden. Außerdem schwebte dem Neue-Medien-Experten vor, dass die Redakteure selbst für die Einbindung der Internet-Surfer sorgen könnten - indem sie beispielsweise Online-Chats, Abstimmungen und Preisrätsel anlegen.

Verfügbarkeit nahe hundert Prozent

An die Technik des Systems wurden hohe Anforderungen gestellt. So bestand Maas auf einer Verfügbarkeit von 99,9 Prozent und einer auf starkes Wachstum ausgelegten Hardwareausstattung. Die IT-Spezialisten des MDR setzten seine Vorstellungen in Form einer zunächst überdimensioniert erscheinenden Vier-Prozessor-Maschine vom Typ "Sun Fire 3800" und zweier redundant ausgelegter Web-Server des Typs "Sun Fire 280" um.

Die Entscheidung für das Content-Management-System war bereits gefallen, bevor Cap Gemini und Tallence ins Boot geholt wurden. Nachdem acht Systeme - darunter die Produkte von Interwoven und Gauss - unter die Lupe genommen waren, erhielt Vignette den Zuschlag. Andreas Vierling, Leiter des Geschäftsbereichs Planung im Service-Center Technik der MDR-Betriebsdirektion, begründet diese Wahl zum einen mit Referenzen aus anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten - der NDR, die Deutsche Welle und das ZDF gehören ebenfalls zu den Vignette-Kunden - und der daraus erwachsenden Möglichkeit einer gemeinsamen Beschaffung. Zum anderen lobt er den ganzheitlichen Ansatz sowie die Offenheit, Modularität und Skalierbarkeit des Produkts, die gute Entwicklungsumgebung und Mandantenfähigkeit sowie die eingebauten Möglichkeiten für eine Personalisierung und ein Prozess-Management.

Folglich erhielten die beiden Dienstleister, die gemeinsam an der Ausschreibung teilgenommen hatten, im Frühsommer des Jahres 2001 den Auftrag, ein Content-Management-System auf der Basis des damals aktuellen Vignette-Release "V5" zu entwickeln. Diese Ausführung der Software arbeitet noch mit einem eigenen Applikations-Server. Ein späterer Wechsel auf "V6" oder sogar "V7" und den Applikations-Server "Weblogic" von Bea ist bereits geplant, soll aber erst erfolgen, wenn das jetzige System tatsächlich an seine Grenzen stößt.

Als Webserver entschied sich Tallence für das Open-Source-Produkt "Apache". Es bietet laut Riedl einige Funktionalitäten, die sich in der Zusammenarbeit mit Vignette günstig auf die Performance auswirken. Als Datenbank-Management-System fungiert Oracle8. Der Speicherplatz ist mit 220 GB netto recht üppig ausgelegt.

Durch die Implementierung des Content-Management-Systems kam auch auf die IT-Abteilung eine Menge Arbeit zu. Sie erstellte eine übergreifende Architektur, die das Online-System in die Gesamt-IT integrieren sollte. Besonderes Augenmerk galt dabei der Einbindung in ein umfassendes Sicherheitskonzept sowie dem Handling der MDR-Domains.

Individuelle Oberfläche und Backend

Zudem mussten die Strukturen der "demilitarisierten Zone" (DMZ) und der Datentransferwege mit dem neuen System in Einklang gebracht werden. Anzudocken waren die bereits existierenden Systeme, beispielsweise für das On-Demand-Streaming, sowie externe Angebote wie aktuelle Bahn- und Flugpläne. Last, but not least sollten Schnittstellen für den Content-Austausch mit anderen ARD-Anstalten geschaffen werden.

Zu den Aufgaben der Neuen Medien gehörte es hingegen, die Inhalte sauber zu strukturieren. Wie Maas erläutert, ist eine feine Granularität vor allem hinsichtlich der drahtlosen Übermittlung von Web-Content auf mobile Endgeräte entscheidend.

Laut Tallence-Manager Riedl wurden sowohl die Oberfläche als auch das Backend des Systems für den MDR individuell entwickelt. Integriert worden seien unter anderem eine Rechtevergabe sowie eine in Java codierte Bildbearbeitungsfunktion. Den Programmieraufwand für das Gesamtsystem beziffert Riedl mit zwei Mannjahren, die sich auf fünf Entwickler verteilten. Vom Erstellen des Pflichtenhefts bis zur Inbetriebnahme des Systems habe es weniger als ein Jahr gedauert. Diese angesichts des Funktionsumfangs extrem kurze Projektlaufzeit sei vor allem das Verdienst der MDR-Experten, die sich extrem "lösungsorientiert" und "unbürokratisch" gezeigt hätten. Er habe nie länger als einen Tag auf eine fachliche Entscheidung warten müssen. Das Einzige, was aus Riedls Sicht noch besser hätte laufen können, wäre die frühe Einbindung der Anwender gewesen, die den Entwicklern wertvolle Kenntnisse über die Benutzbarkeit des Systems hätte vermittelt können. Dass solche Projekte auch ganz anders laufen können, belegt das Beispiel "bild.de", bei dem ebenfalls die Vignette-Software "V5" zum Einsatz kam (vgl. CW 44/01, Seite 1).

Eigene Testumgebung in Arbeit

Vor etwas mehr als einem halben Jahr hat das neue Content-Management-System den Dienst aufgenommen. Mittlerweile läuft es bereits in einem zweiten Release. Das dritte steht in den Startlöchern, soll aber erst aufgespielt werden, wenn die neue Testumgebung in der Betriebsdirektion betriebsbereit ist. Derzeit wird noch bei Tallence in Regensburg getestet.

65 Redakteure nutzen das System, um in drei Schichten rund um die Uhr ein Basisangebot, also vor allem Nachrichten und Sportergebnisse, zu liefern, 38 Fernsehsendungen und sechs Radiowellen eine umfangreiche und aktuelle Web-Präsenz zu verschaffen sowie eine Handvoll Sonderthemen und Serviceprogramme anzubieten. Bis zu zwei Millionen Page Impressions verzeichnet das Portal pro Tag.

Das Content-Management-System regelt dabei die automatische Generierung der Web-Seiten, den Workflow der Redakteure und den Ablauf der interaktiven Kontakte mit den Nutzern: Sofern sie sich mit einem Passwort einloggen, können sie verschiedene Newsletters abonnieren (davon machen laut Maas rund 14500 E-Mail-Inhaber Gebrauch), an Abstimmungen und Gewinnspielen teilnehmen sowie ihre Meinungen in einem Forum austauschen.

Für eine weitergehende Personalisierung, also eine Korrelation zwischen User und Inhalt, sind die technischen Vorbereitungen ebenso getroffen wie für eine Cookie-gestützte Kontaktverfolgung (mit Hilfe der Vignette-Funktion "Observation Manager") und ein Customer-Relationship-Management (mit dem "Relationship Manager"). Momentan werden diese Funktionen aber noch nicht genutzt.

Steckbrief

Ziel: Content-Management-System für das Online-Portal.

Umfang: Unter anderem für 38 verschiedene Fernsehsendungen und sechs Radioprogramme.

Unternehmen: Öffentlich-rechtliche Sendeanstalt.

Zeitrahmen: Von September 2001 bis Mai 2002.

Stand heute: Das System läuft produktiv im zweiten Release.

Aufwand: Zwei Mannjahre.

Ergebnis: Die Redakteure können sich auf den journalistischen Inhalt konzentrieren.

Basis: "V5" von Vignette Web-Server "Apache", Datenbank-system "Oracle 8", Vier-Prozessor-Maschine "Sun Fire 3800".

Realisierung: Cap Gemini Telecom Media & Networks als Generalunternehmer, Umsetzung durch Tallence GmbH.

Nächster Schritt: Aufbau einer eigenen Testumgebung; Migration auf eine aktuellere Vignette-Version, Umstieg auf den Applikations-Server "Weblogic" von Bea möglicherweise noch in diesem Jahr.